Rechtsmedizin:Altersbestimmung bei unbegleiteten Flüchtlingen ist schwierig

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Mit Röntgenbildern versuchen Mediziner, das Alter von Jugendlichen zu bestimmen. Das gelingt meist gut - aber niemals exakt. (Foto: Kästle/dpa)

Nach dem Angriff in Würzburg bestehen Zweifel, ob der Täter tatsächlich minderjährig war. Das Alter eines Jugendlichen lässt sich zwar bestimmen - allerdings niemals exakt. Denn Umwelt, Ernährung und Stress beeinflussen die Indizien.

Von Werner Bartens

Den meisten Kindern schmeichelt es, wenn sie für älter gehalten werden. Mit jedem Jahr wächst der Respekt der Älteren und der Abstand zur ersehnten Freiheit verringert sich, Auto fahren zu dürfen und sich Genussgiften hingeben zu können. Allerdings steigt mit dem Alter auch die Strafmündigkeit, weswegen es juristisch von Bedeutung ist, ob ein junger Mensch 13 Jahre alt ist, 16 oder gar 18. Wie alt der nach ersten Angaben 17-jährige Täter genau war, der im Zug nahe Würzburg mehrere Menschen angegriffen hat, ist noch unklar. "Keine Untersuchung zur Altersbestimmung liefert völlig exakte Ergebnisse", sagt der Rechtsmediziner Jakob Matschke vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. "Das wird auch innerhalb der Ärzteschaft kritisch gesehen."

Zur Standardmethode gehört es, die Hand zu röntgen. Die Handwurzelknochen sind bei Neugeborenen zunächst nur knorpelig angelegt und damit im Röntgenbild nicht zu erkennen. Bis ungefähr zum 16. Lebensjahr verknöchern sie in einer typischen Reihenfolge und werden sichtbar. Danach schließen sich die Wachstumsfugen am unteren Ende von Elle und Speiche. Zuletzt - manchmal erst mit 21 Jahren - schließen sich die Fugen an den Schlüsselbeinen. "Man kann zwar anhand dieser Merkmale ein biologisches Knochenalter bestimmen", sagt Felix Beuschlein, Hormonexperte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. "Aber da Jugendliche in unterschiedlichem Alter in die Pubertät kommen und diese Phase verfrüht oder verspätet beginnen kann, erschwert dies eine genaue Festlegung."

Die Kritik an der Vermessung des Menschen hält an

Manche Zwölfjährige sehen aus wie Kinder, andere wie voll entwickelte, junge Erwachsene. Ein Testosteron-Anstieg bei Jungen und die Östrogen-Erhöhung bei Mädchen leiten den Schub im Längenwachstum ein - beenden ihn aber auch mit dem Schluss der Wachstumsfuge. Ähnlich variabel wie mit sexuellen Reifezeichen verhält es sich mit dem Zahnstatus, der ergänzend zur Altersbestimmung herangezogen wird. Zwar gibt es typische Altersphasen, in denen Zähne durchbrechen. Dabei handelt es sich aber, wie bei der Verknöcherung der Handwurzel, um Durchschnittswerte. "Eine Person mit ausgewachsenen Weisheitszähnen kann über 21 Jahre alt sein, aber auch, wenngleich mit geringer Wahrscheinlichkeit, 17 Jahre", hielten Hamburger Rechtsmediziner kürzlich in einem Fachmagazin fest.

Die Kritik an der Vermessung des Menschen hält deshalb an, auch wenn die Altersschätzung zuverlässiger wird, je mehr Merkmale erhoben werden. Ob 17,8 Jahre alt und damit unbegleiteter Minderjähriger oder doch 18,2 Jahre und erwachsen, vermag kein Arzt über einen Flüchtling zu sagen. Genauso wenig wie es möglich ist, das Alter des frühreifen portugiesischen Europameisters Renato Sanches exakt zu bestimmen, der zum FC Bayern gewechselt ist.

Über dessen tatsächliches Alter gab es lange Zeit Gerüchte. Für Menschen aus Afrika und Asien gilt zudem, dass die Normtabellen der Verknöcherung und des Zahndurchbruchs nicht für sie gelten müssen. Sie wurden an englischen und amerikanischen Kindern in den 1930ern und 1950ern erhoben. Aber gerade Knochenreife und Zahnzustand sind erheblich von Ernährung, Umwelt und dem Stress abhängig, dem Kinder ausgesetzt sind.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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