Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Dänemark tötet alle Nerze

Die Behörden sind wegen einer Mutation des Coronavirus alarmiert. Der veränderte Erreger ist auf mehrere Menschen übergesprungen - und könnte die Wirkung von Corona-Impfstoffen beeinträchtigen.

Von Kai Strittmatter

Als Schutzmaßnahme gegen eine neue Mutation des Coronavirus werden die dänischen Behörden in den nächsten Tagen alle 15 bis 17 Millionen Zuchtnerze im Land töten. Die Regierung ordnete den drastischen Schritt überraschend am Mittwochnachmittag an. In der Region Jütland war zuvor erstmals seit Aufkommen der Corona-Pandemie beobachtet worden, dass eine "Cluster 5" genannte Mutante des Virus von infizierten Tieren auf den Menschen übergesprungen ist. Dabei entdeckten nach Angaben von Premierministerin Mette Frederiksen die Gesundheitsbehörden mittlerweile bei zwölf infizierten Dänen Viren mit Mutationen, die dafür sorgen könnten, dass das Virus weniger empfindlich auf Antikörper reagiert, die sich gegen das Stachel-Protein auf der Virusoberfläche richten. Solche Antikörper bildet das menschliche Immunsystem als Reaktion auf das Virus oder eine Impfung; sie sollen verhindern, dass das Virus an menschliche Zellen andockt. Nach Ansicht der dänischen Behörden könnten die mutierten Viren daher im schlimmsten Falle unempfindlich gegen die sich weltweit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe sein.

Noch ist sehr wenig über die Veränderung des Erregers bekannt

Von möglicherweise "verheerenden Folgen für die Pandemie weltweit" sprach deshalb Premierministerin Frederiksen. "Im schlimmsten Falle haben wir eine Pandemie, die in Dänemark von vorne beginnt", sagte Kåre Mølbak, der Direktor für Infektionsvorsorge beim Statens Serum Institut in Kopenhagen, das die Corona-Pandemie wissenschaftlich begleitet. Politiker anderer Parteien im dänischen Parlament unterstützten das Vorgehen der Regierung gegen die Nerzzucht, es gehe darum, eine "mögliche neue globale Katastrophe" zu verhindern, schrieb Pernille Skipper, die Sprecherin der rot-grünen "Einheitsliste" auf Twitter. Neben der Tötung der Nerze ordneten die Behörden zudem an, dass die Einwohner der betroffenen Regionen ihre Gemeinden für vorerst vier Wochen nicht mehr verlassen sollten.

Wissenschaftler anderswo nahmen die Nachricht mit mehr Zurückhaltung auf. Emma Hodcroft von der Universität Basel meldete am Mittwochabend auf Twitter Skepsis an. Bloß weil eine Virenvariante einen Grad an Resistenz gegen Antikörper entwickle, mache das "nicht notwendigerweise" mögliche Impfstoffe wirkungslos. Es sei ebenso vorstellbar, dass die Mutation "keinerlei Effekt" habe. Allerdings wisse man außerhalb Dänemarks noch zu wenig über die Mutation in den dänischen Nerzen. Hodcroft kritisierte, dass die dänischen Wissenschaftler und Behörden die Details der neuen Virusvariante noch nicht mit ihren Kollegen weltweit geteilt hätten: "Erklärungen ohne Kontext lösen Alarm, Sorge und panische Schlagzeilen aus. Das hilft keinem."

Der Kopenhagener Infektionsmediziner Jens Lundgren forderte ebenfalls dringend mehr Informationen vom Statens Serum Institut. Schließlich seien Mutationen im Spike-Protein von Sars-CoV-2 bei Nerzpopulationen schon oftmals beschrieben worden, ohne so große Besorgnis auszulösen: "Das Problem ist, dass sie bislang nicht gesagt haben, welche Art von Mutationen sie gefunden haben, ob es etwas völlig Neues ist."

Dänemark war bis zu dieser Woche der weltweit größte Hersteller von Nerzfellen

Die dänische Regierung sieht jedenfalls genug Anlass zur Sorge, um praktisch über Nacht einen ganzen Industriezweig auszulöschen: Dänemark war bis zu dieser Woche der weltweit größte Hersteller von Nerzfellen. "Kopenhagen Fur", das Auktionshaus der dänischen Nerzzüchter, hat einen Marktanteil von 70 Prozent der weltweit verkauften Nerzfelle. Zur Hochzeit, im Jahr 2013, exportierte Dänemark Nerzfelle im Wert von fast zwei Milliarden Euro. Nach Angaben des Branchenverbandes Danske Minkavlere beschäftigt die Nerzzucht im Moment 6000 Menschen, es gibt ungefähr 1100 Nerzfarmen im Land, die meisten in Nord- und Westjütland. Sie alle verlieren nun ihre Tiere und ihr Auskommen.

In 207 der Farmen wurden bislang Covid-19-Infektionen festgestellt, das Virus wurde dort wohl von Menschen eingeschleppt und sprang dann auf die Nerzpopulationen über, wo es mutierte und in der Folge wieder Menschen infizierte. Erste Infektionen waren schon im August entdeckt worden. Die Regierung sagt jedoch, eine mögliche Gefahr sei erst in den letzten Wochen erkennbar geworden. Das Statens Serums Institut erklärte, erst die neueste Forschung habe die Gefährlichkeit der Mutation für zukünftige Impfstoffe nahegelegt, weswegen man auch erst seit dieser Woche eine Fortsetzung der Nerzzucht als "erhebliches Risiko für die öffentliche Gesundheit" einstufe. Mittlerweile habe man beobachtet, dass vier bis fünf Prozent aller Infizierten in Nordjütland das mutierte "Cluster 5"-Virus in sich trügen. Bei zwölf untersuchten Menschen entdeckten Forscher dann eine Mutation des Virus an genau jenen Stellen, die für die Wirkung möglicher Impfstoffe wichtig sind; deshalb habe man Alarm geschlagen.

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Der Landwirtschaftsminister Mogens Jensen betonte, es gebe in Dänemark nun kein Verbot der Nerzzucht. Er räumte allerdings ein, dass die Tötung des jetzigen Bestandes "de facto die Schließung der Nerzindustrie in Dänemark" für die nächsten Jahre bedeute. Die Regierung kündigte eine Entschädigung für die Züchter und andere Betroffene an. Von einer "tragischen Situation, die vielen Familien den Teppich unter den Füßen wegzieht", sprach Tage Pedersen, der Vorsitzende des Branchenverbandes Danske Minkavlere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk DR. Die Arbeit von Jahrzehnten sei nun zunichte: "Wir hatten in Dänemark die weltweit beste und gesündeste Nerzpopulation aufgebaut."

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