Süddeutsche Zeitung

Omikron in Europa:Kontakte reduzieren - und zwar jetzt

Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC rechnet damit, dass Omikron spätestens ab Februar das Infektionsgeschehen auf dem Kontinent dominiert. Um die Folgen abzufedern, reiche Impfen allein nicht aus.

Von Berit Uhlmann

Wenn man in einige Länder Europas schaut, mag die Covid-Situation noch halbwegs entspannt erscheinen. Doch sollte sich niemand täuschen lassen, warnt die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC: Omikron hat längst begonnen, den Kontinent zu erobern. "Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Omikron-Variante weiter ausbreitet, als sehr hoch ein", sagt Direktorin Andrea Ammon.

Bis Ende vergangener Woche wurden in 23 der insgesamt 30 Länder des Europäischen Wirtschaftsraums Infektionen mit der neuen Mutante registriert. In sieben dieser Staaten entdeckten die Behörden die Variante auch bei Menschen, die zuvor nicht im Ausland gewesen waren, was dafür spricht, dass sie bereits in den Ländern zirkuliert. Einige Staaten haben bereits größere Omikron-Ausbrüche erlebt.

Die ECDC erwartet daher, dass Omikron in den kommenden Wochen die derzeit in Europa noch dominierende Delta-Variante zurückdrängt. Bleiben die Infektionsschutzmaßnahmen auf dem aktuellen Niveau bestehen, dürfte der Anteil der Omikron-Fälle an allen Infektionen im Laufe des Januars steil in die Höhe schießen. Spätestens im Februar würde Omikron dann das Infektionsgeschehen bestimmen, schätzt die Behörde, wenngleich sie einräumt, dass Vorhersagen derzeit noch schwierig sind.

Zugleich teilt die ECDC die Sorge vieler Forscher, dass mit dem Siegeszug von Omikron die Krankenhäuser noch sehr viel stärker unter Druck geraten könnten als jetzt schon. Selbst wenn Omikron im Vergleich zu seinen Vorgängern weniger schwere Erkrankungen hervorrufen sollte - was noch gar nicht sicher ist - könnten seine womöglich höheren Ansteckungsraten diesen Effekt wieder zunichtemachen. Unterm Strich dürften damit etwa ab März auch mehr Todesfälle zu erwarten sein, warnt die ECDC.

Die Infektionszahlen würden massiv sinken, wenn die Menschen ihre Kontakte um 20 bis 40 Prozent reduzieren

Noch sind die Infektiosität und das Ausmaß, mit dem Omikron der Immunantwort entkommt, nicht sicher zu beziffern. Doch selbst unter günstigen Annahmen zu diesen Faktoren ergeben Modellierungen der ECDC, dass mit Omikron knapp viermal mehr Todesopfer zu erwarten sind, als es unter der Dominanz von Delta der Fall wäre. Im ungünstigsten Szenario, wenn also besonders viele Ansteckungen und eine geringe Immunität angenommen werden, könnte Omikron sogar 18 Mal mehr Menschen töten als Delta. Allerdings ließen sich diese Zahlen massiv senken, wenn die Menschen ihre Kontakte um 20 bis 40 Prozent reduzieren würden, ergaben die Modell-Rechnungen der Seuchenschützer.

Daher sieht die ECDC einen Ausweg aus der drohenden Krise aktuell vor allem darin, die "nicht pharmazeutischen Maßnahmen" europaweit beizubehalten und zu verstärken. Zwar bleiben Impfungen, vor allem Booster-Spritzen, enorm wichtig. Dennoch, warnt Direktorin Andrea Ammon: "In der momentanen Situation werden Impfungen allein die Auswirkungen der Omikron-Variante nicht verhindern können; denn die Zeit reicht nicht, um die Impflücken zu schließen." Weitere Maßnahmen seien daher dringend nötig - gerade im Hinblick auf die Weihnachtsferien.

Die ECDC empfiehlt somit neben den üblichen Abstands- und Hygieneregeln sowie Maskenpflichten auch die stärkere Beschränkung öffentlicher Veranstaltungen. Zudem sollten die Regierungen erwägen, auch bei privaten Treffen die Anzahl der Haushalte zu begrenzen. Ebenso seien verstärktes Testen und die Kontaktnachverfolgung wichtig - und zwar unabhängig vom Impfstatus. Auf Reisen sollten die im Alltag üblichen Maßnahmen gelten. Besonders strenge Regelungen beim Überqueren innereuropäischer Grenzen - wie die Pflicht zum PCR-Test oder zur Quarantäne - würden dagegen wahrscheinlich in Kürze ihre Relevanz verlieren, hieß es. Denn dann wird Omikron ohnehin in allen Ländern des Kontinents verbreitet sein.

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