Betrug bei der Pflege:Milliarde macht ratlos

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Lieber bessere Seniorenwohnungen bauen: In Niederlanden ist eine neue Debatte über Sterbehilfe im Gange. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Eine Spitzenrunde beim Gesundheitsminister war sich einig, gegen die kriminellen Strukturen vorzugehen. Doch es kamen auch Zweifel auf.

Von Guido Bohsem, Berlin

Hermann Gröhe (CDU) will gegen den systematischen Betrug bei der Pflege vorgehen. Bei einem Treffen der Pflegeverbände auf Einladung des Gesundheitsministers herrschte nach Angaben mehrerer Teilnehmer die Überzeugung vor, die bekannt gewordenen Fälle erst einmal gründlich aufarbeiten zu müssen. Jede Pflegeorganisation sagte zu, in den eigenen Strukturen nach Ansätzen zu suchen, wie gegen kriminelle Organisationen und Abrechnungsbetrug vorgegangen werden könne. Das Ministerium will die Vorschläge dann prüfen und handeln.

In den vergangenen Tagen war unter Berufung auf Unterlagen des Bundeskriminalamts über Betrügereien in Milliardenhöhe berichtet worden. Die Rede war dabei von Abrechnungsbetrug im Rahmen von organisierter Kriminalität. So sollen russische Banden in verschiedenen Bundesländern offenbar systematisch eigene Pflegedienste zu betrügerischen Zwecken aufgebaut haben. Dabei wurden nach Angaben der Teilnehmer des Treffens beispielsweise Angehörige speziell darauf trainiert, eine Pflegebedürftigkeit zu simulieren, um so Leistungen abrechnen zu können.

Auf Ratlosigkeit stieß bei den Teilnehmern der Runde, die sich aus Vertretern von Krankenkassen, Ärzten, Bundesländern, Bundesinnenministerium, Bundeskriminalamt und Pflegeverbänden zusammensetzte, vor allem das angebliche Ausmaß des Betruges. Hier war in den vergangenen Tagen von einer Milliarde Euro und mehr die Rede. Insgesamt hat die Pflegeversicherung für die ambulante Pflege 2014 rund 13 Milliarden Euro ausgegeben. Der Betrug müsste also massenhaft organisiert sein, was viele Teilnehmer für unwahrscheinlich hielten.

Das Bundesgesundheitsministerium wies derweil Anschuldigungen zurück, wonach es schon 2014 konkrete Hinweise auf organisierte Kriminalität im Pflegebereich hatte und nicht darauf reagiert habe. Entsprechende Hinweise des stellvertretenden Bürgermeisters des Berliner Bezirks Mitte, Stephan von Dassel, seien "genau wie andere Hinweise in gesetzgeberische Verbesserungsmaßnahmen eingeflossen". So sei die Pflegeversicherung zum Beispiel in den beiden Pflegestärkungsgesetzen mit klaren Regelungen zur Bekämpfung von Abrechnungsbetrug und Qualitätsmängeln geschaffen worden. Der Spitzenverband der Kassen habe bei dem Treffen am Freitag zudem bestätigt, dass noch in diesem Jahr ein bundeseinheitliches Konzept zur Überprüfung der Abrechnungen in der ambulanten Pflege erarbeitet werde, sagte ein Sprecherin.

Thomas Meißner, Präsidiumsmitglied im Deutschen Pflegerat, begrüßte das schnelle Handeln Gröhes. Dieser Dialog sei eine neue Qualität. Herbert Mauel, Geschäftsführer des Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, sagte, die kriminellen Strukturen in der Branche müssten bekämpft werden. Jedoch müsse man aufpassen, dabei das Vertrauen in die Pflege nicht zu zerstören.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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