Chirurgie:Jeder dritte Chefarzt räumt überflüssige OPs ein

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In Kardiologie, Unfallchirurgie und Orthopädie gibt es besonders viele unnötige Schnitte. Ein Drittel der Chefärzte greift zum Skalpell, um die wirtschaftliche Lage der Klinik aufzubessern.

Von Ilse Schlingensiepen, Essen

Die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser schadet den Patienten. Wer in eine Klinik eingewiesen wird, muss befürchten, weniger nach medizinischen als nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten behandelt zu werden. Um zusätzliche Einnahmen zu erzielen, nehmen Ärzte Eingriffe vor, die nicht erforderlich sind. Das sagt mehr als ein Drittel der befragten Chefärzte in einer Umfrage. Auf der anderen Seite werden Patienten notwendige Leistungen vorenthalten.

Wissenschaftler des Lehrstuhls für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen hatten Chefärzte, Pflegedirektoren und Geschäftsführer in Kliniken bundesweit dazu befragt, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Versorgung auswirken. Die Ergebnisse sind erschreckend: 39 Prozent der befragten Chefärzte sind der Ansicht, dass aus ökonomischen Gründen Eingriffe vorgenommen werden, die gar nicht erforderlich sind, um die Kapazitäten der Kliniken auszulasten. Das gilt besonders für die Kardiologie sowie Unfallchirurgie und Orthopädie.

Andererseits geben 21 Prozent der Chefärzte an, dass sie mindestens einmal im Monat einem Patienten eine nützliche Behandlung vorenthalten oder sie durch eine billigere ersetzen. 46 Prozent der Befragten mussten zumindest einmal in den vergangenen sechs Monaten Leistungen einschränken. Dabei gab es keine großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Fachrichtungen. "Rationierung ist kein spezielles Problem der Hochkostenbereiche", sagt Antonius Reifferscheid, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl, bei der Vorstellung der Studienergebnisse. Das Ausmaß der Kürzungen sei eher gering. "Sollten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aber weiter verschärfen, kann sich das schnell ändern."

Die wirtschaftliche Lage der Kliniken ist prekär

Die Forscher hatten knapp 5000 Fragebögen verschickt, 43 Prozent der Adressaten antworteten auch. Das ist ein hoher Wert, der zeigt, wie wichtig dem Führungspersonal der Kliniken das Thema ist. "Es gibt keinen, der den finanziellen Druck nicht spürt", sagt Reifferscheid. "Ein Großteil der Befragten sieht Defizite in der Patientenversorgung."

Die wirtschaftliche Lage der Kliniken ist tatsächlich prekär. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, das Beratungsunternehmen Accenture und das Institute for Health Care Business geben regelmäßig den Krankenhaus Rating Report heraus. Das Ergebnis des jüngsten Berichts: Im Jahr 2012 haben 35 bis 40 Prozent der Kliniken Verluste gemacht, 16 Prozent droht erhöhte Insolvenzgefahr. Die Verfasser des Reports schätzen den Investitionsstau in den Krankenhäusern auf rund 15 Milliarden Euro. Auch die Daten des Deutschen Krankenhausinstituts zeichnen ein düsteres Bild. Danach sind 50 Prozent der Kliniken defizitär.

"Wir haben strukturelle Probleme im Krankenhaus, die sich im Zeitverlauf verstärkt haben", betont der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinmanagement. Als Hauptgrund sieht er die mangelnde Investitionsbereitschaft der Bundesländer. Die Folge: "Die Krankenhäuser müssen versuchen, aus den Mitteln für die Krankenbehandlung Investitionen herauszuschneiden, was eigentlich nicht vorgesehen ist."

Nach der Untersuchung gehen 82 Prozent der Pflegedirektoren, 70 Prozent der Chefärzte und 66 Prozent der Geschäftsführer davon aus, dass in ihren Häusern die finanzielle Situation die Versorgung beeinflusst. "Gerade im Bereich der Pflege und der Zuwendung werden von allen Beteiligten erhebliche Defizite wahrgenommen", berichtet Reifferscheid. Eine Zwei-Klassen-Medizin fürchtet aber kaum jemand. Nur 28 Prozent des Führungspersonals in den Kliniken zweifeln daran, dass Kassen- und Privatpatienten gleich gut versorgt werden.

© SZ vom 08.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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