Süddeutsche Zeitung

Behandlungsfehler:Ärzte sollten Pfusch offen eingestehen

Versagen ist menschlich. Aber wenn ein Arzt Fehler macht, kann das schwerwiegende Folgen haben. 2300-mal haben Ärzte laut Bundesärztekammer im vergangenen Jahr gepatzt. Das Mindeste, was sie ihren Patienten in solchen Fällen schulden, sind ausreichende Informationen und eine Begegnung auf Augenhöhe.

Charlotte Frank

Journalisten zum Beispiel kennen das aus dem täglichen Geschäft - aufmerksame Leser tragen dazu bei, dass sie es nie vergessen: Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler, leider. Journalisten schreiben falsche Nachrichten. Landschaftsgärtner verschneiden Buchsbäume. Konzertpianisten verpatzen Akkorde. Ärzte verpatzen Operationen.

Das mag wie eine zynische Aneinanderreihung klingen, tatsächlich zeigt es aber, dass nicht alle Fehler auf gleiche Weise schlimm sind. Aber auf gleiche Weise menschlich. Es verbietet sich also, aus Prinzip aufzuschreien, weil Ärzte im vergangenen Jahr fast 2300-mal bei Behandlung, Diagnose oder Aufklärung gepatzt haben; diese Zahl hat die Bundesärztekammer am Dienstag in Berlin genannt. Ohnehin ist diese Aufstellung aufgrund der hohen Dunkelziffer von nicht gemeldeten Fällen wenig aussagekräftig.

Wichtiger als sich angesichts der Zahlen grundsätzlich zu empören, wäre es deshalb, nun die Frage zu stellen, warum Ärzten Fehler unterlaufen - und wie den Menschen geholfen werden kann, die unter den oft dramatischen Folgen leiden.

Der Patient muss dem Arzt die Schuld nachweisen - nicht umgekehrt

Ein Patient, der sich zum Beispiel nach einer Operation dauerhaft schlecht fühlt und dabei einen Zusammenhang mit dem Eingriff vermutet, wird in Deutschland große Schwierigkeiten haben, seinem Arzt die Schuld dafür nachzuweisen. Denn nach deutschem Recht liegt die Beweislast beim Patienten: Nicht der Arzt muss beweisen, dass er alles richtig gemacht hat, sondern der Patient das Gegenteil darlegen.

Wie aber soll dies einem Nicht-Mediziner gelingen, der oft noch nicht einmal die Diagnose einer Mittelohrentzündung versteht? Das neue Patientenrechtegesetz, das das Bundeskabinett im Mai verabschiedet hat, schafft hier eher Verwirrung statt Abhilfe. Es verzichtet darauf, eine generelle Umkehr der Beweislast festzuschreiben.

Das ist noch verständlich, denn andernfalls entstünde, wie Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) oft sagt, unter Ärzten statt einer Fehlervermeidungskultur eine Risikovermeidungskultur. Deshalb hat Bahr sich entschlossen, die Beweislastumkehr nur für "grobe Fehler" ins Gesetz zu schreiben. Aber was ist ein grober Fehler? Ein Todesfall? Ein unnötig amputiertes Bein? Oder schon eine verschleppte Diagnose? Mit solchen schwammigen Formulierungen ist Patienten kaum geholfen. Ärzten hingegen schon.

Hinzu kommt, dass es Fehler gibt, die im medizinischen Sinne vielleicht nicht "grob" sind - und die doch nicht passieren dürfen. Betrachtet man die Statistik der Ärztekammer, so fällt zum Beispiel auf, dass eine hohe Zahl von Patienten beklagt, im Vorwege nicht ausreichend über Risiken informiert worden zu sein. Natürlich, es gibt Fälle, in denen das gar nicht möglich ist - ein Bewusstloser lässt sich schlecht beraten. Und doch könnten Ärzte viele dieser Beschwerden und das damit verbundene Unbehagen gegenüber ihrer Zunft vermeiden.

Wie unangenehm es ist, wenn Information ausbleibt, weiß jeder, der schon einmal ein paar Tage im Krankenhaus verbracht hat und sich dort das Wissen über den eigenen Zustand mosaikartig selbst zusammenklauben musste.

Dass dies geschieht, ist auch eine Folge der Bedingungen, unter denen viele Ärzte in Kliniken arbeiten: Überlange Schichten, gepaart mit einer körperlich und psychisch hohen Belastung, führen eher dazu, Fehler zu fördern als abzubauen.

Das allein aber kann keine Entschuldigung sein. Einem geschädigten Patienten kommt es im Nachhinein nicht mehr darauf an, wie viele Stunden sein Arzt vor der Operation geschlafen hat. Ihm kommt es darauf an, wie ein Arzt mit seinem Fehler umgeht, ob er seinem Patienten auf Augenhöhe begegnet und ob er zur Aufklärung des Schadens beiträgt. Dies ist noch viel zu selten der Fall - und das ist der eigentliche Vorwurf, den sich die Ärzteschaft gefallen lassen muss.

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SZ vom 20.06.2012/fhu
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