Süddeutsche Zeitung

Resistenzen:Antibiotika sind im Kuhstall die Regel

Etwa 80 Prozent aller Kühe in Deutschland erhalten regelmäßig Antibiotika - darunter auch Reservemedikamente, die eigentlich für Notfälle gedacht sind.

Von Markus Balser, Berlin

Umweltschützer warnen vor den Gefahren eines ausufernden Einsatzes spezieller Antibiotika in deutschen Ställen. Nach Berechnungen der Umweltorganisation Germanwatch erhalten etwa 80 Prozent der Milchkühe in Deutschland regelmäßig Antibiotika. Germanwatch kritisiert, dass etwa jede zehnte Behandlung mit sogenannten Reserveantibiotika ausgeführt wird. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die die Organisation am Montag in Berlin vorstellte.

Reserveantibiotika sollen nur in Notfällen zum Einsatz kommen. Sie sind auch für die Humanmedizin von Bedeutung und gelten als letztes Mittel im Kampf gegen Krankheitserreger, wenn andere Antibiotika wegen entwickelter Resistenzen nicht mehr wirken. Allein in Deutschland sterben der Nichtregierungsorganisation zufolge jährlich 15 000 Menschen an Infektionen mit Erregern, weil ihnen Antibiotika nicht mehr helfen können. Angesichts dieser Entwicklung hatten die G-7-Staatschefs bereits auf ihrem Gipfel in Elmau im vergangenen Jahr eine Verschärfung der Verschreibungsbedingungen vereinbart. Auch in der Landwirtschaft sollen deutlich weniger Antibiotika zum Einsatz kommen.

Reserve-Antibiotika

Wenn kein anderes Mittel gegen bakterielle Infektionen mehr hilft, erst dann sollen sogenannte Reserve-Antibiotika aus dem Schrank geholt und verabreicht werden. Durch den seltenen Einsatz wollen Mediziner verhindern, dass Krankheitserreger auch gegen diese Wirkstoffe unempfindlich werden, indem sie Resistenzen entwickeln. Seit einigen Wochen gibt es immer wieder Meldungen aus verschiedenen Ländern, wonach Bakterien aufgetaucht sind, denen das Mittel Colistin nichts mehr anhaben kann. Meist wurden die Bakterien in älteren, eingelagerten Proben gefunden, die noch einmal gezielt auf Resistenz gegen dieses ReserveAntibiotikum untersucht worden waren. Zuvor hatten im November chinesische Forscher erstmals Bakterien mit einer Resistenz gegen Colistin entdeckt. Resistente Erreger sind nicht zwangsläufig gefährlicher als andere Bakterien. Doch einmal resistent, sind sie nicht mehr so einfach zu bekämpfen, sollten sie sich doch ausbreiten. Viele resistente Bakterien sind allerdings vollkommen harmlos für Menschen. Doch können sie über Genaustausch ihre Abwehrkräfte gegen ein Antibiotikum auf andere, vielleicht gefährliche Bakterien übertragen. Auch deshalb forderte die Organisation Germanwatch am Montag, den Einsatz von Antibiotika bei Milchkühen strenger zu überwachen. Forscher befürchten, dass resistente Mikroben von Tieren auf Menschen überspringen können.

Hanno Charisius

Der Einsatz von Medikamenten wird in der Milchviehhaltung bisher nicht erfasst

Zwar ging der Antibiotika-Verbrauch im Stall zuletzt tatsächlich insgesamt leicht zurück. Dafür aber sei der Einsatz der hochwirksamen Reserveantibiotika gestiegen, sagt Reinhild Benning, die Landwirtschaftsexpertin von Germanwatch. Von der Milch selbst gehe kein Risiko für Verbraucher aus. "Besorgniserregend" sei jedoch, dass die Entwicklung resistenter Keime und deren Verbreitung aus den Ställen heraus begünstigt werde. So zählten etwa Mitarbeiter der Ställe zu den Trägern von Antibiotikaresistenzen. Damit wächst die Gefahr, dass bei lebensbedrohlichen Infektionen für Menschen weniger wirksame Antibiotika zur Verfügung stehen.

Anders als der Einsatz von Antibiotikamengen in Schweine- und Geflügelmastställen wird der Einsatz in Kuhställen bislang nicht von Behörden erfasst. Germanwatch fordert deshalb größere Anstrengungen, um auch in Milchviehhaltungen den Einsatz von Reserveantibiotika zu senken. "Das bisherige Erfassungssystem der Antibiotika-Datenbank reicht nicht aus", sagt Andreas Striezel, Nutztierexperte der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin. Vor allem Tierärzte müssten stärker kontrolliert werden. Sie sollten künftig nachweisen müssen, dass es keine anderen Behandlungsmöglichkeiten gab.

Erst in der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass Forscher auch in Deutschland neuartige Bakterien entdeckt haben, die gegen das Notfall-Antibiotikum Colistin resistent sind. Das für die Resistenz verantwortliche Gen sei in Proben von Menschen nachgewiesen worden und bei Nutztieren weit verbreitet. Das hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung mitgeteilt.

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SZ vom 12.01.2016
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