Süddeutsche Zeitung

Bluttest auf Erbkrankheiten in der Schwangerschaft:Ethiker befürchten neue Dimension in der Selektion Ungeborener

Nur ein wenig Blut und Spucke sind notwendig, um sämtliche Erbkrankheiten eines Embryos festzustellen. Schon bald könnte das Verfahren zur Routineuntersuchung in der Schwangerschaft werden. Wäre ein solcher Test ein Fortschritt? Oder würde er nur Ängste und Abtreibungen forcieren?

Christina Berndt

Ob eine Schwangere ein Kind mit Down-Syndrom in sich trägt? Ein einfacher Bluttest, der diese Frage beantworten kann, steht in Deutschland kurz vor der Einführung. Ethiker, Ärzte und Politiker diskutieren bereits heftig über dieses kommerzielle Angebot. Manche befürchten eine neue Dimension in der Selektion Ungeborener, weil der "Praenatest" der Firma LifeCodexx womöglich bald zur Routineuntersuchung wird.

Schon heute lassen 90 Prozent der Frauen, bei deren Kindern durch Fruchtwasseruntersuchung ein Down-Syndrom festgestellt wird, einen Abbruch vornehmen. Weil im Gegensatz zu dieser Amniozentese ein Bluttest kein Risiko einer Fehlgeburt birgt, könnte er weitaus häufiger angewandt werden.

Und womöglich ist das nur der Anfang. Soeben haben Genetiker der University of Washington erstmals das gesamte Erbgut eines ungeborenen Kindes entziffert (Science Translational Medicine, online). Dazu haben sie nur ein wenig Blut der Mutter und Speichel des Vaters genutzt. Schon in der 18. Schwangerschaftswoche könnten werdende Eltern so künftig Auskunft über genetische Auffälligkeiten ihres Nachwuchses erhalten - und zwar nicht nur über das Down-Syndrom, sondern über jedwede Art von Erbkrankheit sowie Mutation.

Die Erbanlagen des Kindes auf diese Weise zu ermitteln ist möglich, weil sich im mütterlichen Blut DNA des Ungeborenen findet. Mit modernen Methoden lässt sie sich isolieren und entziffern. Weil das Erbgut des Kindes aber in kleine Schnipsel zerstückelt ist, brauchten die Wissenschaftler auch noch das Erbgut von Mutter und Vater.

Tests schon in der neunten Schwangerschaftswoche erfolgreich

Am Computer setzten sie dann das wahrscheinliche Erbgut des Kindes zusammen - und waren sehr zufrieden, als sie ihr Ergebnis nach der Geburt des Babys mit dessen tatsächlichem Genom verglichen: Die Übereinstimmung lag bei 98 Prozent. Zudem hatten sie 39 der 44 Neu-Mutationen korrekt vorausgesagt, die sich bei dem Kind eigenständig entwickelt hatten.

"Früher konnte man sehen, dass zwei Bücher zusammengefügt wurden", sagt Jacob Kitzman, einer der Forscher, über die Genome der Eltern. "Jetzt können wir ein einziges Wort, das in beiden Büchern falsch buchstabiert ist, erkennen."

Die Arbeit eröffne die Möglichkeit, "das ganze Genom des Fötus auf mehr als 3000 monogenetische Erkrankungen zu scannen", ergänzt Teamleiter Jay Shendure. Die Krankheiten seien selten, aber zusammen beträfen sie etwa ein Prozent der Neugeborenen. Dabei gehe es nicht um Abtreibung, versichert er. Wenn die Leiden frühzeitig entdeckt würden, mache dies in vielen Fällen medizinische Hilfe möglich.

Die Forscher wiederholten ihr Experiment bei einem anderen Paar sogar in der neunten Schwangerschaftswoche - mit ähnlichem Erfolg. Ein so früher Zeitpunkt bereitet Ethikern Sorgen, weil zum Beispiel in Deutschland eine Abtreibung bis zur 14. Schwangerschaftswoche straffrei ist. Jede unerwünschte genetische Information könnte eine Frau dazu bewegen, sich für den Abbruch zu entscheiden.

Ob es überhaupt sinnvoll ist, das ganze Genom des Fötus zu sequenzieren, sei fraglich, sagt der Bonner Humangenetiker Peter Propping. Die meisten Mutationen im menschlichen Erbgut machten ohnehin nichts aus. "Wir alle tragen zahlreiche Neu-Mutationen, ohne dass das Konsequenzen hätte." Viele weitere Veränderungen erhöhten das Risiko für Krankheiten nur - meist um wenige Prozent.

"Wir müssen wegkommen von dieser genzentrischen Sicht", sagt auch der Erlanger Theologe Peter Dabrock, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Die Information, ein Ungeborenes habe zum Beispiel ein um fünf Prozent erhöhtes Alzheimerrisiko, sei wertlos. Je tiefer das Verständnis der menschlichen Genetik reiche, desto stärker werde klar, dass eine Genomanalyse nur wenige zuverlässige Aussagen über das Schicksal eines Menschen erlaubt.

"Was machen Eltern mit solchen Informationen?"

Für die schwerwiegenden Mutationen existiert bereits ein Bluttest, der mehr als 1200 monogenetische Erbkrankheiten erkennen kann. Diesen Test hat sein Entwickler Stephen Kingsmore vom National Center for Genome Resources in Santa Fe nicht zum Screening von Föten konzipiert, sondern für junge Erwachsene. Sie können so das Risiko ermessen, ob sie beide - bislang unerkannt - Träger desselben Erbleidens sind.

Jeder Mensch besitzt bis zu 60 krankhaft veränderte Gene, die erst einmal nicht auffallen. Folgen haben sie allenfalls, wenn der Partner denselben Defekt hat. Dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass bei dem Kind die betreffende Krankheit ausbricht, ein Viertel.

In den USA wird dieser Test auf Wunsch schon angeboten. Propping spricht sich dafür aus, unbedingt die psychosozialen Folgen einer solchen Anwendung zu untersuchen. "Was machen Eltern mit solchen Informationen?", fragt er. Sich scheiden lassen? Kinder erst in der Petrischale zeugen und dann die ohne Mutation auswählen? Oder doch der Natur ihren Lauf lassen?

In Auftrag gegeben hat die Entwicklung des Kingsmore-Tests ein amerikanisches Ehepaar, dessen Tochter wegen einer Krankheit erblinden, die Sprache und all ihre Beweglichkeit verlieren wird. Dass sie die Erbanlagen für eine derart entsetzliche Krankheit in sich trügen, ahnten die Eheleute nicht, als sie sich ineinander verliebten. Eine solche böse Überraschung wollten sie anderen Paaren ersparen.

Mehr über Nutzen und Risiken der gängigen vorgeburtlichen Tests erfahren Sie in diesem Überblick.

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SZ vom 09.06.2012/rela/beu
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