Aids in Simbabwe:Lass uns darüber reden

Vor 15 Jahren war jeder Vierte in Simbabwe HIV-positiv. Heute sind es nur noch halb so viele und auch die Zahl der Neuinfektionen ist gesunken. Eine Erfolgsgeschichte von mutigen Menschen, überzeugenden Plakaten und außergewöhnlichen Aktionen.

Caroline Ischinger

Von außen sieht das Gotteshaus aus wie eine Baustelle, eine Gemeinde neben der anderen hat an der staubigen Landstraße von Hwange im Westen Simbabwes ihre Kirche errichtet. Drinnen stehen aufgereihte Holzbänke unter stummen Ventilatoren, vorne ist eine Art Altar mit blauer Rüschendecke geschmückt. Pastor Thabani Ndlovu, der Hüter dieser Kirche, trägt Anzug und Schlips. Ein sanftes Lächeln umspielt seinen Mund, als er sich an die Wand neben einem kleinen Fenster lehnt. Nur wenig Licht dringt durch die bunten Vorhänge, es ist schattig und kühl. Ndlovu wollte längst unterwegs sein, regelmäßig reist er über das Land, um sich in der Gemeinde zu zeigen. Aber das Thema ist ihm zu wichtig, also bleibt er noch.

SIMBABWE NAHRUNGMITTELHILFE

Aids breitete sich in Simbabwe stark aus, hinterließ Waisen und ließ Kinder hungern. Mittlerweile wendet sich das Blatt.

(Foto: DPA)

"HIV-positiv zu sein, bedeutet nicht, dass man sofort stirbt", sagt Ndlovu. Das kann er nicht häufig genug wiederholen. Ndlovu spricht leise, er flüstert fast. Doch er müsste nicht flüstern, er hat nichts zu verbergen. Es hat ihn einiges an Mut gekostet, mit der Wahrheit herauszurücken, damals, 2007. Es waren harte Zeiten, als er alles öffentlich machte. Zumal er ja auch seine Frau und seinen zwölfjährigen Sohn in alles mit hereinzog. Gerade als Geistlicher wurde er angegriffen. Er wurde stigmatisiert und diskriminiert, selbst von anderen Pastoren, auch von der Gemeinde. "Aber jetzt", sagt Ndlovu, "ist das vorbei." Inzwischen haben die meisten in der Gemeinde verstanden, dass Aids keine Strafe Gottes ist. Und dass man jemanden, der HIV-positiv ist wie ihr Pastor, zwar nicht heilen kann, aber dass so jemand mithilfe der Medikamente ein gutes Leben führen kann. Ndlovu lächelt. "Mein Leben sagt mehr aus als alles, was ich erzählen kann."

Deswegen erlaubt sich Nldovu keinen Müßiggang, kilometerlange Spaziergänge legt er zurück, um den Menschen zu zeigen, wie viel Kraft in ihm steckt. Er will, dass sie über ihn staunen - und deshalb Hoffnung schöpfen. Gerade hier in Simbabwe ist Hoffnung der Begriff, unter dem man so vieles fassen kann. Denn in Simbabwe, in diesem von der Natur so begünstigten Land im Süden Afrikas, ist einiges passiert in den zurückliegenden Jahren. Das Land hat einen der stärksten Rückgänge bei der Verbreitung von HIV erlebt. Zwar leben Schätzungen zufolge noch immer 14 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 50 Jahren mit dem Virus, was eine der höchsten Raten weltweit ist. Doch 1997 waren es noch 27 Prozent.

Die politische Erklärung: Viele Aids-Kranke sind aus dem Land geflohen, das Diktator Robert Mugabe an den Rande des Zusammenbruchs regiert hat. Die statistische Erklärung: In den zurückliegenden 15 Jahren sind viele dieser Infizierten gestorben. Heute ist das anders, heute kann man mit dem Virus leben, was Pastor Ndlovu recht geben würde mit seinem Satz: Wer HIV-positiv ist, muss nicht sofort sterben. Doch das Wichtigste ist, was Schätzungen von UNAIDS längst zeigen: Die Neuinfektionen sind signifikant zurückgegangen.

Wer herausbekommen möchte, ob sich auch im Zusammenleben der Menschen etwas geändert hat, was diesen Erfolg erklären könnte, der muss durchs Land reisen - und es reichen wenige Tage, um eine Ahnung zu bekommen dafür, was alles machbar ist. Selbst in Afrika.

Roda Mazimbe etwa hat in der Provinz Midlands einen Schönheitswettbewerb ins Leben gerufen. In jedem Bezirk werden dort regelmäßig Mister und Miss HIV gekürt. Das klingt seltsam, sehr seltsam. Aber: "Es hat viel bewirkt", sagt Roda Mazimbe. Seitdem sich Aidskranke trauten, auf öffentlichen Plätzen über einen Laufsteg zu stolzieren, würden sich auch mehr Menschen trauen, zu den Tests zu gehen. Selbst der Umgang mit den Infizierten habe sich verändert. Nun würde man manchmal sogar von ein und demselben Teller essen. Einige der Kandidaten hätten gar einen Arbeitsplatz gefunden.

"Die haben HIV?"

Wie Lillian Hundiuenga. Die 45-jährige, kräftige Frau hat bei einem der Wettbewerbe zur Miss HIV den vierten Platz belegt - für mehr Ehre reichte es nicht, weil sie ihre Brille auf dem Laufsteg nicht ablegen wollte. Nervös sei sie gewesen, sagt sie mit breitem Grinsen und tiefer Stimme. Eine richtige Schönheit ist sie nicht unbedingt, aber ihr fröhliches Auftreten und ihr Selbstbewusstsein sind entwaffnend genug. Im Publikum habe auch der Gesundheitsminister gesessen, sagt sie. Die Zuschauer hätten verblüfft den Auftritt der Frauen kommentiert. "Die haben HIV?", hätten die Zuschauer gestaunt.

Aids-Grafik

Aids in der Welt

(Foto: SZ-Grafik: Eiden)

Vielleicht haben die Menschen auch mittlerweile verstanden, dass ihre Art des Umgangs mit dem anderen Geschlecht alles beeinflusst. In Simbabwe ist es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, dass jemand gleichzeitig mehrere Sexualpartner hat und dass Kondome gerade in festen Beziehungen zu wenig benutzt werden. Doch auch da scheint sich etwas zu bewegen. Laut letzter nationaler Umfrage wissen mittlerweile 81 Prozent der Frauen und 82 Prozent der Männer, dass Kondome die Übertragung von HIV verhindern können. Oscar Mundida, der das Nationale Programm zur Verhaltensänderung betreut, sagt deshalb: "Wir müssen das, was wir wissen, in die Tat umsetzen."

Die Plakate, die Mundida über das Land verteilen lässt, haben vor allem eine Botschaft: Treue verhindert Aids. Auf den Plakaten sind strahlende Paare beim Jawort zu sehen, in Brautkleid und Anzug. Darunter steht: "Stopp Aids - halte das Versprechen." Es gibt auch drastischere Beispiele. So hängt in einer Klinik in Harare ein Bild, auf dem ein Mann und eine Frau in einem Ruderboot durch einen Wildwasserfluss paddeln. "HIV-infizierter Fluss", steht daneben. Und weiter: "Ans Kondom denken - das ist deine Schwimmweste."

Natürlich weiß Oscar Mundida, dass diese Plakate nicht ausreichen. Wichtig seien Vorbilder, positive Vorbilder. Menschen wie Pastor Thabani Ndlovu, der immer wieder für den Gebrauch von Kondomen wirbt. Oder Vorbilder wie jene 44 Abgeordneten, die sich beschneiden ließen. Laut der Weltgesundheitsorganisation deutet viel darauf hin, dass dieser Eingriff das Risiko einer Übertragung für Männer um 60 Prozent reduziert.

Viele der jungen Männer, die man in einer Beschneidungsklinik in Simbabwes Hauptstadt Harare trifft, sind von ihren Freundinnen zu diesem Schritt gedrängt worden. "Willst du auch ein Champion sein?", fragt ein Banner direkt am Eingang. Albert Fountain, ein 26-jähriger Kerl mit frechen Augen, scheint der Anführer einer Gruppe junger Männer zu sein. "Ich habe richtig Angst", sagt er. "Die haben uns ein paar fürchterliche Sachen erzählt in der Beratung eben." Er formt mit seinen Händen kleine Scheren, die die Luft zerschneiden. Seine Freunde lachen gequält.

Seit der Eröffnung im Juli 2009 sind in dieser Klinik 20.000 Patienten beschnitten worden, sagt der behandelnde Arzt in einer Art Klassenzimmer. Die meisten seien zwischen 24 und 29 Jahre alt gewesen. Vor dem Arzt liegen Penisse aus Holz, mit denen er den jungen Männern erklärt, was auf sie zukommt und was sie nach dem Eingriff beachten müssen. Manche sehen die Beschneidung nämlich als eine Art sexuellen Freifahrtschein, als müssten sie dann nicht mehr verhüten.

Krankenhäuser werden überrannt

In der Tat gibt es noch viel Unsinn, der nicht selten prominent verbreitet wird. Vor einigen Monaten ließ sich zum Beispiel ein Senator in Simbabwe mit den Worten zitieren, Frauen sollten sich doch kahlrasieren und nicht mehr waschen, damit sie für Männer weniger attraktiv seien. Und auch das ist die Schattenseite im Kampf gegen Aids in diesem Land: Die Krankenhäuser werden noch immer von HIV-Infizierten überrannt, die Ärzte haben deshalb für andere Krankheiten weniger Kraft und Kapazität.

Gleichzeitig verstecken viele Kliniken, womit sie sich vor allem beschäftigen. 100 bis 200 Patienten pro Tag muss alleine eine kleine Aids-Klinik in Harare versorgen, die sich, um Stigmatisierung zu vermeiden, auch nicht Aids-Klinik nennt, sondern "opportunistic infections clinic", Klinik für Immunschwächekrankheiten. Unter Mugabes Regime ist die medizinische Infrastruktur vielerorts kollabiert, internationale Hilfen wurden gestrichen oder umgeleitet.

Die Sorge vor Kürzungen bei den Finanzmitteln ist groß in Simbabwe, vor allem bei der antiretroviralen Therapie. Denn um Resistenzen zu vermeiden, müssen diese Medikamente ein Leben lang genommen werden. Mehr als 400.000 HIV-Infizierte werden in Simbabwe auf diese Weise behandelt. Ein großer Teil dieser Therapien wird vom Global Fund finanziert. Damit ist klar: Die Abhängigkeit von internationaler Unterstützung bleibt auch nach der Einführung einer nationalen Aids-Steuer enorm hoch.

Selbst dort, wo die Medikamente ausreichend vorhanden sind, gibt es Sorgen: im Khami-Hochsicherheitsgefängnis bei Bulawayo zum Beispiel. 1683 Häftlinge fristen dort ihr Dasein, mindestens 26 Prozent von ihnen sind HIV-positiv. Vor dem Gebäude marschieren Häftlinge hinter einem Wärter durch ein Salatbeet. Es dauert eine Weile, bis die Holzpforte mit dem Guckloch sich öffnet - drinnen bleiben die meisten Türen geschlossen. Präsentiert werden soll vor allem der Krankentrakt. Hier bekommen die HIV-positiven Häftlinge täglich ihre Medikamente, es gibt Krankenbetten, sogar ein Labor.

In dieser Hinsicht ist die Versorgung der HIV-Patienten in Khami wohl zuverlässiger als bei jenen, die draußen kilometerlange Wege bis zur nächsten Klinik zurücklegen müssen, um ihre Medikamente zu bekommen. Kondome allerdings gibt es für die Häftlinge nicht, Frauen und Männer sind getrennt untergebracht, Homosexualität wird totgeschwiegen. Und die medizinische Ausrüstung ist mehr als rudimentär: Eine stolz präsentierte "Blutbank" stellt sich als Kühlschrank heraus, der nur ab und zu kühlen kann. Denn in Khami gibt es wie überall in Simbabwe nur stundenweise Strom. "Stellen Sie sich vor, jemanden im Kerzenschein wiederbeleben zu müssen", entfährt es dem Gefängnisarzt.

Und doch: Auch hier in Khami, in der staubigen Provinz, wo ein Zettel am Eingang die Gefängniswärter vor herumziehenden Löwen warnt, ist der Wille da, den Kampf gegen das Virus aufzunehmen. Es gibt hier eine Selbsthilfegruppe für Infizierte, und gegen Ende des Besuchs führen einige Häftlinge Tanz und Theater vor. Sie geben alles, Texte und Schritte sind perfekt einstudiert. Sie klagen über die vielen Opfer der Aids-Epidemie, sie singen darüber, wie wichtig es ist, sich testen zu lassen. Und ihre Botschaft ist in ihrer Einfachheit mindestens so kraftvoll wie die Plakate gegen Aids, die draußen im Land zu sehen sind. Der Refrain der Häftlinge von Khami lautet: "Lass uns darüber reden."

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