Süddeutsche Zeitung

Brustkrebs-Vorsorge:Wachsames Warten ist die beste Medizin

Was, wenn in der Brust ein Vorbote von Krebs lauert? Viele Frauen greifen zu drastischen Maßnahmen. Doch eine Studie zeigt: Die Brustkrebssterblichkeit ändert sich durch einen Eingriff nicht.

Ein Kommentar von Kathrin Zinkant

Der Besuch in einer modernen Radiologenpraxis ähnelt keinem normalen Arzttermin mehr. Eher fühlt man sich dort wie in einer Privatklinik. Weite Flure, große Räume, viele Geräte. Dazwischen wartende Frauen, die der Radiologie in den vergangenen Jahren ein recht großes Geschäftsfeld eröffnet haben. Denn die Frauen werden alle zwei Jahre von den Kassen hierher einbestellt. Um nach etwas suchen zu lassen, das sie nicht spüren. Das sie vielleicht gar nicht haben. Aber das sie fürchten. Denn was, wenn dort, wo nichts zu ertasten ist, doch schon ein Vorbote von Brustkrebs lauert?

Ja, was dann? Die Frage ist mehr als berechtigt, denn mit dem Mammografie-Screening haben sich die Diagnosen solcher Vorboten vervielfacht. Man nennt sie Ductales Carcinoma in Situ (DCIS). Wobei der wichtigste Teil der Bezeichnung nicht der mit dem Karzinom ist, sondern das "in situ", lateinisch für "am natürlichen Platz". Es bedeutet: Da sind zwar Tumorzellen in der Brust, genauer in den Milchgängen. Aber sie sind nicht in das umliegende Gewebe eingefallen. Sie sind nicht lebensbedrohlich. Sie erhöhen lediglich ein Risiko - nämlich das, im weiteren Leben an Brustkrebs zu erkranken. Man schätzt jedoch, dass mehr als die Hälfte dieser Karzinome bleiben, wo sie sind.

Verständlicherweise ist das wenig beruhigend für die Betroffenen. Viele gehen daher auf Nummer sicher und lassen sich nach einer DCIS-Diagnose die Brust ganz oder teilweise amputieren. Und bei allem Respekt vor den modernen Möglichkeiten der kosmetischen Chirurgie: Das Leben der Frau ist danach ein anderes. Aber ist es im Zweifelsfall wenigstens gerettet?

Manchmal ist es gut, einfach abzuwarten

Daran hat es immer Zweifel gegeben, und am Donnerstag ist nun die bislang umfassendste Studie zu dieser Frage erschienen. Die Forscher haben mehr als 100 000 Frauen mit DCIS über 20 Jahre hinweg begleitet - und das Resultat bestätigt : Ob und wie sich eine Patientin mit einem DCIS behandeln lässt, spielt keine Rolle. Die Brustkrebssterblichkeit ändert sich durch einen Eingriff nicht (Jama Oncology, Online).

Das muss ein Schlag ins Gesicht der Frauen sein, die sich zumindest einen kleinen Vorteil durch den massiven Eingriff in ihren Körper erhofft hatten. Offenbar gibt es ihn nicht. Vielleicht streuen die Vorboten des Krebses bereits unbemerkt, bevor eine DCIS-Diagnose gestellt wird. Was aber ist nun zu tun?

Die Radiologenpraxen werden sich weiter mit Frauen füllen. Weiter wird man Krebsvorstufen finden. Weiter werden Frauen auf einem Eingriff bestehen, aus Angst um ihr Leben. Sie könnten aber mit der gleichen Begründung auch warten. Warten, ob sie wirklich krank werden. Mediziner nennen das "watchful waiting". Und es ist eine gute Alternative. Wahrscheinlich sogar die beste.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2015/jobr
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