Chile:Freie Fahrt für Corona-Genesene

Chile: Bald raus dank Immunitätspass?

Bald raus dank Immunitätspass?

(Foto: AP)

Chiles Präsident Sebastián Piñera will Immunitätsausweise an Menschen ausgeben, die Covid-19 überstanden haben. Die Weltgesundheitsorganisation warnt davor.

Von Christoph Gurk

In Zeiten des Coronavirus hat Chile einen geografischen Vorteil. Das Land liegt nicht nur am untersten Zipfel des amerikanischen Kontinents, es ist noch dazu so schmal, dass es an manchen Stellen nur wenige Straßen und Brücken gibt, die es ermöglichen, von Süden nach Norden zu fahren. Mit ein paar strategischen Posten lässt sich Chile also recht einfach kontrollieren. Schon früh in der Corona-Krise hat die Regierung des Landes das genutzt. Bürger mussten Sanitätspässe vorzeigen, mit denen sie eidesstattlich versicherten, nicht in Kontakt mit Covid-19-Erkrankten gewesen zu sein oder in Ländern, die als Risikogebiete gelten. In den kommenden Tagen will Chile noch einen Schritt weiter gehen: Bürger, die bereits eine Erkrankung hinter sich haben, sollen dies amtlich bestätigt bekommen. Sie erhalten damit die Erlaubnis, sich frei zu bewegen.

Während sich die Corona-Pandemie immer weiter ausbreitet, versuchen Regierungen auf der ganzen Welt Lösungen zu finden, um die Krankheit einerseits einzudämmen, andererseits die eigenen Bürger wieder in ein halbwegs normales Leben zu entlassen. Am Freitag verkündete Chiles Präsident Sebastián Piñera den Plan "Sichere Rückkehr". Die Welt und Chile, sagte der konservative Staatschef und millionenschwere Unternehmer, stünden vor zwei großen Bedrohungen: "Einmal, das Coronavirus. Auf der anderen Seite aber auch die Rezession." Teil des Plans Sichere Rückkehr ist eine graduelle Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens, begleitet von breit angelegten Tests, aber eben auch der Ausstellung des "Carnet Covid-19": Der digitale Ausweis erlaubt es, wieder auf die Straße zu gehen, zu reisen und vor allem zu arbeiten. Nur Menschen, die bereits eine Infektion mit dem Virus überstanden haben, bekommen das Dokument. Sie seien immun und könnten das Virus nicht weitergeben, erklärte Gesundheitsminister Jaime Mañalich. "Und weil sie kein Risiko mehr bedeuten, können sie eine enorme Hilfe für die Gesellschaft sein."

In Chile kommt die Idee bei der Bevölkerung weitestgehend gut an. Anfang März war in dem Land die erste Covid-19-Erkrankung registriert worden.

Womöglich können sich Menschen mehrmals mit Sars-CoV-2 infizieren

In der Folge stieg die Fallkurve steil an. Die Regierung rief den Katastrophenfall aus, eine Ausgangssperre wurde verhängt. Heute gibt es rund 13 000 Fälle, von denen allerdings laut offiziellen Angaben mehr als die Hälfte wieder genesen ist - und damit immun, wie die chilenische Regierung hofft.

Doch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am Freitag davor gewarnt, Immunitätsausweise auszustellen. "Es gibt im Moment keinen Nachweis, dass Menschen, die sich von Covid-19 erholt und Antikörper haben, vor einer zweiten Infektion geschützt sind", heißt es in einer Mitteilung. Tierversuche hatten vor einigen Wochen zwar gezeigt, dass Affen nach durchlaufener Infektion vor dem Erreger gefeit sind. Unklar ist indes, ob der Befund auch für Menschen gilt, wie lange dieser Schutz anhält und ob er wirklich bei jedem Individuum vollständig ist. Aus China und Südkorea kamen zuletzt Meldungen von erneuten Infektionen. Zwei Prozent der bereits Erkrankten sei wieder in Quarantäne, nachdem sie abermals positiv getestet wurden, gab die Regierung Südkoreas Mitte April bekannt. Und im chinesischen Wuhan, das als Zentrum der Pandemie gilt, registrierten Medienberichten zufolge einige Quarantänestationen ebenfalls Infektionen bei Patienten, die zuvor schon positiv und dann negativ getestet worden waren. Experten streiten seither über die Ursache der Befunde. Wahrscheinlich ist, dass die Testung nicht korrekt abgelaufen ist. Menschen könnten zwischenzeitlich fälschlicherweise negativ getestet worden sein, obwohl sie noch positiv waren.

Die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass solche Dokumente die Pandemie befördern

Möglich ist aber auch eine Reaktivierung von verbliebenen Viren im Körper, etwa weil Patienten nicht genug Antikörper gebildet haben oder ihr Immunsystem nach der Genesung geschwächt wurde, was die Erreger dazu nutzten, um sich wieder auszubreiten. Die dritte Erklärung ist aber, dass es keine Immunisierung gibt. Auch Patienten, die bereits mit dem Erreger infiziert waren, könnten demnach noch einmal an ihm erkranken und ihn weiterverbreiten. Die WHO warnt daher, dass Regierungen mit der Erstellung von Ausweisen falsches Vertrauen schaffen und die Ausbreitung des Virus womöglich sogar befördern könnten, weil sich Menschen fälschlicherweise in Sicherheit wiegen. Zudem stellen sich ethische Fragen. In einer Situation, in der viele Menschen in Quarantäne um ihren Job bangen, würde schnell ein Schwarzmarkt für gefälschte Immunitätsausweise entstehen. Gleichzeitig könnten junge Leute versuchen, sich mit dem Virus zu infizieren, um nach ihrer Genesung eine Corona-Karte zu bekommen. Auch dies könnte zur Ausbreitung der Krankheit beitragen.

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Trotz dieser Bedenken haben auch in Großbritannien, Frankreich und Deutschland Experten und Politiker die Einführung eines Immunitätsausweises zur Diskussion gestellt. Hierzulande sind aber umfangreiche Untersuchungen nötig, um erst einmal den Grad der Verbreitung des Erregers festzustellen und die Risiken einer potenziellen abermaligen Infektion. Bis Ergebnisse vorliegen, wird es noch Monate dauern.

In Chile will man nicht so lange warten. Dort verteidigte die stellvertretende Gesundheitssekretärin den Plan der Regierung. "Eine der Sachen, die wir wissen, ist, dass eine Person, die die Krankheit überstanden hat, weniger Risiko hat, erneut zu erkranken", erklärte Paula Daza am Sonntag. Nicht mehr und nicht weniger solle der "Carnet Covid-19" bestätigen. In den kommenden Tagen soll der Ausweis ausgeben werden.

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