Süddeutsche Zeitung

Biomedizin:Zweifel an bahnbrechender Genreparatur

Forscher äußern massive Kritik an einer Studie, die als Meilenstein gehandelt wurde. Sind mit Crispr korrigierte Erbdefekte in Embryonen ein Irrtum?

Von Kathrin Zinkant

Als Durchbruch gefeierte Neuigkeiten aus der Biomedizin sind stets mit Vorsicht zu genießen. Das weiß man spätestens seit dem Fall des Südkoreaners Hwang Woo-suk, der mit zwei Veröffentlichungen zum Klonen menschlicher Embryonen vor 13 Jahren die Stammzellforschung euphorisierte. Bis sich herausstellte: Hwang hatte betrogen. Das Forschungsfeld war diskreditiert und um Jahre zurückgeworfen.

Steht mit dem sogenannten Gene Editing von Embryonen nun ein ähnlicher Rückschlag für die Biomedizin bevor? Eine Gruppe von führenden Stammzellforschern und Genetikern hat zumindest massive Zweifel an einer Arbeit angemeldet, die erst kürzlich erschienen ist. In dem Nature-Papier war Anfang August erstmalig die Korrektur eines menschlichen Erbleidens im Rahmen einer künstlichen Befruchtung beschrieben worden. Benutzt hatte das Team um Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health & Science University dafür eine Technologie, die ihrerseits derzeit die gesamten Lebenswissenschaften euphorisiert: die Genschere Crispr-Cas9, kurz Crispr genannt.

Mitalipov und Kollegen hatten Crispr eingesetzt, um einen defekten DNA-Code für ein Eiweiß des Herzmuskels aus dem väterlichen Teil des Genoms herauszuschneiden. Das defekte Gen sollte mit einer hinzugefügten DNA-Vorlage über die Reparaturmechanismen der Eizelle durch das gesunde Gen ersetzt werden. Genetische Tests am Erbgut der Embryonen zeigten im Anschluss an die Experimente aber, dass die künstliche Vorlage nicht benutzt worden war. Zugleich war der väterliche Gendefekt in den Embryonen verschwunden. Die Forscher erklärten das Resultat damit, dass statt der künstlichen DNA offenbar das gesunde Gen der Mutter als Vorlage gedient habe.

Die Kritik der Kollegen ist valide. Sie bedeutet aber nicht, dass Mitalipovs Team betrogen hat

Es ist diese Erklärung, die der Stammzellforscher Dieter Egli von der Columbia University, der Biochemiker George Church von der Harvard Medical School und vier weitere Experten infrage stellen. In einem Papier auf dem Preprint-Server bioRxiv kritisieren sie die genetischen Tests als ungeeignet, um eine Korrektur nachzuweisen, sprich: dass das kranke Gen nicht nur entfernt, sondern auch durch eine korrekte Version ersetzt wurde. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse in einer befruchteten Eizelle sei es unwahrscheinlich, dass die mütterliche Variante des Gens als Vorlage für eine Reparatur verfügbar war. Die Forscher halten andere Szenarien für plausibel: Entweder hat Crispr zwar das defekte Gen herausgeschnitten, es wurde aber nicht ersetzt. Die Embryonen wären schwer geschädigt. Oder aber die Embryonen haben sich allein aus dem gesunden mütterlichen Erbgut entwickelt - eine solche Parthenogenese, zu deutsch Jungfrauenzeugung, ist im Labor möglich.

Der Widerstand der Fachkollegen bedeutet nicht, dass Mitalipovs Team sich eines Fehlverhaltens schuldig gemacht hätte. "Ich denke nicht, dass mit dieser Kritik die ganze Studie angezweifelt wird", sagt Dirk Heckl von der Medizinischen Hochschule Hannover, der intensiv mit Crispr arbeitet. Es gehe darum, vor einer Euphorie zu warnen und auf die Notwendigkeit weiterer Experimente zu verweisen. "Alle Phänomene aufzuklären konnte auch von Mitalipovs Team nicht erwartet werden", sagt der Biomediziner. Das Tempo, mit dem wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht werden, ist Heckl zufolge eine Gratwanderung für jeden Forscher. "Es ist kein Betrüger, wer neue Erkenntnisse schnell versucht zu publizieren." Ob die Arbeit von Mitalipov ein Flop ist, werden erst neue Versuche zeigen. Eine Sprecherin von Nature sagte der SZ: "Wir nehmen jede Kritik an Arbeiten, die wir veröffentlich haben, sehr ernst."

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Quelle:
SZ vom 06.09.2017
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