Anatomie:Musikantenknochen

Bachhaus in Eisenach

Über Bach hieß es: "Seine Faust war gigantisch, unermüdet und hielt tagelanges Orgelspiel aus."

  • Untersuchungen von Fotos zeigen, dass Johann Sebastian Bach ungewöhnlich große Hände hatte.
  • Eine solch weite Spanne zwischen Daumen und kleinem Finger, wie Bach sie aufwies, ist auch unter heutigen Musikern selten.
  • Seine musikalischen Leistungen kann dies aber nur bedingt erklären.

Von Werner Bartens

Wahre Größe ist nur selten von anatomischen Maßen abhängig. Lionel Messi bringt es auf bescheidene 170 Zentimeter Körperlänge und ist der beste Fußballspieler der vergangenen Jahre. Michael Jordan ist Basketball-Ikone schlechthin, obwohl er die für Korbjäger durchschnittliche Größe von 1,98 Metern aufweist. Im Tennis schaffen es zwar regelmäßig Zweimeter-Riesen unter die Top-Ten. Trotz ihrer enormen Reichweite kommen sie aber nicht an den Herren Federer (1,85 m), Nadal (1,85 m) und Đoković (1,88 m) vorbei.

Manchmal können körperliche Abweichungen Karrieren aber auch begünstigen. Die legendäre Virtuosität Johann Sebastian Bachs etwa mag mit einer anatomischen Besonderheit zu tun gehabt haben: Der vor 333 Jahren geborene Komponist und Barockvirtuose hatte - bei einer für die damalige Zeit normalen Körpergröße - überdurchschnittlich lange Hände, wie Forscher im Archiv für Kriminologiezeigen. "Wir sind historischen Hinweisen auf die herausragende Beweglichkeit, Stärke und Autonomie jedes Fingers nachgegangen", sagt Andreas Otte von der Hochschule Offenburg. Dazu hat der Professor für Medizintechnik eine Fotografie von Bachs 1894 ausgegrabenem Skelett untersucht: "Das Foto erlaubte direkte Messungen. Zum einen weil die Perspektive nicht verzerrt war. Außerdem wurde damals ein Maßstab mit abgelichtet."

Ein Leipziger Anatom hatte 1894 bereits beschrieben, dass Bachs Knochen der Oberarme und Unterarme "auffallend kräftige Muskellinien" hätten, was auf langjährige kräftige Armbewegungen, etwa beim Orgel- und Cembalospiel hinweisen könnte. Auswertungen von Ottes Team hätten nun eine Handlänge Bachs von 21,5 Zentimetern ergeben. Daraus ergibt sich eine Handspanne von 26 Zentimetern bei maximaler Abspreizung von Daumen und kleinem Finger. "Damit konnte Bach ohne Probleme eine Duodezime greifen", sagt Otte, also zwölf weiße Klaviertasten erfassen. "Das ist auch heute noch ungewöhnlich groß; viele bekannte Pianisten haben eine weitaus kleinere Handspanne."

Bachs Genie auf die Länge seiner Hand zu reduzieren, käme jedoch fast einem Sakrileg gleich, so Otte. Aber für die Bach-Forschung liefere die Untersuchung womöglich einen interessanten Baustein. Musiker wissen schließlich, dass Pianisten mit großen Händen im Vorteil sind, weil sie schwierige Akkorde problemlos greifen können. Bach hat nicht nur unerreichte Werke wie die Matthäus-Passion geschaffen, sondern war auch ein großer Könner an Orgel und Cembalo.

Zwar zählen auch Asiaten mit kleineren Händen zu herausragenden Musikern, doch das liegt an ihrer intensiven Frühförderung. Die in jungen Jahren erlernte Fingerfertigkeit lässt sich später kaum nachholen, was Robert Schumann schmerzlich erfahren musste. Um sein Spiel zu verfeinern, konstruierte der Komponist Geräte, mit denen einzelne Finger zurückgehalten und Kraft und Anschlag der anderen gestärkt werden sollten. Lähmungen und Krämpfe waren die Folge. Wahre Größe erreichte sein Klavierspiel nicht, die erhoffte Karriere als Konzertpianist musste er aufgeben. Über Bach hieß es indes: "Seine Faust war gigantisch, unermüdet und hielt tagelanges Orgelspiel aus."

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