Familienplanung:Was können Zyklus-Apps?

Familienplanung: Mit Apps auf dem Smartphone können Frauen Daten über ihren Zyklus sammeln und auswerten.

Mit Apps auf dem Smartphone können Frauen Daten über ihren Zyklus sammeln und auswerten.

(Foto: Jessy Asmus/SZ.de)

Zyklus-Apps kommen bunt und modern daher, arbeiten aber mit jahrzehntealten Algorithmen.

Von Eva Dignös

Dutzende von Zyklus-Apps sind in den App-Stores zu haben. Meist ist ihr Design rosarot, verziert mit Blümchen, Schmetterlingen oder anderem niedlichem Getier. Den Zyklus der Frau und seine sichtbare Auswirkung, die Menstruation, versteckte man schon immer gern hinter blumigen Metaphern. Aber immerhin: Ein Tabu-Thema schafft es jetzt bis auf das Smartphone-Display. Die Apps folgen dem Trend, Körperfunktionen zu messen und auszuwerten. Diesmal geht es um die Frage, was die Hormone im Körper einer Frau machen, wann der Eisprung stattfindet, wann die nächste Periode bevorsteht. Doch was hat Frau davon?

Was können Zyklus-Apps?

Grundfunktion ist ein Kalender, in den Daten rund um den Zyklus eingetragen werden. Das ist zunächst einmal nichts Neues: Im Vor-Smartphone-Zeitalter machten Frauen stattdessen ein Kreuzchen im Taschenkalender, wenn die Periode begann. Die Buchführung hilft, einen ungefähren Überblick über den Zyklus zu behalten. Laut einer repräsentativen Umfrage, die Wissenschaftlerinnen der US-Universität Yale durchführten, ist nämlich das Wissen vieler Frauen zu diesem Thema, das sie ja doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit beschäftigt, ziemlich vage. 40 Prozent der befragten Frauen kannten ihren eigenen Zyklus nicht.

Dabei erlebt eine Frau im Laufe ihres Lebens durchschnittlich rund 500 Zyklen. In den drei bis fünf Wochen, die ein aus medizinischer Sicht normaler Zyklus dauert, reift zunächst in den Eierstöcken eine Eizelle heran, die von einer Samenzelle befruchtet werden könnte. Sie wird in den Eileiter entlassen und macht sich auf den Weg Richtung Gebärmutter. Verschmilzt sie innerhalb der folgenden rund 24 Stunden mit einem Spermium und nistet sie sich in der Gebärmutter ein, ist die Frau schwanger. Falls nicht, beginnt mit der Periode der nächste Zyklus (der Bundesverband der Frauenärzte erklärt hier im Detail, was während eines Zyklus passiert). Bei Frauen, die mit Hormonen verhüten, wird der Eisprung unterdrückt. Bei ihnen setzt die regelmäßige Blutung ein, weil der Körper auf die Einnahmepause reagiert, die bei vielen Präparaten vorgesehen ist.

Die meisten Zyklus-Apps bieten an, weitere Informationen rund um das Befinden zu protokollieren: Geht's mir gut? Oder ist die Laune im Keller? Zwickt der Bauch? Oder schmerzt der Kopf? Habe ich schlecht geschlafen, muss ich Medikamente nehmen? Auch Daten über Gewicht und Körpertemperatur können hinterlegt werden, je nach Anbieter unterschiedlich detailliert.

Was machen die Apps mit den Daten?

Die meisten Apps wollen nicht nur Tagebuch der vergangenen Zyklen sein, sondern treffen Vorhersagen für die kommenden Wochen und Monate. Sie stellen dar, wann der nächste Eisprung zu erwarten ist, wann vermutlich die nächste Periode einsetzt. Einige signalisieren den Frauen in den Ampelfarben Grün und Rot "fruchtbar" oder "nicht fruchtbar". Doch so modern die Apps sich geben: Die Berechnungen basierten meist "auf einem völlig veralteten Wissen aus der Vorpillenära in den 50er Jahren", kritisiert Elisabeth Raith-Paula. Die Ärztin aus Puchheim bei München entwickelte 1999 das sexualpädagogische Projekt "MFM" für Mädchen und Jungen in der Pubertät und hält Vorlesungen zu den Themen Menstruationszyklus, Kinderwunsch und Verhütung.

Dem Rechenmodell liege nämlich die Annahme zugrunde, dass ein Zyklus 28 Tage dauere und am 14. Tag der Eisprung stattfindet. Doch das ist reine Statistik: "Mit der Realität hat das nichts zu tun", warnt die Ärztin: Die Zykluslänge sei nicht nur von Frau zu Frau enorm unterschiedlich, sondern generell nicht vorhersagbar: "Bei 70 Prozent aller Frauen schwankt sie innerhalb eines Jahres um mehr als eine Woche, bei 20 Prozent sogar um zwei Wochen und mehr." Und damit auch der Zeitpunkt des Eisprungs, entscheidendes Kriterium, ob eine Frau gerade schwanger werden kann. Weil Samenzellen einige Tage im Körper überleben, seien Frauen an rund sechs Tagen ihres Zyklus fruchtbar - am Tag des Eisprungs sowie fünf Tage davor.

Frauen funktionieren nicht nach Algorithmen

Einige Zyklus-Apps setzen Algorithmen ein, die weitere Parameter berücksichtigen: Sie beziehen die Länge der bisher protokollierten Zyklen in die Berechnung ein, manchmal auch die Körpertemperatur, die nach dem Eisprung um wenige Zehntelgrad ansteigt (und die eine Frau, um diese Information nutzen zu können, natürlich regelmäßig messen muss). Unsicher bleiben die Vorhersagen trotzdem: "Die Abbildung biologischer und physiologischer Vorgänge ist sehr komplex, die verwendeten Modelle beruhen aber auf Algorithmen, die nicht immer mit der weiblichen Physiologie kompatibel sind", sagt Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule in Hannover. Der Mediziner leitet eine Forschergruppe, die Gesundheits-Apps wissenschaftlich untersucht.

Außerdem werde meist nicht offengelegt, wie die Anbieter die gesammelten Daten weiterverarbeiten: "Der Datenschutz ist bei vielen Apps ungeklärt", konstatiert Albrecht. Und gibt zu bedenken: "Gesundheitsdaten sind ein wertvolles Gut und könnten sich zu Marketingzwecken nutzen lassen." Je nach Profil landet dann möglicherweise demnächst Werbung für Verhütungsmittel oder für Windeln im Postfach.

Kann man mit Zyklus-Apps verhüten?

Elisabeth Raith-Paula formuliert es drastisch: Für junge Mädchen, die solche bunt und spielerisch gestalteten Apps gern benutzten, seien die Fruchtbarkeitsvorhersagen "brandgefährlich": "Bei ihnen ist der Zyklus besonders unregelmäßig. Wenn sie sich auf die Apps verlassen, besteht die Gefahr ungewollter Schwangerschaften." Die Apps suggerierten, dass sich der Verlauf des Zyklus sicher vorhersagen lasse, doch "für den aktuellen Zyklus können mit der Kalendermethode keinerlei verlässliche Aussagen getroffen werden". Den jungen Frauen sei das meist nicht bewusst: "Sie sagen mir 'Ich weiß, dass ich gerade fruchtbar bin, weil meine App das so anzeigt'."

Für Frauen, die mit den hormonellen Abläufen in ihrem Körper vertraut sind, können die Apps nach Einschätzung von Christian Albring, Frauenarzt in Hannover und Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, unter bestimmten Bedingungen zur Verhütung geeignet sein, nämlich "wenn der Zyklus sehr regelmäßig ist und regelmäßig über eine sehr lange Zeit, am besten über viele, viele Monate, jeden Morgen nach dem Aufwachen die Körpertemperatur gemessen wird". Aussagekräftig sind diese Daten auch nur dann, wenn nicht andere Faktoren die Körpertemperatur beeinflusst haben: Reisen, unregelmäßige Schlafzeiten, Infektionen oder Sport können sie in die Höhe treiben. "Die App sollte Möglichkeiten anbieten, alles einzutragen, was zu einer Erhöhung der Körpertemperatur führen kann, denn nur so kann eine Fehlbeurteilung verhindert werden", sagt Albring.

Beurteilung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort: Entscheidend ist, dass verschiedene Daten richtig bewertet werden. Auf diesem Prinzip basiert auch die sogenannte Natürliche Familienplanung (NFP), bei der Frauen anhand von Körpertemperatur und weiteren Signalen ihres Körpers ihre fruchtbaren Tage bestimmen. Eine Methode, die funktionieren kann, wenn man sie gelernt hat, die aber einige Erfahrung erfordert. Die Apps lassen sich dafür nutzen, einige sind auch speziell darauf abgestimmt: Sie sammeln elektronisch die Informationen, die sonst in Papiertabellen eingetragen werden. Auswerten allerdings muss der Mensch.

Schwanger werden per App?

Eine seriöse App stufe die gesamte Zeit von der Menstruation bis zum Eisprung niemals als "sicher" ein - "in dem Sinn von 'in dieser Zeit kann es nicht zu einer Schwangerschaft kommen'", sagt der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Mehrere Apps verweisen auch ausdrücklich darauf, dass sie nicht als Verhütungsmittel gedacht sind. Allerdings geschieht das meist nur in der Produktbeschreibung im Store - wichtig wäre ein regelmäßiger Warnhinweis, verbunden mit möglichst umfassenden und fundierten Informationen über die Abläufe im Körper, fordert Elisabeth Raith-Paula.

Helfen Zyklus-Apps, schwanger zu werden?

Schwanger werden kann eine Frau nur an vergleichsweise wenig Tagen ihres Zyklus: Rund 24 Stunden lang ist die Eizelle bereit, zusammen mit einem Spermium den entscheidenden ersten Schritt zu gehen. Weil die Samenzellen mehrere Tage im Körper der Frau überleben können, sind auch schon die Tage vor dem Eisprung spannend. Die Apps könnten Paaren mit Kinderwunsch dabei helfen, den Zeitpunkt ihres Eisprungs festzustellen, um dann in dieser Zeit besonders häufig Sex zu haben, sagt Frauenarzt Christian Albring.

Wie genau die Voraussagen sind, hängt natürlich auch hier wieder von der Methode ab, nach der das jeweilige Programm arbeitet. Werden einfach nur nach Standardmodell Tage abgezählt, ist das Risiko groß, den entscheidenden Zeitraum zu verpassen. Werden Werte wie die Körpertemperatur einbezogen, steigt die Genauigkeit. Doch auch hier gilt: Einigermaßen zuverlässig lässt sich auf diese Weise der Zeitpunkt des Eisprungs erst bestimmen, wenn er vorbei ist - um schwanger zu werden, ist das zu spät.

Gesundheits-App-Experte Urs-Vito Albrecht rät Ärzten ausdrücklich davon ab, Patientinnen im Beratungsgespräch die Nutzung einer App zu empfehlen, sei es bei Kinderwunsch, sei es zur Verhütung: Wenn das Smartphone-Programm nicht entsprechend funktioniert, könne das "unter Umständen haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen".

Was bringen die Apps dann überhaupt?

So ungefähr zu wissen, wann die nächste Menstruation bevorsteht, ist im Frauenleben grundsätzlich ganz praktisch, weil es unangenehmen Überraschungen vorbeugt. Auch beim Vorsorgetermin in der Frauenarztpraxis lautet die Standardfrage: "Wann war denn die letzte Periode?" Christian Albring findet denn auch: "Zyklus-Apps sind gut geeignet, um den eigenen Zyklus kennenzulernen."

Das Wechselspiel der Hormone im Körper, das den Zyklus der Frau in Gang hält, sorgt außerdem nicht nur dafür, dass eine Eizelle befruchtet werden und sich in der Gebärmutter einnisten kann, sondern kann auch Stimmung, Befinden und Verhalten beeinflussen. Rund um den Eisprung fühlen sich viele Frauen selbstbewusst und schön - und wirken auch auf andere besonders attraktiv, wie Forscher herausfanden. Die Tage, kurz bevor die Periode einsetzt, sind dagegen oft von Stimmungsschwankungen geprägt, manche Frauen schlafen schlecht, andere leiden an Bauchschmerzen. Werden die Begleiterscheinungen des Zyklus protokolliert, lassen sich Muster erkennen. Und wer weiß, dass die schlechte Laune zwar lästig ist, aber nach ein paar Tagen auch wieder vergeht, erträgt sie möglicherweise leichter.

"Die Apps können durchaus dazu dienen, die Themen Zyklus und Menstruation aus der Tabuzone herauszuholen", sagt Elisabeth Raith-Paula. Den Frauen zu mehr Körperkompetenz zu verhelfen, sei einigen Anbietern ein echtes Anliegen, hat sie festgestellt: "Allerdings dürfen sie nicht vergessen, dass damit auch eine große Verantwortung verbunden ist, denn es geht um Fruchtbarkeit und Leben."

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