Bewertungsportale:Auch Ärzte haben Persönlichkeitsrechte

BGH Urteil zu Jameda

Medizin versus Patientenpranger: Müssen Ärzte mit anonymen Bewertungen im Netz leben?

(Foto: Uli Deck/dpa)
  • Dürfen Ärzte erfahren, wer ihnen im Internet schlechte Noten gibt? Darüber hat der BGH entschieden.
  • Das Portal müsse den Bewerter auffordern, den Arztbesuch genau zu beschreiben und Unterlagen vorzulegen, verfügten die Richter.
  • Geklärt werden muss noch, ob die Betreiber von Bewertungsportalen auch die Persönlichkeitsrechte der Bewerteten wahren.

Von Christina Berndt

Auf diesen Zahnarztstuhl sollte man sich besser nicht setzen, meinte der Mann. Sitzenbleiben sollte dafür der Zahnarzt: Behandlung: 6! Aufklärung: 6! Vertrauensverhältnis: 6! Im Durchschnitt verpasste der Mann dem Arzt auf dem Ärztebewertungsportal Jameda eine 4,8 und schrieb knapp dazu: "Ich kann Dr. I. nicht empfehlen."

Der Zahnarzt ärgerte sich furchtbar über die schlechte Bewertung. Musste er sich das gefallen lassen? Und war dieser angeblich unzufriedene Patient überhaupt jemals in seiner Praxis gewesen? Schließlich könnte jeder, der dem Zahnarzt eins auswischen wollte, ihn im Internet anonym kritisieren. Womöglich sogar ein Konkurrent. Dr. I. zog vor Gericht. Doch Jameda wollte die 4,8 nicht löschen: Der Bewerter habe belegt, dass er Patient bei Dr. I. gewesen sei, teilte das Portal mit, ohne dem Zahnarzt Belege zu zeigen oder Details preiszugeben, was er denn nun falsch gemacht habe.

Häme und Lügen sind Tür und Tor geöffnet

Um sein "mangelhaft" loszuwerden, zog der Zahnarzt bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), der am Dienstag über den Fall entschied. Beendet ist der Streit damit aber noch immer nicht. Der BGH verwies ihn an das Oberlandesgericht Köln zurück. Jameda müsse den Bewerter auffordern, den Arztbesuch genau zu beschreiben und Unterlagen vorzulegen, welche die Behandlung belegen könnten, etwa Rezepte, Bonusheft "oder sonstige Indizien", verfügten die Richter.

Diese könnten anonymisiert auch an den Zahnarzt weitergegeben werden, sofern der Bewerter damit nicht enttarnt würde, so der BGH. Die Richter schützen also die Anonymität der Patienten, sagt Daniel Kendziur, Wettbewerbs- und Telemedienrechtler der Münchner Kanzlei Simmons & Simmons. Aber zugleich geben sie Ärzten mehr Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen.

Bewertungsportale im Netz sind beliebt. Menschen äußern sich hier nicht nur über ihre Ärzte, sondern auch über ihre Handwerker, Rechtsanwälte und Reiseanbieter. Allerdings verstecken sie sich dabei hinter der Anonymität des Internets. Häme, Boshaftigkeit und Lügen sind damit Tür und Tor geöffnet. Private Rachefeldzüge werden möglich. Und die Kritik fällt gemeinhin härter aus, als wenn man sie jemandem mit offenem Visier persönlich ins Gesicht sagen müsste.

Doch zugleich ist es für Menschen wichtig zu erfahren, was andere über Dienstleistungen denken. Und das darf auch anonym geschehen, wie der Bundesgerichtshof schon im Juli 2014 entschieden hat. Damals hatte sich ein Arzt gegen schwere Vorwürfe auf dem Ärzteportal Sanego zur Wehr setzen wollen: Er hatte den Patienten angeblich nicht nur lange im Wartezimmer sitzen lassen, sondern ihm auch noch ein falsches Medikament verschrieben. Solche anonymen Bewertungen müssen möglich sein, entschied der BGH. Gerade in Sachen Gesundheit, wo es oft genug an Transparenz mangelt. Und auch wenn es dem Arzt missfällt.

Es sind zwei Grundrechte, die da aufeinanderprallen: Die Freiheit der Kommunikation stößt auf die Persönlichkeitsrechte der kritisierten Mediziner, genauer auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Wie viel muss ein Mensch ertragen? Wie weit darf er selbst bestimmen, was über ihn im Netz steht? Sicherlich keine Diffamierung und keine Lügen. Auch so viel hatte der BGH zuvor schon festgestellt. Aber Meinung muss aushalten, wer Patienten behandelt.

Vorwürfe gegen Jameda

Allerdings haben Ärzte das Recht, mehr über denjenigen zu erfahren, der sie böse im Netz bewertet. Vor allem dann, wenn sie daran zweifeln, dass es sich wirklich um einen Patienten handelt. Die Betreiber von Bewertungsportalen haben auch Pflichten, um die Persönlichkeitsrechte der Bewerteten zu wahren. "Und das OLG muss jetzt prüfen, ob Jameda diesen genügend nachgekommen ist", sagt Kendziur.

Dazu gehört es zu klären: Kann der Patient belegen, dass er bei dem Zahnarzt in Behandlung war? Was hat der Arzt nicht zu seiner Zufriedenheit erledigt? "Der Arzt hat ein berechtigtes Interesse, der Sache nachgehen zu können", so Kendziur. "Vielleicht möchte er auch etwas aus der Kritik lernen. Deshalb halte ich die Entscheidung des BGH für klug."

Zufrieden zeigt sich auch Jameda-Geschäftsführer Florian Weiß. Im Fall um den Zahnarzt Dr. I. habe man geprüft, dass der Bewerter Anlass für die Gesamtnote 4,8 hatte. Nur habe man diese Belege mit Rücksicht auf den Bewerter nicht herausgeben wollen. "Jetzt haben wir Rechtssicherheit. Wir wissen, dass wir in einem solchen Fall Unterlagen erfragen und sie geschwärzt weitergeben sollen." Wenn der Bewerter auf keinen Fall Belege herausgeben möchte, hat er schließlich immer noch die Möglichkeit, nicht auf die Nachfragen des Bewertungsportals zu reagieren. Allerdings wird sein Kommentar dann in jedem Fall gelöscht.

5,5 Millionen Menschen besuchen Jameda im Monat

Es sei extrem wichtig, die Anonymität der Bewerter zu wahren, betont Geschäftsführer Weiß: "Wir sind ja nicht für Anonymität, weil wir damit Hetze und Verleumdung Vorschub leisten wollen. Aber wir glauben, dass Ärztebewertungen nur anonym zustande kommen." Schließlich wolle niemand, dass Kollegen wissen, zu welchen Ärzten man gehe. Und auf dem Land sei es oft auch gar nicht möglich, den Arzt zu wechseln. Umso wichtiger sei es, dass Ärzte ehrliches Feedback erhalten.

Für Jameda geht es aber natürlich auch ums Geschäft. Sechs Millionen Euro hat das Portal, das seit Beginn des Jahres zum Burda-Konzern gehört, 2015 umgesetzt, zwei Millionen Euro Gewinn vor Steuern. Einnahmen fließen nicht nur durch die Werbung auf der Website. Jameda versteht sich auch als Branchenverzeichnis: Alle circa 280 000 niedergelassenen Ärzte sind hier zu finden, aber auch Heilpraktiker und Physiotherapeuten. Wer von diesen Heilberuflern monatlich zwischen 65 und 135 Euro an Jameda bezahlt, erwirbt den Platin-, Silber- oder Goldstatus: Er wird größer präsentiert. Das sei "wie in den Gelben Seiten", betont Weiß. "Es geht nur darum, auf sich aufmerksam zu machen."

Im Netz kursiert der Vorwurf, dass Ärzte mit einem Jameda-Vertrag besser bewertet werden. Negative Kommentare würden gelöscht, klagen Nutzer - allerdings anonym. Geschäftsführer Weiß weist den Vorwurf zurück: "Ärzte mit Jameda-Vertrag bekommen bei Bewertungen keinerlei Andersbehandlung. Wir würden uns damit selbst kaputt machen. Wenn wir Vertrauen verlieren, liest keiner mehr unsere Seite."

Noch ist der Zulauf groß: 5,5 Millionen Menschen besuchen das Portal jeden Monat, sagt Weiß. Mehr als eine Million Kommentare wurden schon gepostet, jeden Tag kommen 1500 hinzu. Gefiltert werden die Posts nur von einer Software, die offenkundig hämische Auswüchse aussortiert. Der Rest geht direkt online. Wehren müssen sich die Kritisierten am Ende selbst.

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