Bluttest auf Down-Syndrom:Schwangerschaft auf Probe ist längst Realität

Selektion oder Sicherheit für werdende Eltern? Der neue vorgeburtliche Bluttest auf das Down-Syndrom hat die Debatte um die Pränataldiagnostik erneut aufleben lassen. Dies ist unnötig. Die richtige Frage lautet: Wie gehen wir mit Behinderten um?

Peter Dabrock

Peter Dabrock, 47, ist Professor für Theologische Ethik an der Universität Erlangen und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

Die Tendenz ist klar: Pränataldiagnostik wird es bald nicht nur noch umfangreicher, genauer und früher geben, sondern vor allem ohne Eingriff in den Mutterleib. Erst die Bekanntgabe, dass ein nichtinvasiver genetischer Test auf den Markt drängt, der im Blut einer Schwangeren nachweisen kann, ob ihr Ungeborenes das Down-Syndrom hat; dann letzten Monat die Ankündigung, dass ein anderer Test aus dem Blut der Mutter und Speichel des Vaters bereits in der neunten Schwangerschaftswoche das Genom des Fötus auf mehrere Tausend Krankheitsanlagen durchleuchten kann; letzten Mittwoch schließlich die Publikation einer weiteren Methode, die dafür nur noch das Blut der Mutter benötigt.

Ob man sie begrüßt oder nicht - die Prognose, dass diese Tests in die klinische Routinepraxis drängen und auf die Erstattung durch die Kassen warten, bedarf keiner allzu großen Phantasie.

Zwar verhindert derzeit das Gendiagnostikgesetz, dass die genetische Anlage für Krankheiten bekannt gegeben werden darf, die erst nach der Volljährigkeit ausbrechen. Dennoch befürchten Kritiker, dass nun endgültig das vorgeburtliche Leben einem selektiven Qualitätscheck unterzogen wird. Menschen mit Behinderung würden so unerträglichen Diskriminierungen ausgesetzt, ein inhumaner Perfektionierungswahn bräche sich Bahn. Doch dieses Thema taugt nicht zur Schwarz-Weiß-Malerei.

Angesichts der Behauptung, dass Krankheitstests ohne Eingriff einen Dammbruch darstellen, die folgende Beobachtung: Wenn man das kulturpessimistische Bild bemühen will, dann ist der Damm schon längst gebrochen. Denn neben dem Blick auf die Gesundheit der Schwangeren zielt bereits die jetzige, umfassende Untersuchungskaskade in der Schwangerschaft mehr oder weniger unumwunden auf die Entdeckung genetischer Störungen. Wenn es stimmt, dass neun von zehn Schwangerschaften, bei denen ein Down-Syndrom des Ungeborenen diagnostiziert wird, abgebrochen werden, dann ist das - rein quantitativ betrachtet - Selektion. Schwangerschaft auf Probe ist längst Realität.

Wenn unter diesen Bedingungen die Probe aufs Exempel (Wie ernst meint es eine Frau mit der Schwangerschaft?) wäre, dass sie sich einem invasiven Eingriff und der dabei drohenden Fehlgeburt aussetze, ja, dann hätten wir mit den neuen nichtinvasiven Tests erst jetzt den Dammbruch. Aber an die Theorie, dass das Risiko, bei einem Test das Kind zu verlieren, über die moralische Legitimität der Entscheidung für oder gegen einen pränatalen Test entscheide, mag glauben, wer will. Ich glaube, die Hoffnungen und Ängste einer schwangeren Frau liegen quer zu einer solch trivialen Deutung und sind vor allem ernsthafter.

In der Tat wird die Gesellschaft aber beunruhigt beobachten müssen, ob durch die neuen genetischen Tests noch mehr Schwangerschaften abgebrochen werden. Dies führt mich zu einer Befürchtung: das Wiederaufkeimen eines wissenschaftlich überwunden geglaubten Gen-Zentrismus durch die neuen nichtinvasiven Gentests.

In Genen steckt nicht unser gesamtes Schicksal

Unter Gen-Zentrismus versteht man die von der Molekularbiologie als veraltet abgetane These, dass ein Gen für genau eine Ausprägung oder Krankheit "verantwortlich" ist. Sie wird belebt, wenn Genetiker und Medizinethiker angesichts des neuen Tests von der Öffnung des "Heiligen Grals der Genomanalyse" schwadronieren und so den Eindruck erwecken, man könne mit allen diesen Testergebnissen klare Erkenntnisse über Zeitpunkt und Schwere einer möglichen Erkrankung erhalten. Sie wissen, dass dies mitnichten der Fall ist.

Die Experten sollten deshalb alles daran setzen, der Bevölkerung klarer zu machen, wie weit wir uns vom alten Modell der Genetik entfernt haben. Sie sollten diese Erkenntnisse der begrenzten Aussagekraft genetischen Wissens den Menschen vor allem als eine große Chance begreiflich machen: In den Genen steckt nicht unser gesamtes Schicksal; Umwelt, Ernährung und Verhaltensweisen können in vielen Fällen genauso viel, ja, sogar oft mehr zur Gesundheit beitragen als der ängstliche Blick auf die Gene.

Umgekehrt gilt auch: Eben diese Faktoren lösen noch immer die meisten Krankheiten und Behinderungen im Lebensverlauf aus und haben großen Einfluss auf Ausbruch und Stärke von Krankheiten mit genetischem Anteil. Darüber aufzuklären, ist der entscheidende Schritt, um Befürchtungen, die neuen Tests verstärkten die pränatale Selektion, effektiv begegnen zu können.

Allerdings bleibt der aus meiner Sicht beklagenswerte Befund, dass wir quantitativ schon jetzt pränatale Selektion haben, wo sogenannte schwere genetische Defekte diagnostiziert werden. Doch ist die Lage komplizierter, als es das verfallstheoretische Lamento und die damit verbundene Forderung nach einem vollständigen Verbot der Pränataldiagnostik wahrhaben wollen.

Lassen wir beiseite, dass es sich keine schwangere Frau leicht macht, wenn sie den Abbruch erwägt, oder dass die späten Schwangerschaften infolge schwieriger Ausbildungs- und Lebenslagen die Risiken für genetische Abweichungen steigern, so gilt es vor allem den irritierenden Fakt zu bedenken: Pränatale Selektion in unserer Gesellschaft führt nicht automatisch zu zunehmender Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist das gesellschaftliche Klima im Umgang mit Behinderung besser, eben auch, normaler geworden. Das zeigen verschiedene Langzeituntersuchungen. In diesem Befund keimt ein Grund für hoffnungsvolle Erwartung: Wer die vorhandene pränatale Selektion verhindern oder zurückschrauben will, kann, wenn überhaupt, bei dieser gewandelten Einstellung ansetzen.

Es gilt, den Weg der Inklusion von Menschen mit Behinderung, der sich zum Beispiel mit "Aktion Mensch" (früher noch "Aktion Sorgenkind" genannt) oder der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verbindet, entschieden fortzusetzen. Ermutigung, aber auch rechtliche Absicherung und ideelle wie finanzielle Förderung, das ohne Zweifel nicht leichte Leben mit Behinderungen leben zu können, stellen die wirkungsvollen Möglichkeiten dar, das Faktum der pränatalen Selektion nicht zur moralischen Norm werden zu lassen. Durch Empörungsdebatten gegen nichtinvasive PND sich seiner guten Gesinnung folgenlos zu vergewissern, wird dagegen nicht helfen.

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