Fünfte Welle:Wie groß ist die Boosterlücke noch?

Fünfte Welle: Ärmel hoch: Die Boosterimpfung kann das Virus zumindest bremsen.

Ärmel hoch: Die Boosterimpfung kann das Virus zumindest bremsen.

(Foto: Virginia Mayo/AP)

Der empfohlene Abstand zwischen zweiter und dritter Spritze wurde auf drei Monate verkürzt. Wie viele Menschen jetzt ihren Impfschutz verbessern können und warum das alleine nicht reichen wird, um Omikron zu bremsen.

Von Hanno Charisius und Sören Müller-Hansen

Kurz vor Weihnachten purzelten die Rekorde, mehr als sieben Millionen Menschen ließen sich binnen einer Woche gegen Covid-19 impfen. Den größten Anteil daran hat die erfolgreiche deutsche Boosterkampagne, etwa 30 Millionen Personen haben inzwischen ihren meist im Frühjahr oder Sommer erhaltenen Impfschutz mit einer dritten Spritze verbessert.

Bis zum 21. Dezember hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) für die Auffrischungsimpfung noch einen Abstand von sechs Monaten zwischen Abschluss der Grundimmunisierung und dem Booster empfohlen. Drei Tage vor Weihnachten halbierte die Stiko den ratsamen Abstand zwischen zweiter und dritter Spritze auf drei Monate. "Ziel ist es, durch diese forcierte Auffrischimpfkampagne und den verkürzten Impfabstand schwere Verläufe von Covid-19 zu verhindern und die Transmission insbesondere der sich ausbreitenden Omikron-Variante zu vermindern", heißt es in der Begründung.

Tatsächlich war die Realität dieser Empfehlung bereits Mitte Dezember zuvorgekommen. In vielen Bundesländern wurde da die Auffrischung schon nach fünf Monaten angeboten, an vielen Impfstellen konnte man sogar noch früher eine dritte Impfdosis bekommen. Bis zum 21. Dezember waren deshalb bereits gut eine Million Menschen mehr zum dritten Mal geimpft worden, als sechs Monate zuvor ihre Grundimmunisierung abgeschlossen hatten.

Die geänderte Stiko-Empfehlung war nicht nur eine Reaktion auf die Ausbreitung der Omikron-Variante, sondern auch etlichen Studien geschuldet, die einen nachlassenden Impfschutz bereits deutlich früher als sechs Monate nach der zweiten Spritze belegten. Durch den geänderten Impfabstand wächst allerdings auch die "Boosterlücke" wieder. Das ist die Differenz aus der Zahl der Menschen, die nach der aktuellen Empfehlung eine Boosterspritze bekommen sollten, und denjenigen, die sie bereits bekommen haben. Demnach stehen aktuell knapp 25 Millionen Auffrischungsimpfungen aus.

Fachleute warnen davor, den Abstand zwischen zweiter und dritter Impfung weiter zu verkürzen

Tatsächlich könnte die Lücke sogar noch etwas größer sein. Umfragen zufolge ist es wahrscheinlich, dass in der offiziellen Statistik einige einfach oder doppelt Geimpfte fehlen. Außerdem empfiehlt die Stiko denjenigen, die nur einmal den Impfstoff des Herstellers Johnson & Johnson erhalten haben, bereits nach mindestens vier Wochen eine Auffrischung mit den mRNA-Vakzinen von Moderna oder Biontech.

Selbst wenn die Boosterkampagne jetzt zum Erliegen kommen sollte, wird die Lücke aber nicht mehr drastisch wachsen. Im Herbst 2021 ließen sich nur sehr wenige Menschen in Deutschland zum ersten Mal gegen Covid-19 impfen. Zu den aktuell Boosterberechtigten werden deshalb bis Anfang März nur noch weniger als vier Millionen hinzukommen.

Fachleute warnen jedoch davor, den Abstand zwischen zweiter und dritter Impfung weiter zu verkürzen. Das Immunsystem muss seine Antwort auf eine Impfung erst voll entwickeln, damit die nächste Spritze ihre Wirkung voll entfalten kann. "Eine Boosterimpfung wirkt nur dann wirklich verstärkend auf die angestrebte Schutzwirkung, wenn sie nicht in eine noch laufende Immunantwort hinein erfolgt", sagt Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts der Uniklinik Erlangen und Mitglied der Stiko. Bei einem Abstand von nur vier Wochen sei diese Voraussetzung nicht erfüllt und ein Großteil des möglichen Boostereffekts verschenkt. "Hinzu kommt, dass nach zwei Impfungen mindestens für die nächsten vier bis sechs Monate ein robuster Schutz vor schwerer Erkrankung und Hospitalisierung in Folge einer Sars-CoV-2-Delta-Infektion besteht. Um einen höheren und insgesamt länger anhaltenden Schutz zu erzielen, ist es deshalb sinnvoll, allerfrühestens nach vier Monaten zu boostern."

Andere Länder haben den Boosterabstand zumindest für einige Altersgruppen bereits Anfang Dezember auf drei Monate verkürzt. Auch der Biontech-Gründer Uğur Şahin sprach vor einigen Wochen davon, dass der Abstand zwischen Spritze zwei und drei auf drei Monate verkürzt werden sollte. Nach Auffassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA ist eine Auffrischung nach drei Monaten zumindest vertretbar, insbesondere angesichts der raschen Ausbreitung der Omikron-Variante. Sie empfiehlt weiterhin sechs Monate zu warten, doch die "derzeit verfügbaren Daten sprechen für eine sichere und wirksame Auffrischungsdosis bereits drei Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung", sagte Marco Cavaleri Anfang Dezember, er ist der Chef der EMA-Impfstrategie.

Mitte Dezember schrieb die EMA in einer Risikobewertung zur Omikron-Variante, dass die Geschwindigkeit der Boosterkampagnen der Schlüssel sei, um die zu erwartende katastrophale Zahl an Neuerkrankungen Mitte Januar zu mindern. In dem Papier berechnen die Fachleute der Aufsichtsbehörde verschiedene Szenarien zur Virulenz der Viren, aber auch zur Geschwindigkeit der Impfungen sowie sonstiger Maßnahmen zum Infektionsschutz. Ohne Booster für die Impfkampagnen sehen die Berechnungen neue Rekorde bei den Fallzahlen und nachfolgend auch sehr viele Todesfälle. In allen Szenarien sind Kontaktbeschränkungen und andere Schutzmaßnahmen allerdings noch wirkungsvoller als Impfungen.

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