Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Warum es immer wieder zu Ausbrüchen in Schlachthöfen kommt

  • Niedrige Temperaturen begünstigen die Verbreitung und Übertragung von Sars-CoV-2
  • Die körperlich anstrengende Arbeit und der oftmals geringe Abstand tragen zur schnellen Übertragung bei
  • Die Zustände in Schlachthöfen könnten im Kleinen zeigen, was eine zweite Welle im Winter bewirkt

Von Werner Bartens

Es sind schon wieder die Schlachthöfe. Obwohl derzeit in vielen Ländern die Neuinfektionen mit Sars-CoV-2 abnehmen und die Situation in Europa halbwegs stabil ist, kommt es lokal gelegentlich zu neuen Ausbrüchen. Hotspots der aktuellen Pandemie entwickeln sich häufig im Umfeld ausufernder Feierlichkeiten - oder in fleischverarbeitenden Betrieben, wie soeben erneut in Nordrhein-Westfalen. In dem betroffenen Betrieb werden im Akkord Tiere zerteilt, zersägt und zerhackt. Die körperlich anstrengende Arbeit inmitten von Blut, Lärm und Gestank übernehmen häufig Billiglohnarbeiter aus Osteuropa mit fragwürdigen Werkverträgen.

Womöglich sind es aber nicht nur die beengten Verhältnisse, unter denen die Malocher der Fleischindustrie leben und arbeiten, die zur raschen Verbreitung des Coronavirus beitragen, sondern auch andere Faktoren. "Liegt es immer nur an den prekären Wohnbedingungen?", hatte Charité-Virologe Christian Drosten in seinem Podcast schon am 19. Mai gefragt. Die Umgebungstemperatur am Arbeitsplatz spiele womöglich eine ebenso wichtige, vielleicht gar die entscheidende Rolle für das Infektionsgeschehen. In der Fleischindustrie würden "Bereiche in Hallengröße fast auf Kühlschranktemperatur" heruntergekühlt, was die Übertragung der Viren begünstigen könne.

Anders als aus der Lagerung von Lebensmitteln bekannt, wo niedrige Temperaturen den Keimbefall verhindern oder zumindest hinauszögern, mag es Sars-CoV-2 offenbar gerne kalt. Das Virus wird in der Kühle gut konserviert. Es gibt mehrere Hinweise dafür, dass Kälte den Coronaviren wenig anhaben kann und sie sich im Gegenteil sogar besser vermehren und länger in der Außenluft halten, wenn die Temperaturen im einstelligen Celsius-Bereich liegen.

Die bei Weitem besten Bedingungen boten sich Sars-CoV-2 bei vier Grad Celsius

Vor Kurzem haben Wissenschaftler im Fachblatt Emerging Infectious Diseases der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC gezeigt, dass Sars-CoV-2 im Sekret aus Nasen und Rachen länger nachweisbar ist, wenn die Temperaturen zwischen null und zehn Grad liegen. Forscher der Nationalen Gesundheitsinstitute hatten entsprechende Proben bei vier, 21 und 27 Grad sowie einer Luftfeuchtigkeit von 40 Prozent analysiert und die Halbwertszeit der Viren gemessen. Bei 27 Grad - also unter Bedingungen wie an warmen Sommertagen - überdauerte das Virus die kürzeste Zeit. Bei der Raumtemperatur von 21 Grad war der Erreger schon etwas länger nachzuweisen. Die bei Weitem besten Bedingungen boten sich dem Virus allerdings bei vier Grad.

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Bei Raumtemperatur war Viren-RNA aus dem erregerhaltigen Sekret von Nase und Rachen zwölf bis 24 Stunden lang auf Oberflächen nachweisbar. Herrschten hingegen nur vier Grad, konnten bis zu sieben Tage lang Virusreste aufgespürt werden. Die Wissenschaftler betonen, dass ihre Studien unter experimentellen Bedingungen stattfanden und der Nachweis viraler RNA nicht gleichbedeutend mit einer Infektionsgefahr ist. Die angegebenen Zeiträume lassen sich daher nicht ohne Weiteres auf den menschlichen Alltag übertragen.

Das ist vergleichbar mit dem Verhalten anderer Erreger wie Influenza-A

Die Laborversuche zeigen allerdings, wie sehr die Haltbarkeit der Viren von den Umgebungsbedingungen abhängt. "Das Virus ist bei niedrigen Temperaturen und geringer Luftfeuchtigkeit stabiler", schreiben die Autoren um Vincent Munster, "während wärmere Temperaturen und höhere Luftfeuchtigkeit die Halbwertszeit verkürzen." Frühere Studien der Arbeitsgruppe hatten gezeigt, dass sich Viren-RNA in flüssiger Form, beispielsweise in Kulturmedien, länger auf Oberflächen hält als in getrocknetem Sekret. Zudem reizt kalte, trockene Luft - wie jeder Skifahrer weiß - die Schleimhäute stärker und macht anfälliger für Infektionen im Rachen.

Für Christian Drosten waren die Überlegungen, wonach Coronaviren bei niedrigen Temperaturen besser übertragen werden als in der Wärme, jedoch nicht nur eine Erklärung für die vermehrten Ausbrüche in Schlachthöfen. Die gehäuften Übertragungen in der Fleischindustrie könnten womöglich im Kleinen "anzeigen, was im Winter weitflächig" drohe, mutmaßte er im Mai in seinem Podcast. Trockene, kühle Tage während der dunklen Jahreszeit bieten Sars-CoV-2 offenbar ideale Bedingungen, sodass sich das Virus länger hält. Und da sich die Menschen im Winter länger in geschlossenen Räumen oder überfüllten Bussen und Bahnen aufhalten, fehlt dann auch oftmals der nötige Abstand, um Ansteckungen zu verhindern.

"Der klimatische Einfluss auf die Übertragung von Sars-CoV-2 kann die Dynamik saisonaler Ausbrüche in der Zeit nach der Pandemie bestimmen", warnen die Forscher um den Infektionsexperten Vincent Munster. "Das ist vergleichbar mit dem Verhalten anderer Viren, die bevorzugt die Atemwege befallen, wie Influenza-A."

Beschäftigte in der Fleischindustrie sind demnach gleich mehreren Risikofaktoren ausgesetzt: Kälte erleichtert die Übertragung der Viren, und die körperlich anstrengende Plackerei zwingt die Arbeiter dazu, heftiger zu atmen, was ebenfalls die Ansteckung begünstigt. Zudem stehen Schlachthof-Mitarbeiter bei manchen Tätigkeiten eng beieinander - und in ihren Unterkünften müssen sich manchmal zehn Billiglöhner eine Dreizimmerwohnung teilen, wie Berichte über die von mehr als 1300 Infektionen betroffenen Tönnies-Betriebe zeigen. Angesichts dieser Zustände in der Fleischindustrie ist es ein schwacher Trost, wenn Christian Drosten sagt, dass vom Steak im Supermarkt keine Infektionsgefahr ausgehe.

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