Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Warum Drostens Rückzug aus dem Sachverständigenrat richtig ist

Der Expertenausschuss zur Bewertung der Pandemie-Maßnahmen kann seine Aufgaben gar nicht erfüllen. Der Austritt von Christian Drosten ist nachvollziehbar.

Kommentar von Christina Berndt

Christian Drosten reicht es. Ob das Masketragen effektiv war, die Schulschließungen richtig? Und wie das Infektionsschutzgesetz anzupassen ist, damit es künftig ohne Notstandsparagrafen auskommt? Aus jenem Sachverständigenausschuss, der diese Fragen beantworten und die Maßnahmen der Bundesregierung in der Pandemie bewerten soll, ist der Virologe soeben ausgetreten. Es ist ein herber Verlust, schließlich ist Drosten einer der führenden Experten, und Antworten auf diese Fragen zur Vorbereitung auf den Herbst sind wichtig. Und doch ist dieser Austritt richtig und nachvollziehbar.

Weniger, weil Christian Drosten Interessenkonflikte hat. Ja, der Virologe gehört zu jenen Fachleuten, die die Bundesregierung in ihrer Entscheidung über die Corona-Maßnahmen beraten haben, und er sitzt auch weiter in deren Expertenrat. Allerdings hat jeder namhafte Experte in der Pandemie Stellung bezogen - sie alle haben ein Interesse, sich durch die Evaluation in ihren Empfehlungen bestätigt zu fühlen.

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Was schwerer wiegt: Der Sachverständigenausschuss, den Bundesregierung und Bundestag eingesetzt haben, war von Anfang an nicht so aufgestellt, dass er seine Aufgaben hätte erfüllen können, schon gar nicht bis Ende Juni. Er wurde nach politischem Proporz besetzt, ohne dass jemand die Besetzung koordiniert hätte. So sind unter den 17 verbliebenen Mitgliedern gerade mal zwei Virologen zu finden, niemand aus Epidemiologie oder Immunologie, dafür sechs Juristen. Zuarbeitende, die die wissenschaftlichen Publikationen nach ihrer Evidenz vorsortieren, fehlen. Noch dazu sticht jemand aus dem Ausschuss regelmäßig Interna aus den Sitzungen an die Springer-Presse durch. Deshalb zog Drosten jetzt die Reißleine.

Ist eine Evaluation der Corona-Maßnahmen überhaupt möglich?

Immerhin bietet sein Austritt eine gute Gelegenheit, die Probleme bei der Bewertung der Corona-Maßnahmen der Öffentlichkeit deutlich zu machen. Denn ob eine Evaluation überhaupt seriös möglich sein wird, ist fraglich, weil sich die diversen Effekte kaum auseinanderklamüsern lassen. So bleiben, wenn die Schulen geschlossen sind, nun einmal viele Eltern im Home-Office; und allein die Diskussion über Maßnahmen führt zu Verhaltensänderungen. Fundierte wissenschaftliche Publikationen werden womöglich noch Monate und Jahre auf sich warten lassen.

Am Ende wird die Kommission sagen müssen, der Wert vieler Maßnahmen lasse sich noch nicht abschließend beurteilen - eine Schlussfolgerung, die viele Menschen zu der Aussage verleiten wird, der Nutzen all dieser Drangsalierungen sei ja gar nicht belegt. Die Politik kann aber nicht auf die letzte wissenschaftliche Evidenz warten. Sie wird im Falle gefährlicher Infektionen erneut Schutzmaßnahmen ergreifen müssen, auch ohne dass deren Wirksamkeit nach höchsten Standards bewiesen ist.

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