Copsy-Studie:Kindern und Jugendlichen geht es deutlich schlechter als vor der Pandemie

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Psychische Auffälligkeiten, Angstbeschwerden und depressive Symptome sind bei Kindern und Jugendlichen derzeit im Mittel um etwa fünf Prozentpunkte häufiger als vor der Pandemie. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Kriege, Klima, wirtschaftliche Instabilität: Junge Menschen in Deutschland leiden unter vielen Krisen. Und es gibt einen weiteren belastenden Faktor.

Von Werner Bartens

Nach der Krise ist vor der Krise. Und zwischendurch ist auch Krise. So fühlen sich viele Kinder und Jugendliche in Deutschland laut einer die Erhebungen zur psychischen Belastung. Am Mittwoch sind die Ergebnisse der sogenannten Copsy-Studie für die Jahre 2023 und 2024 bekannt geworden. Die Abkürzung steht für Corona und Psyche. Insgesamt haben mehr als 2800 Familien mit Kindern und Jugendlichen an der Studie teilgenommen, die bereits vor der Pandemie begonnen wurde und daher Vergleiche zulässt. Die neue Auswertung ist bisher noch nicht von unabhängigen Fachleuten begutachtet worden. Da der damit verbundene Veröffentlichungsprozess jedoch oft ein halbes Jahr oder länger dauert, sind die Forscher damit bereits jetzt an die Öffentlichkeit gegangen und haben die Ergebnisse während einer Pressekonferenz des Science Media Centers vorgestellt.

Ursprünglich sollten vor allem die Auswirkungen der Pandemie auf die seelische Gesundheit der jungen Generation erfasst werden. Mittlerweile bekommt die Menschheit jedoch eine „Überdosis Weltgeschehen“ verabreicht, wie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen das Phänomen oft genannt hat, dass sich die Krisen gegenwärtig ballen. In der Copsy-Studie geht es deshalb inzwischen auch darum, ob sich Kinder und Jugendliche von Corona erholen konnten und wie sie auf die vielen neuen Herausforderungen wie Kriege und wirtschaftliche Unsicherheit reagieren.

„Wir sehen, dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen seit zwei Jahrzehnten relativ stabil gewesen ist, sich während der Corona-Pandemie aber deutlich verschlechtert hat“, sagte die Kinder- und Jugendpsychiaterin Ulrike Ravens-Sieberer, die die Copsy-Studie geleitet hat. „Nach dem Ende der Pandemie kam es zu einer Erholung, doch die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen hat sich auf einem um fünf Prozentpunkte schlechteren Niveau im Vergleich zu vorher stabilisiert.“ Ein solcher Anstieg mag nicht besonders dramatisch klingen. Das wären jedoch allein in Deutschland etwa 400 000 Kinder zusätzlich, denen es schlechter geht.

„40 Prozent der Kinder und Jugendlichen nutzen mindestens vier Stunden am Tag digitale Medien“

„Über Jahre haben wir gesagt, dass ungefähr jedes fünfte Kind in Deutschland unter psychischen Belastungen leidet und dass dies kein guter Zustand ist“, sagte Marcel Romanos, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Jetzt ist die psychische Gesundheit noch schlechter geworden, das Problem hat sich verschärft.“ Deutschland habe ohnehin schon Nachholbedarf in der Versorgung psychischer Erkrankungen, und der aktuelle Befund falle in eine Zeit, da die Mittel in diesem Bereich gekürzt würden, Personal fehle und es Monate dauern könne, bis ein Therapieplatz oder ein Klinikbett frei seien.

Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Anne Kaman, die ebenfalls an der Studie beteiligt war, zeigte, dass 18 Prozent der Kinder vor der Pandemie über eine verminderte Lebensqualität klagten. Während Corona stieg dieser Anteil – besonders in Phasen des Lockdowns und der Schulschließungen – auf bis zu 48 Prozent. Nach dem Ende der Pandemie sank er zwar wieder auf 22 Prozent, blieb damit aber oberhalb des prä-pandemischen Wertes. Ein ähnlicher Trend gilt für psychische Auffälligkeiten, Angstbeschwerden und depressive Symptome – sie sind derzeit im Mittel um etwa fünf Prozentpunkte häufiger als vor der Pandemie. Von den Teilnehmern fühlen sich zudem 21 Prozent einsam. Befragt nach ihren vorherrschenden Sorgen, ergab die letzte Erhebung vom Oktober 2024, dass Kriege (72 Prozent), die unsichere wirtschaftliche Lage (62 Prozent) und die Klimakrise (57 Prozent) Kinder und Jugendliche am meisten beschäftigten. Corona spielt mit 15 Prozent eine geringere Rolle.

Zudem hat sich gezeigt, dass multiple gesellschaftliche Krisen, etwa Kriege und die Klimakrise, die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen verschlechtern. Sie fühlen sich dadurch belastet. Dies wird verstärkt durch die unregulierte Mediennutzung. „Die Informationen dringen quasi ungefiltert zu den Kindern und Jugendlichen durch“, sagte Ravens-Sieberer. „Sie haben eine Krise erlebt, und in ihrer Wahrnehmung schließen sich direkt die nächsten an, ohne dass da Erholungszeit wäre.“ Neben der Vielzahl an negativen Informationen führen aber auch Ausgrenzung und Mobbing über Social Media dazu, dass sich viele Kinder und Jugendliche seelisch angegriffen fühlen. Besserung ist kaum in Sicht, denn „40 Prozent der Kinder und Jugendlichen nutzen mindestens vier Stunden am Tag digitale Medien“ – und „jede Stunde mehr erhöht das Risiko für psychische Auffälligkeiten zusätzlich“, so Anne Kaman.

Der Sozialisationsforscher Ullrich Bauer von der Universität Bielefeld wies auf etliche Megatrends hin, die den Eindruck von Instabilität und Unsicherheit verstärken. Neben Krieg und Klimawandel nehme auch der Anteil der Demokratien auf der Welt ab und die Polarisierung der Gesellschaft in vielen Ländern zu. Viele jüngere Menschen würden sich zudem zurückgesetzt fühlen. „Sie vergleichen sich mit Älteren oder mit sich selbst vor der Pandemie und denken dann, dass sie schlechter dran sind“, so Bauer. „Verletzliche Persönlichkeiten reagieren auf diese Polykrisen. Es herrschen gerade leider günstige Bedingungen für eine mentale Dysbalance.“ Die Copsy-Forscher stellten zudem fest, dass Kinder mit großen Zukunftsängsten ein dreimal höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben.

Als weitere Risikofaktoren gelten Migrationshintergrund, beengter Wohnraum, geringe Bildung der Eltern und psychisch belastete Eltern. Schutzfaktoren sind hingegen Zuversicht und das Gefühl der Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung und viel gemeinsam mit der Familie verbrachte Zeit. Bauer sprach von einem „klaren sozialen Gradienten“ – und zwar psychisch wie ökonomisch – in der Verteilung dieser Ressourcen. „In Gesellschaften mit großer Spaltungstendenz, in denen das untere Drittel das Gefühl hat, abgehängt zu werden, sind die Menschen deutlich anfälliger für psychische Erkrankungen“, so der Sozialisationsforscher. „Seit etwa 30 Jahren tut sich die Schere immer weiter auf.“

Zwar sind sich Fachleute einig, wie Ressourcen und Schutzfaktoren gestärkt werden könnten, mit denen man besser gegen psychische Erkrankungen gewappnet ist: Kinder und Jugendliche müssen lernen, wie sie selbst etwas bewirken und verändern können, wo sie bei Bedarf Hilfe bekommen und auf wen sie sich verlassen können. In Gruppenspielen und im Alltag können solche Erlebnisse gezielt herbeigeführt und nützliche Strategien eingeübt werden. Doch dort, wo sich das Training abspielen sollte, sind die Strukturen besonders zäh: Einige Schulen haben zwar entsprechende Projekte gestartet, andere widmen sich dem Thema aber gar nicht. Und in Familien ist es noch schwieriger, etwas zu erreichen.

„Man sollte sich klarmachen, dass jeder Dritte in Deutschland irgendwann einmal psychisch in Krisen gerät oder erkrankt“, sagt Marcel Romanos. „Das fällt ja nicht plötzlich irgendwann vom Himmel, sondern fängt oft in Kindheit oder Jugend an.“ Wenn die Belastungen insgesamt mehr werden, ist das zudem nicht nur ein Schub für die diversen seelischen Leiden. Auch körperliche Beschwerden nehmen dann zu.

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