Süddeutsche Zeitung

Medizin:Wie es Covid-19-Patienten in deutschen Kliniken ergangen ist

  • Von den Covid-19-Patienten im Krankenhaus sind 22 Prozent gestorben
  • Ab dem Alter von 60 Jahren steigt das Risiko für schwere Verläufe, Begleiterkrankungen sind ebenfalls ungünstig
  • Repräsentative Untersuchung an mehr als 10 000 Patienten aus 920 deutschen Krankenhäusern

Von Werner Bartens

Wie es jenen Patienten ging, die nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 in Deutschland stationär behandelt werden mussten, zeigt jetzt eine bundesweite Analyse. Es geht um die Fragen, die in jeder klinischen Studie zum neuartigen Coronavirus im Zentrum stehen: Wie alt sind die Patienten, wie viele überleben und welche Rolle spielen Komplikationen und zusätzliche Erkrankungen? Das Wissenschaftliche Institut der AOK (Wido), die interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und die Technische Universität Berlin haben dazu Daten von mehr als 10 000 Covid-19-Patienten analysiert, die vom 26. Februar bis 19. April 2020 in 920 deutschen Krankenhäusern aufgenommen wurden. Die Daten wurden im Fachmagazin Lancet Respiratory Medicine veröffentlicht.

Die Wissenschaftler hatten AOK-Abrechnungsdaten ausgewertet, die fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland erfassen. Das Durchschnittsalter der stationären Covid-19-Patienten lag demnach bei 68 Jahren. Davon sind 22 Prozent gestorben - mit Unterschieden zwischen den Geschlechtern: Während 25 Prozent der Männer starben, waren es bei den Frauen 19 Prozent. Für die Prognose war entscheidend, ob die Erkrankten künstlich beatmet werden mussten, was bei 17 Prozent der Patienten notwendig war. Von den beatmeten Patienten starben 53 Prozent, ohne Beatmung lag die Sterblichkeit mit 16 Prozent deutlich darunter. Auffällig war, dass der Anteil der Männer, die beatmet werden mussten, mit 22 Prozent fast doppelt so hoch lag wie jener der Frauen.

Mussten Patienten beatmet werden, versagten häufig zusätzlich die Nieren

In der Studie bestätigte sich, dass mit höherem Alter der Anteil der Todesfälle zunimmt. In der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen starben 27 Prozent der im Krankenhaus behandelten Patienten, in der Gruppe ab 80 Jahren waren es 38 Prozent. Wenn sie beatmet werden mussten, starben in beiden Altersgruppen zwei Drittel bis drei Viertel der Patienten. Bei mehr als einem Viertel aller Patienten, die beatmet werden mussten, versagten zusätzlich die Nieren, sodass eine künstliche Blutwäsche nötig wurde. Waren die Schwerkranken auf Unterstützung durch ein Beatmungsgerät und die Dialyse angewiesen, starben 73 Prozent von ihnen.

"Die hohen Sterblichkeitsraten zeigen, dass relativ viele Patienten mit sehr schwerem Krankheitsverlauf behandelt wurden", sagt Jürgen Klauber vom Wido. "Die schweren Verläufe betreffen eher ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen, kommen aber auch bei jüngeren vor." Auch wenn die Infektionszahlen in Deutschland derzeit niedrig seien, sollten weiter alle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, um das Infektionsrisiko gering zu halten.

Bis zu einem Viertel der Patienten musste beatmet werden

Je nach Alter wurden zwischen zwölf und 25 Prozent der stationären Covid-19-Patienten beatmetet. "Der Anteil der älteren Patienten mit Beatmung liegt zwar relativ niedrig, aber wir gehen trotzdem davon aus, dass in Deutschland alle Patienten beatmet werden konnten, bei denen es notwendig war", sagt DIVI-Sprecher Christian Karagiannidis. "Bundesweit standen zu jedem Zeitpunkt der Pandemie genügend freie Intensivbetten zur Verfügung und die Kapazität der Intensivstationen war zum Glück nie voll ausgelastet." Zwar sei es schwierig, die Situation im internationalen Vergleich zu bewerten, aber Karagiannidis vermutet, dass in anderen Ländern - vermutlich auch aus Kapazitätsgründen - weniger hochbetagte Menschen mit Covid-19 beatmet wurden.

Auch die Daten aus deutschen Krankenhäusern zeigen, dass schwere Verläufe häufiger bei Patienten mit Begleiterkrankungen vorkommen. Hier war der Anteil der Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes, Nieren- und Herzinsuffizienz sowie chronischen Lungenerkrankungen deutlich erhöht - und besonders hoch bei jenen Kranken, die beatmet werden mussten. So hatten 43 Prozent der Patienten unter Beatmung zusätzlich Herzrhythmusstörungen, von den Patienten ohne Beatmung nur halb so viele.

Viele bisherige Studien beziehen Patienten ein, die noch im Krankenhaus liegen, sodass die Gesamtdauer des Aufenthaltes wie auch die Länge der Beatmung so wenig bestimmt werden können wie die Sterblichkeit. Im Gegensatz dazu ist die deutsche Krankenhausstudie abgeschlossen und kommt zu dem Schluss, dass Covid-19-Patienten durchschnittlich 14 Tage in der Klinik bleiben mussten. Wurden sie beatmet, blieben die Kranken im Mittel 25 Tage. Die Dauer der künstlichen Beatmung lag bei durchschnittlich 14 Tagen. Aus den Daten lässt sich ableiten, dass ab dem Alter von 60 Jahren das Risiko für schwere Verläufe deutlich steigt - dies ist allerdings auch das Alter, in dem Begleiterkrankungen häufiger werden. Die Sterblichkeit an Covid-19 im Krankenhaus lag mit 22 Prozent ähnlich hoch wie in Frankreich; im Nachbarland wurden jedoch mehr Patienten stationär behandelt.

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"Mit unserer Auswertung liegen hilfreiche Zahlen zur Nutzung von Krankenhaus- und Beatmungskapazitäten für künftige Projektionen vor", sagt Reinhard Busse, Experte für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin. "So fallen pro 100 stationäre Patienten durchschnittlich 240 Beatmungstage an. Diese Zahlen sind für die Vorbereitung auf eine zweite Pandemie-Welle wichtig. In Bezug auf normale Krankenhausbetten ist aber auch bei hohen Infektionszahlen kein Problem zu erwarten."

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