Arzneimittel:Lieferengpässe bei Medikamenten treffen Deutschland

Medikamentensucht bei Senioren - Illustration

Das Medikament ist aufgebraucht, Nachschub aber ist knapp. Dies kommt häufiger vor - und versetzt Ärzte in Sorge.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Krebspatienten müssen derzeit damit rechnen, ein wichtiges Medikament nicht mehr in ausreichender Dosis zu bekommen. Die Verknappung ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es zu Engpässen. "Da lauert ein Problem", warnen Ärzte.

Von Christina Berndt

Die Nachricht klingt, als stamme sie aus einem entlegenen Winkel der Erde: Es gibt einen Lieferengpass für ein wichtiges Krebsmedikament, das gegen Tumore in Darm, Magen und Brust eingesetzt wird. Tatsächlich jedoch betrifft die Nachricht Deutschland. Dort können Patienten von sofort an bis etwa Mitte 2013 nicht in üblicher Weise mit dem Mittel Capecitabin behandelt werden; Ärzte müssen auf andere Dosierungen oder andere Präparate zurückgreifen.

Solche Meldungen, wie sie der Pharmariese Roche jüngst übermittelt hat, sind keine Ausnahme mehr. Immer wieder kommt es zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln - besonders häufig geht es um lebenswichtige Medikamente wie Krebsmittel und Antibiotika. "Bei allem Verständnis für die Verunsicherung über Pferdefleisch in der Lasagne oder falsche Deklarierung von Bio-Eiern steht uns da möglicherweise ein Problem noch ganz anderer Dimension ins Haus", sagt der Vorsitzende des ärztlichen Berufsverbandes Hartmannbund, Klaus Reinhardt. Die Warnung müsse sehr ernst genommen werden.

"Da lauert ein Problem", sagt auch Bernhard Wörmann, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO). Und dieses Problem sei vielschichtig. Zwar haben Pharmaunternehmen in Deutschland den gesetzlichen Auftrag, alle zugelassenen Arzneimittel kontinuierlich bereitzustellen. Gleichwohl können sich die Hersteller auf Produktionsschwierigkeiten berufen oder - etwa weil die Herstellung nicht mehr lukrativ ist - Arzneimittel sogar vom Markt nehmen, wie dies jüngst mit dem Leukämiemedikament Alemtuzumab geschehen ist.

Oft lohnt sich die Produktion älterer Präparate nicht mehr, zumal wenn der Patentschutz abgelaufen ist. Wenn es dann in den verbliebenen Fabriken zu Qualitäts- oder Sicherheitsproblemen kommt, ist schnell der ganze Weltmarkt betroffen. Ohnehin haben viele Konzerne ihre Produktion inzwischen nach Asien verlagert, wo sie einer Kontrolle durch europäische und amerikanische Arzneimittelbehörden weitgehend entzogen sind.

Zehn-Punkte-Pläne, wenn das Kind schon im Brunnen liegt

DGHO-Präsident Wörmann fordert daher die Einrichtung eines öffentlichen Registers für Arzneimittel, wie es in den USA existiert. Damit wäre eine drohende Knappheit wenigstens erkennbar. "Ein solches Register schafft Transparenz und ermöglicht es, frühzeitig zu reagieren", sagt er. Angesichts der kurzfristigen Mitteilung von Roche könnte man im aktuellen Fall nur hoffen, dass es bei Capecitabin "zu keinem realen Lieferausfall für Patienten kommt".

Wegen der fehlenden Erfassung gibt es in Deutschland keine gesicherten Zahlen über Lieferengpässe. In den USA wuchs die Zahl der gemeldeten Schwierigkeiten von gut 50 im Jahr 2006 zuletzt auf das Fünffache.

Auf das Problem ist auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aufmerksam geworden, wenngleich ein Sprecher betont, dass "wir flächendeckend eine sehr gute Arzneimittelversorgung" haben. Vor Kurzem habe das BMG aber Ärzte, Apotheker und Hersteller zu Gesprächen zusammengerufen, "in denen mögliche Ursachen und geeignete Gegenmaßnahmen diskutiert worden sind". Diese würden derzeit ausgewertet.

Die Politik müsse Kontrollinstrumente entwickeln, die Qualitätsstandards garantieren, fordert Hartmannbund-Präsident Reinhardt. Durch die Produktion im Ausland sei die Qualität der Arzneimittel nicht mehr sichergestellt; womöglich könnten gesundheitsgefährdende Präparate nach Deutschland gelangen. "Ich appelliere dringend an alle Verantwortlichen, nicht erst unter großem Getöse Zehn-Punkte-Pläne aufzulegen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist", sagt Reinhardt und warnt vor "gefährlichen Folgen für Patienten".

Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel, Walter Schwerdtfeger, plädiert für Anreize, die dazu führen, dass Firmen ihre Produktion nach Europa zurückverlagern. Auch müssten höhere Anforderungen an Produktqualität und -sicherheit gestellt werden. "Murphy's Law wird sonst dafür sorgen, dass irgendwann ein Schadensereignis eintritt", prophezeite er.

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