Apotheken:Sparsamkeit könnte Todesfälle in Köln begünstigt haben

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Der Test auf Schwangerschaftsdiabetes ist 2012 in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen worden.

(Foto: imago/Westend61)
  • Für die Untersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes gibt es eine Fertiglösung, doch die Kassen wollten den Test nicht mehr bezahlen. Apotheker rühren die Mischung daher häufig selbst an.
  • Vergangene Woche waren eine 28-jährige Frau und ihr ungeborenes Kind gestorben, nachdem die Schwangere eine solche in der Apotheke angefertigte Glukoselösung getrunken hatte, die verunreinigt war.
  • Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft hatte die Entscheidung der Krankenkassen gegen die Fertiglösung bereits 2016 zurückgewiesen und Probleme bezüglich der Zubereitung betont.

Von Werner Bartens

Manchmal sind Gesundheit und Überleben eine Frage des Preises. Zu diesem zynischen Schluss kann kommen, wer sich das Gefeilsche um die Kosten des Tests auf Schwangerschaftsdiabetes genauer anschaut. Die Diskussion über mögliche Kostenersparnisse bekommt eine bittere Note, weil vergangene Woche eine 28-jährige Frau und ihr ungeborenes Kind in Köln gestorben sind, nachdem die werdende Mutter eine in der Apotheke angefertigte Glukoselösung getrunken hatte, die eine giftige Substanz enthielt. Abhängig davon, wie stark der Blutzucker nach einer solchen Glukosebelastung ansteigt, wird das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes ermittelt. Im März 2012 ist der Screening-Test zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen worden.

Eine Klarstellung vorweg: Auch wenn derzeit oft das Gegenteil behauptet wird, gibt es durchaus ein Fertigpräparat, mit dem auf Schwangerschaftsdiabetes getestet werden kann. Die Zuckerlösung muss nicht von Hand in Arztpraxen oder Apotheken angerührt werden. Roche stellt als einziges Unternehmen eine gebrauchsfertige Lösung her; das Produkt heißt Accu-Chek Dextrose OG-T. Je nach Anbieter kostet die braune Flasche mit 300 Millilitern Saft zwischen 4,59 Euro und 5,53 Euro.

"Die Fertiglösung hat für Frauen wie Ärzte Vorteile"

Angesichts sonst üblicher Preise für Medikamente ist das wenig. Dennoch war diese Summe offenbar zu viel für die Krankenkassen; sie wollten sie nicht länger erstatten. 2016 haben sie mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) vereinbart, dass künftig nur noch die selbst angerührte Zuckerlösung bezahlt wird. Apotheker bekommen dafür 1,21 Euro. Das soll für die Produktkosten sowie die Arbeitszeit aufkommen. Rentabel ist das nicht.

Es ist müßig zu spekulieren, ob der Tod von Mutter und Kind in Köln hätte verhindert werden können. Fest steht, dass die Zubereitung anfälliger für Fehler ist als die Gabe gebrauchsfertiger Lösungen. "Natürlich kann immer etwas passieren", sagt Internistin Heinke Adamczewski vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Schwangerschaft innerhalb der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG). "Aber die Sicherheit von Präparaten, die vom Werk bis zum Verbraucher geschlossen bleiben, ist vermutlich größer als bei selbst angerührten Produkten."

In Adamczewskis Diabetes-Praxis in Köln mit Schwerpunkt auf der Betreuung Schwangerer werden jährlich 900 Frauen auf Schwangerschaftsdiabetes getestet. "Die Fertiglösung hat für Frauen wie Ärzte Vorteile", sagt sie. "Frauen erbrechen seltener, sie ist besser verträglich. Und wir müssen das Zeug nicht selbst anrühren - zudem ist es ja schwer, die erforderliche Genauigkeit zu erreichen." Oft bleibt Bodensatz im Behälter, denn die Glukose löst sich schlecht auf; dann sind die Testergebnisse ungenau, die Diagnosen unsicher.

Trotz der vielen Vorteile der Fertiglösung stehen für etliche Praxen, die Schwangere betreuen, noch Regressandrohungen im Raum, wenn sie das Fertigpräparat verordnet haben. Das würde bedeuten, dass sie die Kosten für die Fertiglösung rückwirkend bis 2017 zurückzahlen müssten. "Das ist noch in der Schwebe", sagt Adamczewski.

"Dabei ging es um den Unterschied von vier Euro"

"Hätten die Krankenkassen dem Fertigprodukt zugestimmt, wäre es wahrscheinlich nicht zu den Todesfällen gekommen", sagt ein Diabetes-Arzt aus dem Rheinland, der nicht namentlich zitiert werden will. "Dabei ging es um den Unterschied von vier Euro." Seit die Fertiglösung nicht mehr erstattet wird, bestellen Ärzte das Glukosepulver für den Sprechstundenbedarf, und dann wird es in die Praxis geliefert, erklärt Holger Neye, gelernter Apotheker, der für die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein arbeitet, das übliche Vorgehen. Warum die in Köln gestorbene Schwangere eine in der Apotheke angerührte Lösung zu sich nahm, ist bisher noch unklar.

Obwohl es sich nur um Zucker in Wasser handelt, dauert es 15 Minuten, bis sich die Glukose aufgelöst hat. "Man muss hin und wieder mit dem Glasstab umrühren oder Rührgeräte anschaffen", sagt Neye. "Das bedeutet einen gewissen Aufwand für die Praxen." Kein Wunder, dass sich Widerstand regte, als die Verhandlungen 2016 ergaben, dass fortan nur noch die selbst angefertigte Lösung erstattet wird. Ausgenommen sind "medizinisch begründete Einzelfälle". Was darunter zu verstehen ist, führt oft zu Diskussionen. "Es ist ein immerwährender Streit mit den Kassen, ob Schwangere dazugehören", sagt KV-Mann Neye.

Seit dem Unglück in Köln wird das Fertigmittel erstattet - aber derzeit ist es nicht lieferbar

Die Gebühren, die Ärzte für den Test auf Schwangerschaftsdiabetes abrechnen dürfen, sind die gleichen, egal ob das Fertigprodukt oder die von Hand hergestellte Lösung verwendet wird. Für den Vortest, der Unregelmäßigkeiten im Zuckerstoffwechsel aufdecken soll und bei dem nach Einnahme von 50 Gramm Glukose nach einer Stunde Blut entnommen wird, gibt es 11,47 Euro. Der eigentliche Orale Glukosetoleranz-Test mit 75 Gramm Glukose, bei dem die Schwangeren nach einer und nach zwei Stunden zu Ader gelassen werden, wird mit 13,96 Euro vergütet.

Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) hatte die Entscheidung der Krankenkassen gegen die Fertiglösung bereits 2016 "entschieden zurückgewiesen" und "Probleme bezüglich der Zubereitung der Glukose-Lösung und mögliche Fehler" betont. Damals ging es vor allem um potenzielle Schäden für Mutter und Kind aufgrund einer falschen Diagnose. Die DDG listete zahlreiche Fehlerquellen auf, etwa wenn kein zugfreier Arbeitsplatz vorhanden ist, "damit kein Glukosepulver verweht". Zudem sei es ist nicht einfach, die Tütchen mit der abgewogenen Menge Glukose-Monohydrat vollständig zu leeren. "Erhebliche Hygieneprobleme" kämen hinzu, da "geeignete Räumlichkeiten in kleineren Praxen und Kliniken de facto nicht zur Verfügung stehen".

Angesichts der Todesfälle in Köln sind Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein und Krankenkassen von der ursprünglichen Vereinbarung abgewichen. Schwangere wie Ärzte sind verunsichert. Bis zum 31.12. werden nun die Kosten für das Fertigpräparat erstattet. "Wir haben sofort bestellt und noch etwas bekommen", sagt Internistin Adamczewski. "Aber jetzt gibt es einen Lieferengpass bis Mitte Oktober."

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