Coronavirus:Alarm aus dem Abwasser

Kläranlage im hessischen Ried

Eine Probe von geklärtem Wasser wird in der Zentralkläranlage im hessischen Büttelborn entnommen. Darin könnten Bestandteile des Coronavirus enthalten sein.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Schon bevor es die Fallzahlen zeigen, könnten Proben aus Kläranlagen neue Corona-Hotspots erkennen.

Von Christina Kunkel

In der Nase, im Hals, vielleicht noch an den Händen, wenn man die Hust- und Nies-Etikette nicht richtig beachtet hat - an diesen Stellen würden die meisten wohl am ehesten Sars-CoV-2 vermuten, wenn es um die beste Stelle für einen Nachweis geht. Und doch gab es Meldungen, dass die Erreger oder zumindest Reste vom Virus auch beim Toilettenbesuch ausgeschieden werden können. Dass diese Hinterlassenschaften von Corona-Infizierten gefährlich sind, schließen Fachleute zwar aus. Dennoch könnten sie eine wichtige Rolle dabei spielen, Ausbrüche in einzelnen Gebieten frühzeitig zu erkennen. So teilte das oberste italienische Gesundheitsinstitut ISS in Rom im Juni sogar mit, man habe anhand von Abwasserproben aus Mailand und Turin gezeigt, dass das Virus offenbar schon im Dezember 2019, also zwei Monate vor dem ersten bekannten Ausbruch, im Land zirkulierte. Die Gewässerproben seien wie "Spione" für den Umlauf des Virus in der Bevölkerung.

Doch diese Spione lassen sich noch optimieren: Wissenschaftler von der Stanford Universität haben genauer untersucht, wie man die Informationen aus den Kläranlagen nutzten könnte, um lokal schneller auf das Infektionsgeschehen zu reagieren. Gerade weil ein Großteil der Corona-Infizierten keine Symptome entwickelt, aber dennoch Viren ausscheidet, können Abwasseruntersuchungen ein wichtiger Hinweis auf Hotspots sein. Dafür haben die amerikanischen Forscher die Methoden verfeinert, mit denen nach Bestandteilen des Sars-CoV-2-Erregers im Abwasser gesucht werden sollte. In einer Testregion in San José, Kalifornien, konnten sie anhand von rund hundert Sediment-Proben akkurat verfolgen, wie dort die Fallzahlen im Mai und Juni fielen und dann im Juli wieder anstiegen.

Dabei war den Forschern natürlich bekannt, dass Coronaviren - wie viele andere Erreger - mit dem Stuhl und Urin von Infizierten ausgeschieden werden. Bestandteile des Viren-Erbguts lassen sich molekularbiologisch noch längere Zeit im Abwasser nachweisen. Höhere Konzentrationen dieser viralen RNA sprechen für mehr Infizierte und Erkrankte in der Umgebung. Forscher aus Aachen und Frankfurt hatten deshalb im Sommer eine Methode zur Überwachung von Corona-Infektionen über das Abwasser entwickelt. Die gemessene "Virenfracht" einer Anlage erlaube Rückschlüsse auf die Anzahl der mit Sars-CoV-2 infizierten Menschen im Einzugsgebiet, teilte die RWTH Aachen damals mit. Die Sensitivität reiche aus, um als Frühwarnsystem anzuzeigen, ob der Inzidenz-Wert von 50 Corona-Infektionen pro 100 000 Einwohnern überschritten werde. Dabei wurden die Proben jedoch zumeist in flüssiger Form genommen. Das Team aus Stanford konnte nun zeigen, dass Virusbestandteile in festen Sedimenten der Kläranlagen in deutlich größerer Konzentration überdauern.

Auch in Deutschland wollen Forscher und Behörden jetzt ein Abwasser-Frühwarnsystem nutzen. An zehn Messstellen im Landkreis Berchtesgadener Land sollen im Rahmen eines Pilotprojekts Proben ausgewertet werden, teilte das Landratsamt vergangene Woche mit. Erstmals würden damit in Deutschland flächendeckend zumindest Abwasserproben analysiert. Durch die Korrelation mit den Einwohnerzahlen und bestätigten Corona-Fällen sollen sie Aufschluss über das Infektionsgeschehen geben. Beteiligt an dem Projekt sind die TU München mit dem Technologiezentrum Wasser (TZW) in Karlsruhe und Epidemiologen der Bundeswehr.

Zur SZ-Startseite
Black Friday Weekend During The Coronavirus Pandemic

SZ PlusMeinungGesellschaft
:Fatale Gleichgültigkeit

Niemand werde die Alten und Kranken an Covid-19 sterben lassen, nur aus Rücksichtslosigkeit. So hieß es im Frühjahr. Heute sterben auch Kinder, Sportler und Gesunde. Und nur wenige scheint das noch ernsthaft zu stören.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: