Süddeutsche Zeitung

App "Mobile Retter":Rascher als der Rettungsdienst

Bis ein Rettungswagen kommt, können zehn Minuten und mehr vergehen. Eine App verkürzt diese Zeitspanne, indem sie im Notfall Ersthelfer alarmiert, die sich gerade in der Nähe befinden.

Von Florian Gontek

Ralf Stroop sitzt mit seinen Eltern im Kreis Gütersloh beim Kaffeetrinken, als sich plötzlich sein Handy meldet. "Leblose Person bei schwerem Verkehrsunfall" zeigt das Display, ein schriller Alarmton ertönt dazu. Der 48-Jährige ist Notarzt, ein Profi. Und doch ist bei diesem Einsatz alles anders. Allein fährt er zum Unfallort am Rand eines Maisfelds und kommt früher an als alle Blaulicht-Fahrzeuge. Trotzdem kann er dem 44-jährigen Fahrer nicht mehr helfen. Sein Leben zerschellt an einem Birnbaum, am Ende einer Linkskurve. Er war wohl sofort tot.

Der Unfall im Oktober 2013 war der erste Einsatz, den die App "Mobile Retter" ausgelöst hat. Stroop, nicht nur leitender Notarzt des Kreises Gütersloh, sondern auch Ingenieur für Elektro- und Informationstechnik, hatte die Idee dazu und hat die App auch entwickelt. Sie registriert ausgebildete Ersthelfer und alarmiert sie, wenn in ihrer Nähe ein Mensch sofort Hilfe braucht.

Viele Personen als qualifizierte Ersthelfer geeignet

476 solcher registrierten Ersthelfer gibt es heute im Kreis Gütersloh, in dem gut 354 000 Einwohner wohnen. Sie gehören zu den zwei bis drei Prozent der Bevölkerung, schätzt Stroop, die von Berufs wegen oder aufgrund ihres freiwilligen Engagements als Ersthelfer in Frage kommen: Krankenschwestern, Ärzte, Arzthelferinnen, Notärzte, Rettungsdienstpersonal, Feuerwehrleute und Rettungsschwimmer etwa. "Wir nutzen das Potenzial der Leute, die bereits bestens ausgebildet sind", sagt Stroop.

Wenn in der Leitstelle des Kreises Gütersloh ein medizinischer Notruf eingeht, ortet die App automatisch die "Mobilen Retter". Die zwei, die sich am nächsten befinden, bekommen eine Push-Mitteilung auf ihr Handy. Reagieren sie innerhalb von 20 Sekunden nicht, wird der nächste in der Nähe befindliche Ersthelfer alarmiert. Antworten die Angefragten, bekommen sie die Einsatz- und Navigationsdaten übermittelt.

Geschwindigkeit ist wichtig. "Die Überlebenschance bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand sinkt um zehn Prozent pro Minute", sagt Detlef Hardiek, 45. Er gehört zu den ersten registrierten "Mobilen Rettern". Bei der Bundeswehr hat er sich einst zum Sanitätssoldaten ausbilden lassen, heute arbeitet er unweit seines Wohnortes Halle in Westfalen als Werkssanitäter bei einem Automobilzulieferer. Fünfmal hatte er Einsatzanfragen, zweimal ist er ausgerückt.

Skepsis gegenüber den Ersthelfern sei nur zu Beginn da gewesen, wenn die zivilien Helfer mit ihrer kleinen Tasche - gefüllt mit Beatmungsfolie und Einmalhandschuhen - am Einsatzort eingetroffen seien, sagt Hardiek. Ihm ist jedoch kein Fall bekannt, bei dem ein "Mobiler Retter" nicht an den Betroffenen herangelassen wurde. Auch, weil sich die registrierten Ersthelfer mit der App ausweisen können. "In der Regel sind die Menschen einfach nur dankbar", sagt Hardiek. Schließlich sind die Retter oft die erste medizinische Fachkraft am Ort.

Eine Bilanz, 20 Monate, nachdem die App erstmals zum Einsatz kam, bestätigt das: Bei bislang 207 Einsätzen war der Ersthelfer über die "Mobile Retter"-App 159 Mal früher oder genauso schnell wie der Rettungsdienst am Einsatzort.

"Die ersten Sekunden sind bei Kreislaufstillstand und Bewusstlosigkeit besonders entscheidend. Schon nach drei bis fünf Minuten ohne Sauerstoff kommt es zu irreparablen Hirnschäden", sagt Stroop. Auf dem Land in Nordrhein-Westfalen dürfen Feuerwehr und Rettungsdienst maximal zwölf Minuten zum Einsatz brauchen, nachdem der Notruf eingegangen ist. In Thüringen etwa werden außerhalb der Stadt sogar noch fünf Minuten draufgeschlagen. Eine zusätzliche Absicherung - wie die "Mobilen Retter" - schadet da nicht, findet Stroop.

Auch andere Bundesländer haben Interesse

Finanziert wird die App durch Mitgliedsbeiträge und private Spenden, vor allem aber durch Zuwendungen lokaler Großunternehmen und des Kreises. Mittlerweile hat sie größere Bekanntheit erlangt. Sie gehört zu den 100 Projekten, die im Rahmen der Bundesinitiative "Deutschland - Land der Ideen" ausgezeichnet wurde. Leitstellen aus mehreren anderen Bundesländern haben bereits ihr Interesse signalisiert.

Susanne Pohl, Sprecherin vom Bundesverband des Deutschen Roten Kreuzes, würde ein größeres Netzwerk an Ersthelfern prinzipiell befürworten: "Wir begrüßen es natürlich, wenn mehr Ersthelfer zum Einsatz kommen und sie auch schneller vor Ort sind. Den Rettungsdienst kann das jedoch nicht ersetzen."

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