Süddeutsche Zeitung

Brustkrebs-Screening:Zwischen Fehlalarm und Lebensrettung

Eine regelmäßige Mammografie kann Leben retten. Aber die Röntgen-Untersuchung stellt oft auch fälschlicherweise Brustkrebs fest, wie Daten eines europäischen Ärzteteams belegen. Wie hoch ist also der Preis der Diagnose?

Werner Bartens

Für die einen ist die Mammografie eine lebensrettende Untersuchung und der beste Schutz vor Krebs. Für die anderen ist die Röntgenaufnahme der Brust gleichbedeutend mit Ängsten und unnötigem Leid. Das Problem: An beiden Extrempositionen ist etwas Wahres dran. Und beide werden den Überlegungen besorgter Frauen nicht gerecht, die vor der Frage stehen, ob sie sich ab dem Alter von 50 Jahren regelmäßig alle zwei Jahre zum Mammografie-Screening einfinden sollen, obwohl sie keinerlei Beschwerden haben und auch keinen Knoten in ihrer Brust tasten.

Ein europäisches Ärzteteam um Eugenio Pacio aus Florenz hat im Journal of Medical Screening vom heutigen Donnerstag die Ergebnisse von Screeningprogrammen mit zwölf Millionen Frauen in 18 europäischen Ländern ausgewertet (Bd. 19, Suppl. 1, S. 5, 2012). Bezogen auf 1000 Frauen im Alter zwischen 50 und 69 könnten demnach sieben bis neun Leben gerettet werden, wenn sich Frauen regelmäßig einer Mammografie unterziehen. (Fast alle Screening-Studien beziehen sich auf diese Altersspanne, weil bei Frauen unter 50 das Brustgewebe so dicht ist, dass die Ergebnisse ungenau sind und ein Nutzen der Untersuchung nicht erwiesen ist.)

Dem Vorteil von sieben bis neun geretteten Leben stehen allerdings einige Nachteile der Reihenuntersuchung gegenüber. Die Autoren zeigen dies anschaulich am Beispiel einer Stadt, in der 1000 Frauen im Alter von 50 oder 51 Jahren leben. In den kommenden zwei Jahrzehnten würden etwa 67 Frauen die Diagnose Brustkrebs erhalten und 30 daran sterben.

Würden sich die 1000 Frauen in den kommenden 20 Jahren hingegen alle zwei Jahre einer Mammografie unterziehen, errechneten die Forscher aus den Erfahrungen mit bisherigen Screeningprogrammen, dass 21 bis 23 von ihnen am Brustkrebs sterben - also sieben bis neun durch das regelmäßige Röntgen der Brust gerettet würden.

Bei den meisten Frauen wird die Mammografie jedoch keinen auffälligen Befund ergeben. Sie nehmen die Strahlenbelastung auf sich und haben keinen weiteren Nutzen von der Untersuchung. Bei etlichen Frauen fällt der Befund jedoch unklar aus. Von 1000 Frauen bekämen nach der aktuellen Berechnung 170 zunächst die Diagnose Brustkrebs gestellt. Nach einer Zeit der Angst und Verunsicherung zeigt sich dann allerdings nach wenigen Wochen und einer erneuten Röntgenuntersuchung, dass sie doch keinen bösartigen Tumor haben, sondern die Mammografie falsch positiv ausfiel und einen Fehlalarm auslöste.

Bei 30 von 1000 Frauen ist der in der Mammografie erhobene Befund so schwer zu deuten, dass sie nicht nur erneut geröntgt werden, sondern auch Gewebeproben mittels Nadelbiopsie oder Operationen notwendig sind, bevor sich die auffällige Stelle nach einer anstrengenden Zeit des Hoffens und Bangens doch nur als harmlose Gewebevariante herausstellt.

Vier der 1000 Frauen würden gar irrtümlicherweise alle Phasen der Untersuchung durchmachen, Brustkrebs diagnostiziert bekommen und operiert, chemotherapiert oder bestrahlt werden - obwohl sie gar keinen bösartigen Tumor in sich tragen. Diese Form der Überdiagnose und Übertherapie ist wohl der schlimmste Nachteil des Mammografie-Screenings, doch wie ist diese überflüssige Verängstigung und Therapie sowie die Verunsicherung von fast 200 der 1000 Frauen zu gewichten angesichts von sieben bis neun geretteten Leben?

Aus Sicht des Epidemiologen Peter Gøtzsche vom Cochrane-Zentrum Kopenhagen ist die Summe der Nachteile so groß, dass "der beste Weg für Frauen, ihr Brustkrebsrisiko zu senken, darin besteht, sich vom Screening fernzuhalten".

Doch sowohl Gøtzsches Fazit als auch die aktuelle Auswertung speist sich aus statistischen Daten. Frauen, deren engste Freundin gerade erkrankt oder gestorben ist, helfen derlei Analysen für die eigene Entscheidung oftmals nicht weiter. Im New England Journal of Medicine fordern die US-Mediziner Jerome Groopman und Pamela Hartzband ihre Kollegen dazu auf, dass sich Empfehlungen für Patienten nicht nur an der Zahl der Todesfälle ausrichten sollten.

"Wie wägt eine Frau die Angst vor einer Biopsie wegen eines Fehlalarms gegen die Möglichkeit ab, dass sie später wegen eines größeren Tumors operiert und bestrahlt werden muss?", fragen die Mediziner. "Das sind so große Unsicherheiten, dass es weder ignorant noch irrational ist, die Empfehlungen von Experten zu hinterfragen."

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Quelle:
SZ vom 13.09.2012/hmet
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