Süddeutsche Zeitung

Drogen:Wer täglich kifft, leidet häufiger an Psychosen

  • Wissenschaftler haben in einer großen Studie in Europa und Brasilien den Konsum von Cannabis und die Folgen für die psychische Gesundheit untersucht.
  • Probanden, die täglich Cannabis kosumierten, erkrankten häufiger an Psychosen als Nicht-Konsumenten.
  • Handelte es sich dabei um Hanf mit einem hohen Gehalt der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC), sind Psychosen sogar fünfmal häufiger aufgetreten.

Von Kathrin Zinkant

Für den Laien ist an den kerzenförmigen, von Flaum überzogenen Blüten kein Unterschied erkennbar. Doch für Freunde des Marihuana trennen Hanfsorten wie Royal Gorilla und CBD Therapy Welten. Während die Variante mit dem Affennamen nämlich bis zu 30 Prozent berauschendes, psychoaktives Tetrahydrocannabinol (THC) enthält und in Kifferkreisen als krasser Turbo gefeiert wird, ist CBD Therapy eher nichts für Menschen, die high werden wollen. Es liefert fast ausschließlich Cannabidiol, kurz CBD, und damit den beruhigenden, entspannenden, antipsychotischen Gegenspieler von THC. In hochpotenten Sorten wie Royal Gorilla fehlt dieser Gegenspieler jedoch fast völlig - während der THC-Gehalt immer weiter steigt. Und das wird allmählich zu einem gewaltigen Problem.

Wie ein europäisches Forscherteam in der aktuellen Ausgabe von Lancet Psychiatry berichtet, könnte mehr als jede zehnte Psychose in Europa vermieden werden, wenn kein Cannabis mit einem THC-Gehalt von mehr als zehn Prozent mehr verfügbar wäre. Für London berechneten die Wissenschaftler sogar eine Quote von 30 Prozent vermeidbarer Psychosen, für Amsterdam einen Spitzenwert von 50 Prozent.

Auch in Deutschland steigt der Anteil von THC im Cannabis immer weiter an

Für ihre Kalkulationen hatte das Team von Psychiatern und Drogenexperten über fünf Jahre hinweg mehr als 2000 Menschen an elf Standorten in Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Italien, Frankreich und Brasilien untersucht. Rund 900 der Studienteilnehmer hatten erstmalig psychotische Episoden durchlebt, die übrigen wurden an den Wohnorten als Kontrollen ausgewählt.

Wie die Ergebnisse der Studien zeigen, sind Psychosen bei täglichem Cannabiskonsum bereits dreimal so häufig wie bei Nichtnutzern. Turbosorten mit mehr als zehn Prozent THC jedoch treiben die Häufigkeit von Psychosen bei täglichem Gebrauch auf das Fünffache. Grundsätzlich sind psychotische Erkrankungen wie schizophrene oder affektive Störungen demnach an Orten häufiger, an denen besonders oft hochpotentes Cannabis konsumiert wird.

"Wir haben auch in Deutschland einen Anstieg von THC in Cannabisprodukten zu verzeichnen. Insofern ist das Ergebnis der Studie für uns relevant", sagt Ursula Havemann-Reinecke von der Universitätsmedizin in Göttingen. Die Psychiaterin lobt die Studie für ihre Methodik. Sie warnt zugleich auch vor einem Missverhältnis von steigendem THC- und weiterhin geringem CBD-Gehalt. "In der Regel enthalten die Cannabisprodukte für den Freizeitkonsum nur wenig Cannabidiol, weil am meisten die Wirkung von THC erwünscht ist."

Für die Ärztin ist die Studie ein Grund mehr, von einer Legalisierung Abstand zu nehmen. Das schätzen auch andere Experten so ein. "In den US-amerikanischen Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert haben, stieg der durchschnittliche THC-Gehalt als Folge der Legalisierung stetig weiter an", sagt Rainer Thomasius vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. "So sind dort teilweise Cannabisprodukte mit einem 40- bis 50-prozentigem THC-Gehalt erhältlich." Der Suchtforscher befürchtet deshalb, dass eine Legalisierung zu einer deutlichen Zunahme des Erkrankungsrisikos von Psychosen führt.

Eva Hoch vom Universitätsklinikum in München jedoch warnt vor dem voreiligen Schluss, Cannabis sei der zentrale Auslöser von Psychosen. "Selbst einer methodisch so guten Studie gelingt es nicht, alle möglichen Krankheitsrisiken als Einflussfaktoren mit zu erfassen und zu kontrollieren", sagt die Psychologin. Die Frage, ob Cannabis unabhängig von genetischen oder anderen Risikofaktoren psychotische Erkrankungen auslöse, bleibe nach wie vor ungeklärt.

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SZ vom 21.03.2019
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