Süddeutsche Zeitung

Alternativmedizin:Homöopathie wirkt, aber ...

... Globuli wirken nicht. Täten sie es, wäre das schiere Zauberei. Deshalb fordern einige Politikerinnen, sie nicht mehr in Apotheken zu verkaufen. Aber nicht nur Homöopathen, sondern auch Mediziner sollten umdenken.

Von Markus C. Schulte von Drach

Was in der Apotheke verkauft wird, gilt als wirksam. Deshalb haben homöopathische Arzneimittel dort nichts verloren, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil. "Der ausschließliche Verkauf in Apotheken erweckt den Anschein, es handle sich um wissenschaftlich anerkannte Alternativen zu Medikamenten der Schulmedizin", so die Verbraucherschutzbeauftragte ihrer Fraktion. Für die meisten dieser Präparate, so Heil, liege aber kein Wirksamkeitsnachweis vor.

Auch die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar vermisst diesen Nachweis. Da aber Patienten, die Homöopathika wünschen, ein medizinisches Problem haben, sollten sie über solche Mittel mit einem Apotheker sprechen, der sie dann beraten kann, sagte sie der Deutschen Apothekerzeitung. Solche Gespräche wären bei einem Verkauf der Mittel etwa in einer Drogerie aber nicht gewährleistet. Ähnlich sehen es die Abgeordneten Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Kathrin Vogler von der Fraktion der Linken.

Drei der vier Politikerinnen sind sich in dem Punkt einig, dass die Wirksamkeit homöopathischer Mittel nicht nachgewiesen ist. Auch andere Experten aus Politik und Medizin zeigen sich immer wieder kritisch. Josef Hecken vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat die Politik wiederholt aufgefordert, es Krankenkassen zu verbieten, die Kosten für homöopathische Therapien und Arzneien freiwillig zu erstatten. Der Vorsitzende des Gremiums, das über die vorgeschriebene Kostenerstattung der Kassen entscheidet, hält es für "fatal", dass bei Patienten der falsche Eindruck erweckt würde, die Mittel würden wirken.

In Großbritannien plant der staatliche Gesundheitsdienst NHS, homöopathische Arzneimittel nicht mehr zu bezahlen. Und in den USA müssen die Mittel inzwischen einen Hinweis tragen: Wirksamkeit nicht wissenschaftlich belegt.

Homöopathie hilft trotzdem - aber wie?

Es ist wichtig, hier zu unterscheiden, ob von homöopathischen Arzneimitteln gesprochen wird oder von der homöopathischen Behandlung insgesamt. Letztere nämlich wirkt - an dieser Aussage lässt sich kaum zweifeln, wenn unzählige Menschen von sich selbst sagen, dass sie ihr Wohlbefinden verbessert hat. Etliche sogenannte Versorgungsstudien, bei denen Patienten befragt werden, bestätigen den Effekt. Und auch wenn alle diese Fälle nur die subjektive Wahrnehmung der Betroffenen zeigen: Irgendetwas hat sich bei ihnen getan.

Als sicher gilt, dass schon das ausführliche Gespräch mit homöopathisch behandelnden Ärzten oder Heilpraktikern positive Wirkungen hat. Außerdem dürfte häufig der Placeboeffekt wirken: Der kann sich einstellen, wenn Patienten zwar glauben, sie würden eine wirksame Therapie erhalten, es sich aber tatsächlich um eine vorgetäuschte Behandlung etwa mit Scheinmedikamenten handelt.

Diese Erkenntnisse sind für alle Mediziner von Bedeutung. In der Regel ist die Zeit, die sich Ärzte für ihre Patienten nehmen, nur knapp bemessen. Von "Kümmern" kann da zu häufig keine Rede sein.

Homöopathen sind darüber hinaus jedoch überzeugt, dass auch ihre Mittel selbst einen Effekt haben. Und sie verweisen auf eine Reihe von medizinischen Studien, die das belegen sollen.

Kritiker der Behandlungsmethode berufen sich dagegen auf Untersuchungen, die das Gegenteil aussagen. Jüngstes Beispiel ist eine Überprüfung durch den australischen National Health and Medical Research Council. Die Experten werteten etliche Übersichtsarbeiten zu insgesamt 176 Studien aus und kamen zu dem Schluss, dass es keine belastbaren Belege für eine Wirkung der Homöopathie gibt.

Aber nehmen wir trotzdem an, die Sache sei noch nicht endgültig geklärt. Was wissen wir über Homöopathika eigentlich?

Mehr bewirkt mehr. In der Homöopathie ist es umgekehrt

Die Behandlung mit Medikamenten folgt der Dosis-Wirkungs-Beziehung: Mehr wirkt mehr - das gilt auch für die Nebenwirkungen. Die Dosis macht das Gift, sagte schon Paracelsus, großes Vorbild vieler Heilpraktiker. Im Alltag spüren wir den Dosis-Wirkungs-Zusammenhang deutlich etwa beim Alkohol- oder Kaffeekonsum.

In der Homöopathie ist es mit Dosis und Wirkung umgekehrt: Die Substanz, die helfen soll, wird mit Wasser oder Alkohol verdünnt, unlösliche Stoffe werden mit Milchzucker gestreckt. Homöopathen schlagen dabei die Behälter auf eine Unterlage und sprechen von "Verschütteln", das die Wirksamkeit "potenziert". Je weniger "Ursubstanz" im Endprodukt enthalten ist, umso stärker soll sie wirken.

Auf der Homepage des Verbandes der klassischen homöopathischen Ärzte (VKHD) heißt es: "Schon mit der Potenzstufe D6 sind wir bei einer millionenfachen Verdünnung angelangt und damit bei einem Verdünnungsgrad, in welchem nur noch ganz wenige Substanzen eine unmittelbare biochemische Wirkung aufzeigen. Und schon ab C12 / D23 kommen wir in einen Bereich, in welchem materielle Arzneiwirkungen noch nicht einmal theoretisch in Betracht gezogen werden können."

Eine gängige Verdünnung ist auch C200. Das bedeutet, ein Tropfen der Urtinktur wird im Verhältnis 1:100 mit Wasser oder Alkohol verdünnt - und das zweihundert Mal. Bei dieser Verdünnung müssten auf einen Tropfen der Ursubstanz also 10 hoch 400 Tropfen Lösungsmittel kommen. So viel Materie existiert allerdings in unserem Universum gar nicht. Schätzungen zufolge enthält es überhaupt "nur" etwa 10 hoch 80 Atome. Und dementsprechend weniger Moleküle und damit noch weniger Lösungsmitteltropfen. Das heißt: Es ist gar nicht möglich, eine C200-Verdünnung herzustellen.

Die extremen Verdünnungen, die die Homöopathen anfertigen, erlauben es ihnen, auch Dreck, Kot, Gift, Metalle oder zerriebene Bienen zu verwenden - was sie tatsächlich tun -, ohne dass ihre Patienten Schaden nehmen.

Manchmal wird nicht ganz so stark verdünnt, in einigen Mitteln sind noch Moleküle der "Ursubstanz" vorhanden und können auf den Körper wirken. Außerdem werden für einige Arzneien verschiedene Ausgangssubstanzen gemischt (Komplexmittel) - obwohl der "Vater" der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755 bis 1843), dies abgelehnt hat.

Durch das Ritual des Verschüttelns wird den Homöopathen zufolge ausschließlich die erhoffte Wirkung der Ursubstanz verstärkt. Ein Effekt etwa des Lösungsmittels Alkohol oder des Milchzuckers wird nicht erhöht. Auch Verunreinigungen bleiben von der Potenzierung verschont. Es ist, als "wüssten" alle am Prozess beteiligten Substanzen, was von ihnen erwartet wird. Eine Erklärung dafür haben Homöopathen nicht.

Wenn nun in homöopathischen Mitteln nur noch wenige oder gar keine Moleküle oder Atome der Ursubstanz mehr vorhanden sind - was wirkt hier dann? Homöopathen sprechen von "Information", die bei den Verdünnungsschritten (Potenzierung) von der Ursubstanz weitergegeben werde. Gelegentlich wird dabei auf die Quantenphysik, Nanopartikel und ein Gedächtnis des Wassers verwiesen.

Die Quantenphysik versucht, Antworten auf viele noch rätselhafte Prozesse zu finden, die auf der subatomaren Ebene auftreten. Dass aber Homöopathen hoffen, hier ihre Idee von Informationsübertragungen bestätigt zu finden, hält der bekannte Quantenphysiker Anton Zeilinger für "wissenschaftlich unbegründet". Und Nanopartikel sind zwar sehr, sehr klein. Aber es handelt sich trotzdem um Materie, deren Atome auf messbare Weise mit der Umwelt interagieren. Irgendwie homöopathisch verhalten sie sich nicht.

Bleibt die Vorstellung, Wasser hätte ein Gedächtnis. Doch Wasser könnte sich nur an etwas "erinnern", wenn Wassermoleküle einen bestimmten Zustand für längere Zeit einnehmen und beibehalten würden. Im flüssigen Zustand funktioniert das aber nicht.

Wassermoleküle bilden über sogenannte Wasserstoffbrücken miteinander und mit anderen Molekülen "Cluster". Die lösen sich aber nach Pikosekunden (0,000 000 000 001 Sekunden) wieder auf und neue Cluster werden gebildet.

Wie soll da ein Molekül im Wasser über Tage oder Wochen Spuren hinterlassen, wenn es selbst nicht mehr da ist? Wie sollen diese Spuren beim Verschütteln verstärkt werden? Wieso sollten die "Erinnerungen" an eine Ursubstanz weitergegeben werden, "Erinnerungen" an Verunreinigungen - die sich kaum verhindern lassen - aber nicht?

Und hat Alkohol dann auch ein Gedächtnis? Und Milchzucker? Das sind Stoffe mit sehr anderen Eigenschaften. Trotzdem sollen Informationen aus dem Wasser auf Globuli oder Tabletten übertragen werden, in dem der Milchzucker besprüht wird. Und wie behält das Wasser in einer Salbe sein Gedächtnis, wenn es sich die Tube etwa mit Paraffin und Benzylaklohol teilen muss?

Wie nimmt der menschliche Körper die Informationen auf?

Die Informationen müssten beim Anwenden der Mittel im Mund oder Verdauungstrakt oder über die Haut aufgenommen werden und auf etwas im Körper wirken. Es gibt dafür aber weder Sensoren noch Rezeptoren, Bahnen oder Botenstoffe. Die Vorstellung von irgendwelchen Informationen basiert lediglich auf der Prämisse, dass ein homöopathisches Mittel irgendwie auf Beschwerden wirken soll, obwohl das eigentlich nicht geht.

Das Gleiche gilt für die Vorstellung, hinter der Wirkung der Homöopathie stecke irgendeine Form von Energie. Auch Begriffe wie "Feinstofflichkeit" oder "geistige Ebene" bezeichnen Dinge und Eigenschaften, die bislang jeden wissenschaftlichen Beleg für ihre Existenz schuldig geblieben sind.

Medikamente wirken, weil sie mit Molekülen im Körper reagieren, die auf irgendeine Weise mit einem Leiden zusammenhängen. Entwickelt werden sie entweder gezielt, oder zufällige Beobachtungen führen auf ihre Spur. Klinische Studien überprüfen Effekte, in dem Wirkstoffe mit einem Scheinmedikament verglichen werden, wobei weder Patient noch Arzt wissen, wer was zufällig erhält (randomisierte Doppelblindstudien).

Homöopathische Mittel dagegen werden in sogenannte Repertorien aufgenommen: Das sind Sammlungen von Stoffen, die bei Tests ("Arzneimittelprüfung") von Homöopathen bei gesunden Menschen eine Reihe bestimmter Symptome hervorgerufen haben sollen. Zeigt ein Patient aufgrund einer Krankheit ähnliche Symptome wie für eine Substanz gelistet, kommt diese als Ursubstanz infrage - aber eben nur in homöopathischer Dosis.

Ein von Homöopathen häufig angeführtes Beispiel, um das Prinzip zu veranschaulichen: Schneiden wir eine Küchenzwiebel (Allium cepa), erleben wir meist, dass uns Sekret aus der Nase läuft. Außerdem tränen die Augen und wir müssen niesen. Schnupfen, Heuschnupfen und Erkältungen lösen ähnliche Beschwerden aus. Also werden davon betroffene Patienten mit dem homöopathischen Wirkstoff Allium cepa behandelt.

Nun werden die Reaktionen unseres Körpers auf das Zwiebelschneiden durch den Stoff Propanthialsulfoxid ausgelöst, der die Schleimhäute reizt. Schnupfen und Erkältungen werden aber durch Viren verursacht, Heuschnupfen ist eine Überreaktion des eigenen Immunsystems.

Homöopathen verwenden nun nicht Propanthialsulfoxid, sondern legen Zwiebeln für zwei Wochen in Alkohol. Die so gewonnene Flüssigkeit ist die Urtinktur, die nun potenziert wird. In ihr müssen die "Information" über das reizende Molekül aus der Zwiebel stecken, die nun mittels des homöopathischen Mittels in den Körper übertragen werden.

Die "Information" muss darüber hinaus das wichtige Detail enthalten, dass sie nicht etwa - wie es der Natur des Zwiebelstoffes entsprechen würde - die Beschwerden noch verstärkt, sondern dem Körper gegen Krankheitserreger oder das eigene Immunsystem beistehen.

Wie das gehen soll, da sind Homöopathen ratlos - und geben das auch zu. Nichts spricht dafür, dass ein "Ähnlichkeitsprinzip" so funktionieren könnte. Auch der gelegentlich vorgebrachte Vergleich zur Impfung taugt nicht. Zwar werden dabei kleine Dosen von lebenden oder abgetöteten Krankheitserregern oder Teile davon eingesetzt. Aber hier wird erstens nichts irgendwie "Ähnliches" eingesetzt, sondern genau das, was vom Immunsystem als bestimmter Krankheitserreger identifiziert wird. Zweitens sind diese Dosen eben gerade so groß, dass das Immunsystem etwas hat, worauf es reagieren kann.

"Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde"

Doch auf alle diese Einwände ist in der Regel zu hören: "Wer heilt, hat recht", oder es wird Shakespeare zitiert: "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumt." Shakespeare? Der Dichter lässt im selben Stück auch den Geist der Verstorbenen auftreten. Welche Aussagekraft hat das?

Natürlich gibt es bislang unerklärliche Phänomene - aber die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung gehört nicht dazu: Was hier wirkt, nennen Ärzte "Sprechende Medizin" und Placeboeffekt - und langsam setzt sich die Erkenntnis durch, welche wichtige Rolle sie auch für die "schulmedizinische" Behandlung spielen können.

Dem Shakespeare-Zitat lässt sich übrigens eine Erkenntnis des schottischen Philosophen David Hume (1711 - 1776) entgegenhalten. In Anlehnung an seinen Kommentar zu Wundern lässt sich fragen: Was ist plausibler - dass homöopathische Mittel die grundlegenden Erkenntnisse, die wir bislang über unsere Welt gewonnen haben, widerlegen, oder dass die Zeugen sich irren?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3611056
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/beu/dd
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.