Süddeutsche Zeitung

Verhütung:Beipackzettel der Pille warnt nun vor einem Suizidrisiko

  • Schon länger ist bekannt, dass Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression eine Nebenwirkung der hormonellen Verhütung sein können.
  • Eine groß angelegte Studie hatte zudem ein erhöhtes Risiko für Suizidalität festgestellt.
  • Allerdings sind Suizidversuche der Erhebung nach insgesamt nur selten.

Von Werner Bartens

Die Antibabypille ist - wie jedes Medikament - nicht frei von Risiken. Demnächst soll ein zusätzlicher Warnhinweis auf dem Beipackzettel erscheinen. Darin wird das womöglich erhöhte Suizid-Risiko bei hormoneller Verhütung thematisiert, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mitteilt. Unter der Rubrik "Was sollten Sie vor der Anwendung beachten?", findet sich bald der Hinweis, dass manche Frauen unter der Pille "über Depressionen oder depressive Verstimmung berichten. Depressionen können schwerwiegend sein und gelegentlich zu Selbsttötungsgedanken führen."

Die Gefahr ist bekannt, wird aber zukünftig noch stärker betont

Anlass für die Ergänzung des Beipackzettels ist eine jüngst abgeschlossene Risikobewertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), die maßgeblich durch eine große dänische Untersuchung aus dem Jahr 2017 angestoßen worden war.

Gynäkologen um Charlotte Skovlund vom Universitätsklinikum Kopenhagen hatten seinerzeit im American Journal of Psychiatry an fast 500 000 jungen Frauen gezeigt, dass insgesamt zwar nur wenige von ihnen einen Suizidversuch begangen hatten. Unter jenen, die mit der Pille verhüteten, war der Anteil der Suizide und Suizidversuche jedoch fast doppelt so hoch wie unter den Frauen, die nie hormonell verhütet hatten. Das größte Risiko, sich das Leben zu nehmen, bestand nach Auswertung der dänischen Daten offenbar nach zweimonatiger Anwendung der Pille, womöglich begründet durch die hormonelle Umstellung zu Anfang.

Unter Fachleuten ist schon länger bekannt, dass zu den Nebenwirkungen der Pille auch Auswirkungen auf die Stimmung bis hin zur manifesten Depression gehören können, wodurch wiederum suizidales Verhalten begünstigt wird. Bereits jetzt steht daher in den Beipackzetteln zahlreicher Pillen-Präparate, dass eine bereits bestehende Depression gegen die Anwendung sprechen oder neu als Nebenwirkung des Medikaments auftreten könnte. In der Neufassung wird nun der Zusammenhang zwischen Depression und Suizidgefahr zusätzlich betont - und um die Empfehlung ergänzt, bei starken Stimmungsschwankungen oder anderen depressiven Symptomen "sich so rasch wie möglich vom Arzt medizinisch beraten" zu lassen.

Der Blick auf den Beipackzettel ist selten erfreulich - und nicht besonders gesund. Schließlich stellen sich Beschwerden manchmal erst dann ein, wenn man erfährt, dass sie als typische Nebenwirkungen auftreten können. Eine ängstliche Erwartungshaltung und verschärfte Selbstbeobachtung sind zuverlässige Methoden, um an sich selbst Symptome und Beeinträchtigungen zu entdecken, die vorher nicht zu spüren waren. Das gilt für alle Medikamente und Behandlungsverfahren, nicht nur für die Pille.

In dieser Hinsicht hat die Pille jedoch eine wechselvolle Karriere hinter sich: Erst umkämpfter wie gefeierter Wegbereiter der Emanzipation, wurde sie später zum Lifestyle-Produkt überhöht, aber auch als "böse Chemie", Krankmacher und Lustkiller verteufelt. Entsprechend argwöhnisch wurden Meldungen zu Nebenwirkungen aufgenommen.

Als bekannt wurde, dass Pillen der neuesten Generation gegenüber Vorgängerpräparaten mit einem etwas höheren Thromboserisiko einhergingen, setzten viele Frauen die Pille ab - unabhängig davon, zu welcher Generation ihr Verhütungsmittel gehörte. Darauf kam es zu mehr ungewollten Schwangerschaften, Abtreibungen und anderen Komplikationen, was Frauen insgesamt mehr Leid brachte, als es die Nebenwirkungen der Pille vermocht hätten. Die Risikobewertung der Experten ersetzt nicht die Einschätzung des eigenen Risikos.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2018
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