Bundestag billigt PID:Gentest mit Geburtsfehler

Diffuser geht es kaum: Der Bundestag hat die Präimplantationsdiagnostik zugelassen, doch das neue Gesetz lässt viele Fragen offen. Eine schleichende Ausweitung des Gentests an Embryonen ist damit abzusehen, denn längst ist aus dem Wunsch nach einem gesunden Kind ein Zwang geworden. Um das zu verhindern, hätte PID verboten bleiben sollen.

Werner Bartens

Der Bundestag hat die Präimplantationsdiagnostik (PID) zugelassen. Der Gentest an Embryonen wird künftig erlaubt sein, wenn auch nur in Ausnahmefällen. Dass diese Ausnahmen nicht genauer definiert worden sind, ist der größte Mangel des neuen Gesetzes. Eine schleichende Ausweitung des Qualitätschecks in der Petrischale ist abzusehen. Man muss kein Wahrsager sein, um zu prophezeien, dass künftig immer mehr Embryonen auf immer mehr Defizite untersucht werden. Um das zu verhindern, hätte die PID verboten bleiben sollen.

Schreiende Babys

Längst ist aus dem Wunsch nach dem gesunden Kind ein Zwang geworden. Die PID wird - wegen der Unschärfen im Gesetz - ähnlich Karriere machen und Behinderung immer mehr zum Makel werden lassen, für den Eltern sich rechtfertigen müssen.

(Foto: dpa)

Zwar gilt Karl Valentins Diktum "Es ist schon alles gesagt worden, nur noch nicht von allen" auch für die Bundestagsdebatte zur PID. Die meisten Argumente hat man tatsächlich schon - und oft auch geschliffener und stringenter - gehört und gelesen. Dennoch war die vierstündige Diskussion ein Glanzlicht des Parlamentsbetriebs. Denn die Abgeordneten sparten in ihren oft emotionalen Begründungen für oder wider die Freigabe nicht mit persönlichen Motiven und Erlebnissen.

Sie zeigten damit eindrucksvoll, dass es in heiklen medizinischen Fragen meist keine naturwissenschaftlich eindeutig begründbare Wahrheit geben kann, und damit auch kaum eine Grenzziehung zwischen Falsch und Richtig. Das Votum der Politiker ergab sich bei vielen ganz offensichtlich aus der eigenen Familiengeschichte - dem eigenen unerfüllten Kinderwunsch oder Erfahrungen mit Krankheit, Behinderung und Leid - und weniger aus neuen Einsichten in Gendiagnostik oder Embryologie.

Es ging in der Abstimmung mit ihrem letztlich knappen Ergebnis nicht um Parteizugehörigkeit, um Konfession oder Geschlecht, sondern um subjektive Werteentscheidungen, ein diffuses Unbehagen und ja, so etwas wie Gewissen. Die meisten Abgeordneten argumentierten denn auch nicht besserwisserisch auftrumpfend, sondern vorsichtig. Sie äußerten Zweifel und waren sich keineswegs sicher, wie lange ihre Zustimmung oder Ablehnung der PID-Freigabe im eigenen Meinungsschatz Bestand haben wird.

Das ist kein Zeichen von Wankelmut, sondern spiegelt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema wider. Kurswechsel wie der von Ulla Schmidt (SPD), die im Gegensatz zu ihrer früheren Position die PID-Freigabe ablehnt, und der Schwenk von Peter Hintze (CDU), der die umgekehrte Entwicklung vollzogen hat, unterstreichen dies.

Wann ist schwer schon schwerwiegend?

Gerade weil sich so viele Abgeordnete nicht moralisch hochnäsig, sondern unsicher zeigten, ist den mit ihrem Gesetzentwurf erfolgreichen Befürwortern der PID um Hintze, Ulrike Flach (FDP) und Carola Reimann (SPD) vorzuwerfen, dass sie zu viele Fragen offen gelassen haben. In dem neuen Paragraphen zur Präimplantationsdiagnostik, der in das Embryonenschutzgesetz eingefügt wird, ist eben nicht geregelt, wann eine "hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit" gegeben ist, die eine PID straffrei zulässt.

Wann ist schwer schon schwerwiegend? In der Gesetzesbegründung werden darunter monogene Krankheiten verstanden, Leiden also, die auf einem Gendefekt beruhen. Was ist demnach Eltern mit einer Veranlagung für Mukoviszidose erlaubt, die durch Mutationen auf Chromosom 7 entsteht?

Obwohl das gestörte Gen seit 1989 bekannt ist, wissen Ärzte bis heute nicht, warum manche Betroffene nach vielen Lungenentzündungen und Darmverschlüssen schon als Jugendliche sterben, während andere Kranke mit der Mutation am gleichen Genort eine nahezu normale Lebenserwartung haben. Wie mit Krankheiten in der PID-Diagnostik umzugehen ist, die sich erst spät manifestieren oder deren Schweregrad schlicht nicht vorherzusagen ist, lässt der Gesetzentwurf offen.

Behinderung wird zum Makel

Auch die "hohe Wahrscheinlichkeit" für ein Leiden wird schwammig ausgeführt. Sie liegt dem Gesetzentwurf nach vor, wenn das Risiko "wesentlich" von dem der übrigen Bevölkerung abweicht. Diffuser geht es kaum. Ständig werden neue Genveränderungen entdeckt, die das Risiko für eine Krebserkrankung verändern könnten. Oft ist ungewiss, ob der Tumor je ausbricht - doch das Risiko unterscheidet sich nun mal von dem derjenigen, die diese Genvariante nicht aufweisen.

Rechtfertigt die vage Möglichkeit eines Krebsleidens im fortgeschrittenen Alter, dass die Embryonen "verworfen" werden, wie es in der PID-Sprache heißt? Das Gesetz lässt das offen.

Von der PID-Freigabe, wie sie jetzt beschlossen wurde, profitieren in Deutschland angeblich nur etwa 200 Paare jährlich. In der jetzt akzeptierten Ungenauigkeit trägt das Gesetz jedoch seine Erweiterung in der Praxis schon in sich, ein entscheidender Geburtsfehler.

Die Pränataldiagnostik war ursprünglich nur für Ausnahmen vorgesehen und ist fast zu einer Reihenuntersuchung geworden. Längst ist aus dem Wunsch nach dem gesunden Kind ein Zwang geworden. Die PID wird - wegen der Unschärfen im Gesetz - ähnlich Karriere machen und Behinderung immer mehr zum Makel werden lassen, für den Eltern sich rechtfertigen müssen.

Der Bundestag hat es sich schwergemacht, zu einer Entscheidung über Gentests an Embryonen zu kommen. Bedauerlich, dass über viele offene Fragen, die sich mit der PID-Freigabe stellen, dabei so leichtfertig hinweggegangen wurde.

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