Studie zur Übersterblichkeit:Drei Mal mehr Corona-Todesopfer als offiziell gemeldet

Studie zur Übersterblichkeit: 203 000 Menschen sind in Deutschland bis Ende des vergangenen Jahres infolge der Pandemie gestorben - knapp zweimal mehr als die offizielle Statistik angibt.

203 000 Menschen sind in Deutschland bis Ende des vergangenen Jahres infolge der Pandemie gestorben - knapp zweimal mehr als die offizielle Statistik angibt.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

Eine Analyse der weltweiten Übersterblichkeit ergibt, dass mehr als 18 Millionen Menschen infolge der Pandemie gestorben sein könnten.

Von Berit Uhlmann

Erst vor wenigen Tagen wurde wieder einer dieser traurigen Meilensteine erreicht: Die Zahl der Menschen, die offiziellen Zahlen zufolge an oder mit dem Coronavirus verstarben, überschritt die Marke von sechs Millionen. So gigantisch diese Zahl ist, sie spiegelt doch nicht das ganze Ausmaß wider. Zum einen, weil die offiziellen Statistiken nicht überall zuverlässig sind und zum anderen, weil diese Zahl mögliche indirekte Folgen der Pandemie nicht berücksichtigt: Herzinfarktpatienten beispielsweise, die in überfüllten Kliniken nicht rechtzeitig behandelt werden konnten. Kinder, die Opfer anderer Infektionskrankheiten wurden, weil sie Impfungen verpassten.

Ein internationales Forscherteam hat nun im Fachblatt Lancet abgeschätzt, wie viele Leben die Pandemie tatsächlich gekostet hat. Ihren Analysen nach sind weltweit drei Mal so viele Menschen an den Folgen der Pandemie gestorben als offiziell berichtet. Von Januar 2020 bis Jahresende 2021 waren demnach 18,2 Millionen Todesopfer zu beklagen. Offiziell registriert waren für diesen Zeitraum nur 5,9 Millionen Tote.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Haidong Wang vom Institute for Health Metrics and Evaluation der University of Washington in Seattle haben sich in ihrer Arbeit auf die Übersterblichkeit konzentriert. Sie hatten also geschaut, wieviel mehr Menschen insgesamt gestorben waren, als man es auf der Basis der zurückliegenden Jahre hätte erwarten müssen. Ihnen lagen detaillierte Daten aus 74 Ländern vor. Die fehlenden Daten versuchten sie mit statistischen Modellen zu erschließen, in die unter anderem Zahlen zu Corona-Infektionen, Tests, Immunität und weiteren Erkrankungen einflossen.

In einigen Ländern starben weniger Menschen als in den Vorjahren

Die Analyse zeigt zugleich sehr große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern. Die weltweite Rate der Übersterblichkeit beziffern die Forscher auf 120 pro 100 000 Einwohner. Doch für Bolivien, den traurigen Spitzenreiter der Auswertung, ermittelten sie eine Rate von 735 Todesopfern pro 100 000. Für Bulgarien ergibt die Analyse 647 und für das afrikanische Eswatini (das frühere Swasiland) 635 Tote pro 100 000 Einwohner.

Dagegen starben der Schätzung zufolge in Island, Australien, Neuseeland, Singapur und Taiwan etwas weniger Menschen als in den Vorjahren. Genaue Gründe können die Autoren nicht nennen; doch wahrscheinlich haben strenge Schutzmaßnahmen gegen Sars-CoV-2 auch andere Gesundheitsprobleme wie Grippeerkrankungen, Verkehrsunfälle und Feinstaubbelastung verhindert. In Deutschland sind der Analyse zufolge bis Ende vergangenen Jahres 203 000 Menschen infolge der Pandemie gestorben - knapp zweimal so viele wie offizielle Statistik angibt.

Die Forscher können nicht sagen, wie viele der weltweiten Opfer direkt auf das Konto des Coronavirus gehen und welcher Anteil aus indirekten Ursachen herrührt. "Für die meisten Orte haben wir nicht genügend Informationen", sagt Hauptautor Haidong Wang. Zudem scheint es große Unterschiede zwischen den Staaten zu geben: "Studien aus einigen Ländern wie Schweden und den Niederlanden legen nahe, dass Covid-19 die Ursache der meisten überzähligen Todesfälle war", so Wang. Dagegen deuten die Daten aus Russland und Mexiko darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Übersterblichkeit nicht auf eine Sars-CoV-2-Infektion zurückgeführt werden kann.

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Die Studie wirft zugleich ein Schlaglicht darauf, wie löchrig die Covid-Statistiken in einigen Ländern offenbar sind. In mehreren afrikanischen Staaten weicht die Übersterblichkeit um das 80- bis mehr als 100-fache von den offiziell gemeldeten Zahlen ab. Ein solch großer Unterschied kann nur durch eine massive Untererfassung der Corona-Todeszahlen erklärt werden, schreiben die Autoren.

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