Niedrige soziale Stellung macht krank. Weder Bluthochdruck, Cholesterin noch Krebsgene stehen an erster Stelle, wenn die Gefahren für das Befinden dekliniert werden. Vielmehr sind es Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Bildung, die den Menschen in Deutschland gesundheitlich am meisten zu schaffen machen. Der Zusammenhang von gesellschaftlicher Schicht und Befinden ist zwar bekannt, Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock belegen aber nun mit einer bisher nicht dagewesenen Datenfülle, wie stark soziale Unterschiede die Lebenserwartung in Deutschland beeinflussen.
Das Team um Pavel Grigoriev hat Rentenversicherungsdaten von 27 Millionen Arbeitnehmern im Alter zwischen 30 und 59 Jahren ausgewertet und zeigt im British Medical Journal, dass Arbeitslosigkeit das Sterberisiko verdoppelt. Die Sterblichkeit von jenem Fünftel Männer, das am schlechtesten verdient, lag sogar um 150 Prozent über derjenigen der Männer im ersten Fünftel, die über das höchste Einkommen verfügten.
Schlechtere Bildung wirkte sich nicht ganz so deutlich aus, dadurch erhöhte sich das Sterberisiko für Männer um "nur" etwa 30 Prozent. "Die Wohnregion hat einen geringen Einfluss auf das Sterberisiko", sagt Grigoriev. Zwar sei das Sterberisiko im Osten höher. Das liege aber vor allem daran, dass im Osten mehr Menschen arbeitslos und schlechter gebildet seien und über weniger Einkommen verfügten.
Die Spanne bei der Lebenserwartung ist vom Einkommen abhängig
Wie extrem der sozioökonomische Status die Überlebenschancen beeinflusst, zeigt die am stärksten benachteiligte Gruppe der Männer im Osten: Hier zählen 14 Prozent zur untersten Einkommens- und Bildungsschicht. Diese Gruppe hat im Vergleich zur höchsten Schicht ein mehr als achtmal so hohes Sterberisiko.
Sterberisiko ist ein für Laien irritierender Begriff - schließlich müssen alle Menschen irgendwann sterben. Bevölkerungsforscher verstehen darunter die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu sterben. Anschaulicher sind Angaben zur Lebenserwartung. So zeigte 2015 eine Analyse, dass sich die Lebenserwartung für 40-jährige Männer in Deutschland abhängig vom Einkommen um mehr als fünf Jahre unterscheidet. Der Unterschied beträgt mehr als zehn Jahre, werden unbefristet Beschäftigte oder Selbständige mit Arbeitslosen verglichen. Wird nach Berufsgruppen unterschieden, geht die Lebenserwartung sogar um fast 15 Jahre auseinander. Bei Frauen sind die Abstände nicht so groß.
Die Max-Planck-Forscher kritisieren, dass besonders Daten über den Zusammenhang zwischen Sterblichkeit und sozioökonomischem Status in Deutschland schwer zu bekommen seien. "Das liegt vor allem an der strengen Auslegung des Datenschutzes für staatliche Datensätze", sagt Grigoriev. Möglich, dass dies manchen Politikern gelegen kommt, denn sozialpolitische Weichenstellungen wirken sich unmittelbar auf Gesundheit und Krankheit aus. Arbeitsbedingungen, Bildungschancen sowie die soziale Absicherung und das Lohn- und Steuerniveau entscheiden, mit welcher Lebenserwartung Menschen rechnen können. Bleibt es so mühsam, den Ist-Zustand zu beschreiben, ist mit Besserung nicht zu rechnen.