Coronavirus:Erklärung mit Hintergedanken

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Protest gegen Corona-Maßnahmen: ein Schild bei einer Demo in Berlin. (Foto: Müller-Stauffenberg via www.imago-images.de/imago images/Müller-Stauffenberg)

Die "Great Barrington Declaration" dreier Wissenschaftler von Elite-Universitäten gegen Corona-Maßnahmen hat Hunderttausende Unterzeichner. Doch der Vorstoß ist aus medizinischer Sicht gefährlich - und dahinter stehen Geldgeber mit eigener Agenda.

Von Christina Berndt

Ihr Ziel werden die Autoren dieser Erklärung wohl erreichen: Rund 475 000 Unterzeichner haben sie schon gewonnen, eine Million sollen es werden - und das wird ein Leichtes sein. Denn die "Great Barrington Declaration", die Anfang Oktober online gestellt wurde, wird im Netz von Gegnern der Corona-Maßnahmen gerade begeistert gefeiert. Jede Stunde kommen einige Tausend Unterzeichner hinzu.

Der Grund für die Begeisterung: Die Verfasser der Deklaration bieten einen vermeintlichen Ausweg aus den unangenehmen Nebenwirkungen der Pandemie, und es handelt sich auch noch um Professoren von den weltberühmten Universitäten Oxford, Harvard und Stanford. Die Maßnahmen hätten schon zu viel Leid verursacht, beklagen die drei: Kinder erhielten weniger Impfungen, Herzkranke nicht mehr die richtige Behandlung und psychische Erkrankungen nähmen zu. Die Folgen müssten vor allem die jungen Mitglieder der Gesellschaft noch jahrelang tragen. Ihre Lösung: ein "fokussierter Schutz". Junge, gesunde Menschen sollten endlich wieder ihr Leben leben und so die Durchseuchung der Gesellschaft mit Sars-CoV-2 hin zur Herdenimmunität ermöglichen; auf die Alten und Kranken sollte dagegen aufgepasst werden.

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Doch ob man es nun "fokussierten Schutz" oder "Herdenimmunität" nennt: Diese Strategie wurde schon zu Beginn der Pandemie diskutiert - und schnell verworfen. In Europa dachten die Niederlande, Großbritannien und Schweden darüber nach, diesen Weg zu gehen. Aber sie verließen ihn, als ihre Fall- und Todeszahlen in die Höhe schnellten. Die Infektionen erfassten anders als geplant auch die Alten und Verletzbaren.

Die Thesen der Autoren wurden von Fachkollegen bereits widerlegt

Wie sie eben das verhindern wollen, dazu schreiben die drei Autoren in ihrer auf eine Seite passenden Deklaration kaum etwas. Ohnehin bleiben der Biostatistiker Martin Kulldorff (Harvard), die Epidemiologin Sunetra Gupta (Oxford) und der Public-Health-Experte Jay Bhattacharya (Stanford) erstaunlich vage. Dabei waren alle drei in den vergangenen Monaten bereits durch kühne Thesen zur Pandemie aufgefallen, die von anderen Wissenschaftlern zerpflückt wurden.

So hat Sunetra Gupta im März in einem weithin kritisierten Papier behauptet, es sei schon die Hälfte der britischen Bevölkerung mit dem Virus durchseucht und dadurch immun. Eine erhebliche Fehleinschätzung, wie Tests inzwischen nachgewiesen haben. Bis heute, da Sars-CoV-2 in Großbritannien bereits 43 000 Leben gefordert hat, haben keine zehn Prozent der Bevölkerung Antikörper dagegen gebildet. Das lässt erahnen, welche Folgen es hätte, wenn sich das Virus relativ ungehindert ausbreiten könnte: "Die Herdenimmunität würde in Deutschland 400 000 Menschen das Leben kosten", rechnet Karl Lauterbach vor - "mindestens". Dieser Weg sei "komplett unethisch", so der Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte.

"Unethisch und einfach nicht machbar", so nennt auch Robert Lechler den Ansatz, der Präsident der britischen Academy of Medical Sciences. Es sei gar nicht möglich, eine so große Gruppe von Menschen nachhaltig zu schützen, ohne sie erheblichen Risiken auszusetzen, schreibt er in einem Papier, das er wegen der Great Barrington Declaration verfasst hat - aus Sorge. Noch dazu sei das Virus für die Jungen und Fitten keineswegs harmlos. Auch sie können schwer erkranken - und selbst bei leichten Verläufen Langzeitfolgen davontragen wie chronische Erschöpfung und mentale Einbußen.

Dennoch findet die Erklärung breite Zustimmung. Neben mehr als 400 000 "besorgten Bürgern" haben sie bereits rund 25 000 Ärzte und fast 10 000 Wissenschaftler aus Medizin und Public Health unterstützt - so zumindest ordnen sich die Unterzeichner selbst ein. Allerdings finden sich gerade in der Gruppe der angeblichen Wissenschaftler jede Menge bizarrer Identitäten. "Dr. Person Fakename" hat der britische Sender Sky auf der Liste entdeckt, "Dr. Johnny Bananas, Arzt für harte Summen" oder "Dr. I. P. Freely", "I pee freely" also, "Ich pinkle frei".

Der Thinktank in Great Barrington wird von Klimaleugnern mitfinanziert

Auf die Frage, weshalb nicht sorgfältiger darauf geachtet werde, wer die Deklaration signiert, antwortete Jay Bhattacharya dem Sender Sky: "Wir haben nicht genügend Ressourcen, um jede Unterschrift zu überprüfen."

Martin McKee, Professor für European Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, glaubt hingegen, dass Kalkül dahintersteckt. Je länger die Liste der angeblichen wissenschaftlichen Unterstützer wird, desto mehr sieht es danach aus, als befürworte tatsächlich ein beträchtlicher Anteil der Scientific Community den Weg zur Herdenimmunität. Dabei ist dies nicht der Fall. McKee erinnert das an die Methoden der Tabakindustrie, die sich seit Jahrzehnten in die öffentliche Debatte einmischt und dort nacheinander Rauchen, Passivrauchen und E-Zigaretten verharmlost.

Da verwundert es nicht, dass die Erklärung ausgerechnet in Great Barrington in Massachusetts unterzeichnet wurde - im dort ansässigen American Institute for Economic Research (AIER). Zu dessen Geldgebern zählt der US-Öl-Milliardär Charles Koch, ein notorischer Leugner des Klimawandels, seine Stiftung hat schon mindestens eine fünfstellige Summe gespendet. Zudem profitiert das Institut von eigenen Investitionen unter anderem in Mineralöl- und Tabakkonzerne. Erklärtes Ziel des Think Tanks ist es, eine "wirklich freie Gesellschaft" zu fördern, "mit freien Märkten und einer begrenzten Regierung". Anders ausgedrückt: Das AIER will die öffentliche Meinung manipulieren - für eine ungezügelte Wirtschaft. Zum Thema Klimawandel hat das Institut schon mehrere Berichte herausgegeben, allesamt verharmlosend. Wer sich ums Klima keine Sorgen machen muss, kann eben skrupellos weiter Geschäfte machen. Und wer Corona nicht fürchtet, ebenso.

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