Bericht des Pflegerats:Pfleger warnen vor Kollaps in der Altenversorgung

  • Die große Mehrheit der 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland wird nicht in einem Heim, sondern zu Hause versorgt. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Statistischen Bundesamts hervor.
  • Seit 2011 ist die Zahl der Menschen, die im Alltag Hilfe benötigen, um fünf Prozent gestiegen.
  • Berufsverbände beklagen Personalmangel und warnen vor einem "Kollaps" im Bereich der Kranken- und Altenpflege. Die Bundesregierung will Pflegeberufe attraktiver machen.

Von Kim Björn Becker

Die Mehrheit der alten Menschen in Deutschland wird nicht in einem Pflegeheim versorgt, sondern zu Hause - und dort zumeist von Angehörigen. Das ist das Ergebnis der jüngsten Pflegestatistik, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag vorgestellt hat. Demnach waren im Dezember 2013, dem Zeitraum der Erhebung, bundesweit 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig. Das sind fünf Prozent oder 125 000 Personen mehr als Ende 2011. Damals erschien der bis dahin letzte Pflegebericht. Die Statistiker des Bundesamts führen die Steigerungsrate auf die allgemeine Alterung der Gesellschaft zurück, mit ihr steigt auch der Anteil derer, die ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können.

Ende 2013 wurden fast drei Viertel aller Pflegebedürftigen, 71 Prozent sind es genau, in den eigenen vier Wänden versorgt. Der Anteil entspricht 1,87 Millionen Menschen. Davon wurde wiederum eine große Mehrheit, 1,25 Millionen Personen, ausschließlich von Angehörigen betreut. Im Vergleich zu 2011 wuchs der Anteil dieser Personengruppe um 5,4 Prozent und stieg somit leicht überproportional an.

Noch deutlicher ist der Trend bei der ambulanten Pflege: In weiteren 600 000 Fällen übernahm ein professioneller Dienst die Versorgung zu Hause entweder ganz oder in Teilen. Gegenüber 2011 wuchs die Zahl sogar um 6,9 Prozent. Demgegenüber wurden etwa 760 000 Personen vollstationär in einem von 13 000 Pflegeheimen untergebracht. Bei ihnen wird der umgekehrte Trend deutlich: Mit einer Steigerungsrate von lediglich 2,9 Prozent liegt das Wachstum der stationären Pflege klar unter dem Mittelwert.

Pfleger warnen vor "Kollaps"

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte die neuen Zahlen pünktlich zum Beginn des Deutschen Pflegetags in Berlin. Der mehrtägige Fachkongress wird vom Deutschen Pflegerat ausgerichtet, der Dachorganisation mehrerer Berufsverbände des Pflegewesens. Bis Samstag werden etwa 4000 Teilnehmer zusammenkommen.

Der Veranstalter nahm die jüngsten statistischen Befunde sogleich zum Anlass, vor einem drohenden "Kollaps" im Bereich der Kranken- und Altenpflege zu warnen. So formulierte es der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus. Allein in Krankenhäusern fehlten etwa 50 000 Stellen, um den Personalabbau zwischen den Jahren 2007 und 2009 auszugleichen. "Die Pflegebedürftigen spüren den Personalmangel ganz massiv", sagte Westerfellhaus. Es brauche vor allem mehr Mitarbeiter, damit die geplante Pflegereform ein Erfolg werde. "An dieses Personal müssen wir herankommen, das müssen wir bezahlen und das müssen wir halten".

Pflegeberufe sollen attraktiver werden

Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), kündigte am Donnerstag in Berlin an, im Sommer einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden soll. Damit, so Laumann, soll eine "faire Bezahlung" der Pflegekräfte erreicht und außerdem bei der Ausbildung nicht mehr wie bisher zwischen Alten- und Krankenpflege unterschieden werden. Die Einkommen beider Berufsgruppen unterscheiden sich teils erheblich, das hat Ende Januar eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Sozialforschung ergeben, die der Pflegebeauftragte Laumann selbst in Auftrag gegeben hatte.

Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz, die unter anderem die Interessen Pflegebedürftiger vertritt, hielt der Bundesregierung angesichts der Zahlen vor, zu wenig für die große Gruppe der betreuenden Familienmitglieder zu tun: "Für den Staat ist das billig, für die Pflegenden ein täglicher Kraftakt", sagte er am Donnerstag.

2016 soll das zweite Pflegestärkungsgesetz folgen

Auch der AOK-Bundesverband hat mehr Hilfe für pflegende Angehörige gefordert. Der Vorsitzende Jürgen Graalmann rechnete vor, dass die gesellschaftliche Wertschöpfung, gemessen am durchschnittlichen Zeitaufwand, etwa 29 Milliarden Euro pro Jahr betrage. Die Aufwertung der professionellen Pflege allein werde nicht ausreichen, um den drohenden Notstand zu bewältigen, warnte Graalmann. Nachdem das erste Pflegestärkungsgesetz der Bundesregierung zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, soll 2016 das zweite folgen.

Graalmann forderte, dass darin ein Rechtsanspruch auf Beratung für pflegende Angehörige festgeschrieben werden müsse. Ähnlich äußerte sich auch der Sozialverband VdK. Für dessen Präsidentin Ulrike Mascher deuten die jüngsten Zahlen auf einen "gravierenden Handlungsbedarf in der Pflege" hin, der eine umfassende Reform erforderlich mache. Mascher kritisierte unter anderem, dass immer mehr Menschen "vom Pflegefall zum Sozialfall" würden.

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