Comics in der Medizin:Das andere Bild vom Tumor

Wer will schon Comics lesen, die sich mit schweren Erkrankungen auseinandersetzen? Tatsächlich können Bildergeschichten bei der Patientenaufklärung helfen und die Ausbildung der Ärzte verbessern.

Berit Uhlmann

Es kommt nicht oft vor, dass ein Hochglanzmagazin wie Glamour und das British Medical Journal in Wohlwollen vereint sind. So ungewöhnlich wie die Allianz der Medien ist die Kombination von Inhalt und Form in dem Werk, das die Zustimmung hervorbrachte: ein Comic über Krebs.

Comics in der Medizin

Rufen Sie an, wenn Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt. Meldet sich die Patientin tatsächlich, reagieren Ärzte unterschiedlich: "Atemnot? Was erwarten Sie bei Lungenkrebs?" - "Seltsame Stiche im Kopf? Normal bei Hirntumoren." Andere Ärzte halten der Patientin vor, dass sie nicht angerufen hat.

(Foto: Brian Fies)

2007 veröffentlichte die New Yorker Zeichnerin Marisa Marchetto eine Bildgeschichte über die Turbulenzen in ihrem Leben, als sie mit 43 Jahren nahezu gleichzeitig einen Heiratsantrag und die Diagnose Brustkrebs erhielt. "Cancer Vixen" (auf Deutsch in etwa: Krebs-Hexe) gefiel Publikumsmedien als ein Werk, das durchaus "Humor im Tumor" finden kann. Gesundheitsexperten schätzen es als gelungenes Beispiel eines medizinischen Comics, der sich auch zur Patientenaufklärung eigne.

In den vergangenen Jahren entstanden vor allem im angelsächsischen Raum solche grafischen Erzählungen, in denen sich Zeichner mit schweren Erkrankungen wie Krebs oder psychischen Leiden auseinandersetzen. Zu den bekanntesten gehört neben "Cancer Vixen" der vom US-Autor Brian Fies gestaltete, preisgekrönte und auch ins Deutsche übersetzte Comic "Mutter hat Krebs". Ist mit den bildreichen Erzählungen endlich ein Medium gefunden, das die Lücke im Wissen und Erleben zwischen Arzt und Patienten überbrücken könnte?

Wie weit entfernt der Wissensstand von Medizinern und Patienten ist, zeigte sich, als Wissenschaftler mehr als 700 Briten nach der Lage innerer Organe befragten. Gerade die Hälfte konnte sie korrekt lokalisieren. So konnten nur 56 Prozent der Befragten den genauen Sitz des Herzens zeigen. Erstaunlicherweise waren es unter den Herzpatienten noch fünf Prozent weniger.

Verständnislose Ärzte

Ihnen gegenüber stehen Ärzte, die nicht nur anatomische Kenntnisse voraussetzen, sondern im Gespräch mit Patienten durchschnittlich vier Fachbegriffe verwenden, die nur Ärzte verstehen, wie eine Auswertung von Arztkonsultationen in San Francisco ergab. In einer landesweiten Erhebung gaben mehr als 40 Prozent der Amerikaner an, medizinisches Fachpersonal nicht richtig zu verstehen.

An Verständnis scheint es auch auf Seiten der Ärzte zu mangeln. Als britische Forscher 400 Gespräche zwischen Onkologen und Patienten auswerteten, zeigte sich, dass Ärzte in fast 80 Prozent aller Fälle nicht reagierten, wenn die Erkrankten emotionale Aspekte ihrer Krankheit zum Ausdruck brachten.

Man kann diese Misere mit endlosen weiteren Zahlen, auch aus Deutschland, belegen - oder sie in einem Bild ausdrücken: Nur vier noch dazu Furcht einflößende Worte versteht die Protagonistin von "Cancer Vixen" aus den Erläuterungen ihres Onkologen, die dieser ungeachtet ihrer schreckgeweiteten Augen monoton fortspinnt (siehe Bild unten).

Wertvoll für die Gesundheitsaufklärung

Solche komprimierte, intuitiv zu erfassende Informationen hält Michael Green für ein wertvolles Instrument in der Gesundheitsaufklärung. Green unterrichtet an der Penn State University Medizinstudenten und sieht angesichts einer globalisierten Welt, die sich nicht unwesentlich mit Hilfe von Symbolen, Markenzeichen und Emoticons verständigt, die Zeit gekommen, mehr Bilder in die Medizin einzuführen - auch, aber nicht nur, um Menschen mit eingeschränkten Sprachkenntnissen besser zu informieren.

Comics in der Medizin

Der Arzt redet und redet. Die Patientin versteht nur Begriffe wie Krebs, Lymphknoten oder Tumor-Operation.

(Foto: Marisa Acocella Marchetto)

Green schlägt vor, dass Ärzte ihren Patienten Werke wie "Cancer Vixen" empfehlen. Mit dem Comic in der Hand könnten Tumorpatienten sich ein Bild davon machen, welche Prozeduren auf sie zukommen, argumentierte er im British Medical Journal. Die Bildgeschichte habe das Potenzial, zur Grundlage für Visiten zu werden, sie könnte Kranke zu mehr Fragen animieren und dadurch manches Arzt-Patienten-Verhältnis verbessern.

"Schon scheinen Gesundheitsexperten zu denken: Gute Idee, lasst uns Comics machen, um Patienten auf einfachem Weg zu informieren", hat der britische Arzt und Comic-Zeichner Ian Williams beobachtet, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. "Autobiografische Comics können trösten und inspirieren", sagt er. Dennoch bergen die medizinischen Erzählungen für ihn mehr Fragen als Antworten. Zunächst: Nehmen Patienten Comics überhaupt an?

Brian Fies' Erzählung über die Krebserkrankung seiner Mutter wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. "Bei aller Ehre", scherzt der Autor heute, "hat mich die Nominierung sehr überrascht, denn ich hatte bis dahin gar nicht bemerkt, dass ich ein Kinderbuch geschrieben hatte."

Der Preis für "Mutter hat Krebs" zeigt, welches Image Comics anhaftet: Sie gelten als Lektüre für Menschen mit beschränkter Bildung und Lesefähigkeit. "Patienten könnten es als herablassend empfinden, wenn Ärzte ihnen Comics aushändigen", warnt daher Ian Williams. Auch Michael Green räumt ein, dass sich Patienten durch die Leseempfehlung "abgespeist und nicht ernst genommen" fühlen könnten.

Die Macht der Bilder

Doch selbst wenn Ärzte Patienten von der Comic-Lektüre überzeugen können, ist unklar, welche Botschaft Kranke daraus ziehen. Es ist bekannt, dass die Kombination von Text und emotionsgeladenen Bildern stärker wirken kann als Worte allein. Als australische Forscher auf Uni-Toiletten die Folgen mangelnder Handhygiene in unappetitlichen Bildern und einem Begleittext aufzeigten, wuschen sich deutlich mehr Studenten die Hände als in Waschräumen, in denen nur Text-Tafeln aufklärten.

Andere Studien zeigten jedoch, dass Bilder nicht automatisch das Verständnis erhöhen. Diagramme werden häufig fehlinterpretiert. Britische Forscher verdeutlichten anhand von Interviews mit Krebspatientinnen, dass schon sprachliche Bilder, vom Arzt der Anschaulichkeit halber benutzt, lang haftende negative Assoziationen hervorrufen können, die den Glauben an die Genesung beeinträchtigen. Forschung darüber, wie ungleich komplexere Comics auf Erkrankte wirken, gibt es kaum. Dass Patienten sie fehlinterpretieren, wollen auch ihre Befürworter nicht ausschließen.

Einig sind sich Verfechter der medizinischen Comics daher vor allem in einem Punkt: Comics können aufklären - sogar die Ärzte. Mag das Genre für Patienten manchmal zu komplex sein, in der Medizinerausbildung kann das von Vorteil sein. Comics sind schließlich ein Medium, das Interpretation erfordert.

Training der Beobachtungsgabe und Empathie

Ein Teil der Handlung, so die Theorie, findet zwischen den Zeichnungen statt, der Betrachter muss die Handlung von Bild zu Bild selbst ergänzen. Für angehende Ärzte, so argumentiert Michael Green, ist diese Interpretationsarbeit ein gutes Training, um Beobachtungsgabe und Empathie zu schulen. Dabei verdeutlichten gerade die emotionsreichen Comics, dass Heilen mehr als die Behandlung des Körpers umfasst.

Grafische Erzählungen können im Medizinerseminar auch Diskussionen über ethische Probleme anstoßen, sagt Ian Williams. Brian Fies' Comic wirft beispielsweise die Frage auf, ob und wie einer Patientin überhaupt gesagt werden soll, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einem Karzinom ihres Typs nur fünf Prozent beträgt.

Michael Green hat positive Erfahrungen mit Comiclesen als Ausbildungsbestandteil gemacht. Seit zwei Jahren lässt er angehende Ärzte an der Penn State University medizinische Bildgeschichten zeichnen und besprechen. "Anfangs kamen die Studenten, weil der Kurs zufällig in ihren Stundenplan passte", sagt Green, "mittlerweile gibt es eine Warteliste."

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