Was sie heute vorhaben, ist nicht angenehm, und er ist auch nicht stolz darauf, sagt Gamaliel, dessen Nachname zu seinem Schutz hier nicht genannt werden soll. Der Mexikaner hat sich auf den Weg zur US-Grenze gemacht. Neben ihm im Auto sitzt seine Tochter Genesis, 21 Jahre alt, sie ist blass und zierlich und wird später berichten, wie schwer es ihr fällt, das zu tun, wofür sie beide heute unterwegs sind: in einem US-Spendezentrum ihr Blutplasma zu verkaufen.
Noch sind es 14 Kilometer Luftlinie bis zu ihrem Ziel. In Genesis' silberner Sonnenbrille spiegeln sich die Werbeplakate der Häuser am Straßenrand. In einem Ohr steckt ein Kopfhörer, aus dem Rockmusik dröhnt. Hinter dem Steuer sitzt Gamaliel, 44, er trägt eine rote Baseballkappe und ein schwarz-rotes Spiderman-T-Shirt.
Vater und Tochter sind auf dem Weg zur Brücke der Freiheit. Die "Free Bridge", so heißt eine der vier Brücken, die El Paso in den USA mit der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez verbinden. Die Sonne reflektiert auf den Ringen des Stacheldrahts, der auf der Brückenmitte liegt. Daneben sind die Flaggen der USA und Mexikos gehisst, in wenigen Metern Abstand voneinander markieren sie die Landesgrenzen. Der Fußgängerweg über die Brücke führt durch einen langen Drahtkäfig, hier stehen die Menschen für die Einreise in die USA an.
Was macht das mit einem Menschen?
Von hier aus wollen sich Genesis und Gamaliel in eines der 43 Spendezentren begeben, die sich in der Grenzregion der USA befinden. Dort möchten sie ihr Blutplasma verkaufen, jenen Teil des menschlichen Bluts, in dem keine Blutzellen und Blutplättchen mehr vorhanden sind, sondern nur noch Serum und Proteine. Europa ist der wichtigste Abnehmer dieses kostbaren Rohstoffs, der in den Spendezentren gewonnen und etwa zur Hälfte ins Ausland exportiert wird.
Das Blutplasma landet unter anderem in großen Produktionsanlagen in Deutschland und Österreich, in denen daraus lebenswichtige Medikamente hergestellt werden: Antikörper zum Beispiel, sie ermöglichen - meist als Infusionen verabreicht - Menschen mit Immundefekten ein fast normales Leben. Den Patienten fehlen diese wichtigen Waffen des körpereigenen Immunsystems, die vor Krankheitserregern schützen. Die Plasmaprodukte gleichen diesen Mangel aus.
Aber auch Gerinnungsfaktoren werden dem Blutplasma entnommen, ebenso wie das Eiweiß Albumin, das bei Verbrennungen und großen Operationen unverzichtbar ist, um die Flüssigkeitsverteilung zwischen Blutgefäßen und Gewebe zu stabilisieren. "Praktisch jeder von uns wird einmal im Laufe seines Lebens ein Plasmaprodukt benötigen", sagt Peter Hellstern, Leiter des Hämostase-Thrombose-Zentrums in Zürich. Was Gamaliel und Genesis an diesem Tag vorhaben, ist also auch von großer Bedeutung für das Leben vieler Patienten in Deutschland.
Seit neun Jahren macht sich Gamaliel zweimal die Woche auf den Weg über die Brücke. Auch seine Tochter ist Dauerspenderin, seit nunmehr fast drei Jahren. In den USA dürfen Menschen 104 Mal im Jahr Plasma spenden, in Deutschland sind dagegen nur 60 Mal erlaubt. Die Spender geben dann, je nach Körpergröße und Gewicht, zwischen 650 und 850 Milliliter Blutplasma ab, samt den darin enthaltenen, wertvollen Proteinen.
Was macht es mit einem Menschen, wenn er über Jahre hinweg so oft Blutplasma spendet? Wer schützt die mexikanischen Spender zwischen den Landesgrenzen, von denen sich nach Recherchen von SWR, NDR und SZ jede Woche mindestens zehntausend auf den Weg machen, um ihr Blutplasma in den USA zu verkaufen?
Blutplasma ist der zellfreie Bestandteil des menschlichen Blutes. Eine gelbe Flüssigkeit, die übrig bleibt, wenn Blut zentrifugiert wird.
Es enthält die Eiweiße (Proteine) des Bluts, aus denen Medizin-Unternehmen lebensrettende Medikamente herstellen können: Antikörper etwa, sogenannte Immunglobuline, die zum Beispiel bei einer chronischen Schwäche des Abwehrsystems, aber auch akuten Erkrankungen wie Hepatitis, Tollwut und Tetanus zum Einsatz kommen.
Das Protein Albumin findet sich auch im Blutplasma, es transportiert Stoffwechselprodukte und stabilisiert die Flüssigkeitsverteilung zwischen Blutgefäßen und Gewebe. Patienten mit einem Unfallschock, Verbrennungen und Nierenschäden erhalten es oft, auch für große Operationen ist es unverzichtbar.
Gerinnungsfaktoren können Bluterkranken das Leben retten. Auch ein bestimmter Kleber, zusammengesetzt aus eben diesen Faktoren und dem Protein Fibrin, hilft Ärzten vor allem in den Notaufnahmen von Krankenhäusern, Blutungen von Patienten zu stillen und Wunden zu schließen.
Hinweis der Redaktion: In einer vorigen Version hieß es, Blutserum enthalte keine Eiweiße. Das ist falsch. Wir haben den Fehler korrigiert.
Genesis fühlt sich immer schwächer, mit jedem weiteren Monat als Plasmaspenderin. "Ich bin ständig müde und erschöpft. Ich habe kaum noch Kraft, Dinge anzuheben." Außerdem sei sie in letzter Zeit oft krank und habe an Gewicht verloren. Doch Genesis spendet weiter. Sie weiß nicht, wie sie sonst über die Runden kommen soll. Die junge Mexikanerin ist mit Perspektivlosigkeit und Bandenkriminalität in Ciudad Juárez groß geworden. Vater und Tochter sind gerade an einem gigantischen roten "X" vorbeigefahren, das an das im Drogenkrieg vergossene Blut erinnern soll.
Gamaliels Bruder wurde Opfer des organisierten Verbrechens, er starb mit 28 Jahren. "Im Vergleich ist es mir lieber, dass Genesis Plasma spendet, als dass sie sich für Geld verkauft oder Drogen in die USA schmuggelt", sagt der Vater. Er selbst betreibt in Ciudad Juárez ein kleines Fitnessstudio, sein Einkommen reicht für den Alltag aber nicht aus. Der Mindestlohn in Ciudad Juárez lag 2018 bei 178 US-Dollar pro Monat. Mit dem Grenzgang dagegen können Vater und Tochter bis zu 400 US-Dollar im Monat verdienen, auch dank Bonuszahlungen. Auf den vollen Betrag kommt nur, wer so oft kommt, wie die US-Gesundheitsbehörde FDA maximal zulässt: zweimal in der Woche.
An der Grenzbrücke der Freiheit angekommen, parkt der Vater den Wagen. Zu Fuß gehen sie zur ersten Passkontrolle, wo sie ihr Besuchervisum zeigen - um sich in die Reihe der Wartenden vor der zweiten, der eigentlichen Passkontrolle anzustellen, die sich in das sandgelbe Gebäude der Grenzschutzbehörde schlängelt.
Vater und Tochter auf dem Weg zum Spendezentrum. Jede Einreise in die USA ist für sie ein Risiko.
(Foto: NDR)Genesis hat Angst. "Manche der Grenzbeamten lassen einen nicht durch oder nehmen einem das Visum ab, wenn du zugibst, spenden zu wollen. Es ist sehr riskant." Warum das so ist, versteht sie nicht, denn ihre Einreise in die USA ist mit dem Visum zunächst vollkommen legal. Ihr Vater drückt es so aus: "Wenn du an einen schlecht gelaunten Officer gerätst, können sie dir das Visum wegnehmen."
Denn Vater und Tochter dürfen mit dem Visum auf der anderen Seite der Grenze nach US-Gesetzgebung kein Geld verdienen, auch wenn die Zentren die Bezahlung fürs Blutplasma eine Aufwandsentschädigung nennen. Dennoch akzeptieren die Plasmazentren genau dieses Visum, wenn Mexikaner sich zur Spende registrieren - obwohl die Spender damit das Risiko eingehen, ihr Visum zu verlieren. Die Interessenvertretung der Plasma verarbeitenden Industrie PPTA argumentiert, dass die Spender keine Angestellten der Spendezentren seien.
Drei Unternehmen betreiben die Spendezentren an der US-Grenze. Die meisten davon gehören zu Grifols, einer europäischen Firma mit Hauptsitz in Barcelona, gefolgt von Spendezentren der CSL-Gruppe, zur der das deutsche Tochterunternehmen CSL Behring gehört. Auch die Firma BPL drängt auf den Markt, sie versorgt unter anderem Großbritannien mit Blutplasma. Zu den Fragen nach den Visa schreibt Grifols: "Alle Spender, egal woher sie kommen, müssen die gesundheitlichen, behördlichen und gesetzlichen Bedingungen erfüllen, um Spenden zu dürfen. Es gibt keine Ausnahmen." CSL äußert sich ähnlich: "CSL Plasma befolgt alle Gesetze in allen Ländern, in denen wir tätig sind."
BPL schließt sich dem an: "Wir folgen allen Richtlinien, um für die Sicherheit der Plasmaspender zu sorgen, ebenso wie auch der Patienten, die Plasmaprodukte erhalten." Das US-Außenministerium hingegen, das die Visa ausstellt, erläutert den Gesetzeskonflikt: "Der Tausch von Gütern oder Dienstleistungen in den USA gegen Geld widerspricht den erlaubten Handlungen bei der Benutzung des B1/B2-Visums", heißt es in einer schriftlichen Antwort. Ob das Plasmaspenden in diese Kategorie fällt, wurde aber bisher von den US-Behörden nicht offiziell geklärt.