HIV:Aids: Reif für die Heilung?

South Africa World Aids Day

Ein Mann hängt eine HIV-Schliefe in Johannesburg auf.

(Foto: dpa)

HIV-Experten haben eine Strategie entwickelt, mit der sie den Erreger der Immunschwächekrankheit endgültig besiegen wollen. Doch der Weg zur Heilung ist voller ethischer Probleme und Risiken für die Patienten.

Von Christoph Behrens

Vor einigen Jahren berichtete der Hamburger Mediziner Jan van Lunzen bei einem Kongress von einem seltsamen Fall: Einer seiner Patienten war HIV-positiv, nahm aber seit neun Jahren keine Medikamente mehr gegen das Virus. Dennoch war in dieser Zeit kein Aids ausgebrochen, das Virus hatte sich nicht einmal nennenswert im Körper weiterverbreitet. Mittlerweile sind etwa 20 ähnliche Fälle dokumentiert. Für den Kampf gegen HIV und Aids könnte dies einen Wendepunkt bedeuten, hoffen viele Wissenschaftler. Ging es jahrzehntelang vor allem darum, die Infektionen weltweit einzudämmen, Aufklärungsarbeit zu betreiben, das Leiden von Betroffenen zu lindern, rückt nun eine neue Frage in den Vordergrund: Lässt sich HIV eines Tages auch heilen?

"Eine Heilung für HIV zu erreichen, ist eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen, die es je gegeben hat", sagt Françoise Barré-Sinoussi vom Pariser Institut Pasteur, die 2008 gemeinsam mit ihrem Kollegen Luc Montagnier die Hälfte des Medizin-Nobelpreises für die Entdeckung des HI-Virus erhalten hat. Die Infektiologin ist Mitautorin eines Aufsatzes in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Medicine, in dem führende Aids-Experten eine "globale wissenschaftliche Strategie" für die Suche nach einer Heilung der Immunschwäche-Krankheit entwerfen. Auch bei der Internationalen Aids-Konferenz kommende Woche im südafrikanischen Durban wollen die HIV-Forscher das Thema weit nach oben auf die politische Agenda setzen.

Forscher versuchen, den Erreger in eine Art Koma zu versetzen, aus dem er nie mehr erwacht

Die finanzielle Unterstützung für das Vorhaben hat in den vergangenen Jahren bereits zugenommen: 2012 flossen nach einer Analyse der International Aids Society IAS etwa 80 Millionen US-Dollar weltweit in Forschungsprojekte, die sich mit Heilungsansätzen beschäftigen. 2015 waren es bereits mehr als 200 Millionen Dollar. "Die Suche nach einem Heilmittel ist zu einer Top-Priorität in der HIV-Forschung geworden", sagt Barré-Sinoussi.

Einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung der noch offenen wissenschaftlichen Fragen könnten die "Post-Treatment-Controller" leisten: Menschen wie Jan van Lunzens Patient, die einige Jahre mit antiviralen Medikamenten behandelt worden sind, deren Immunsystem die Infektion dann aber selbst in den Griff bekommen hat. Es ist noch nicht ganz klar, was genau im Körper dieser Patienten passiert.

"Was wir wissen, deutet stark auf das Immunsystem hin", sagt die australische HIV-Forscherin Sharon Lewin. Sie vermutet bei diesen Patienten eine besondere Ausprägung der "natürlichen Killerzellen", die infizierten Zellen wohl zuverlässig den Garaus machen. Alle haben zudem schon sehr früh nach der Ansteckung antiretrovirale Medikamente erhalten. Das könnte verhindert haben, dass bei ihnen das HI-Virus nennenswerte Reservoirs in den T-Zellen des Immunsystems bildete. In solchen Verstecken kann das Virus lange schlummern und selbst nach vielen Jahren wieder aktiv werden.

In ihrem Strategiepapier empfehlen die Wissenschaftler, mehr Geld in die Erforschung dieses viralen Versteckspiels zu stecken. Wie man es ganz unterbinden kann, lässt sich bislang nur schemenhaft erahnen. So erproben manche Forscher, das Virus mit bestimmten Wirkstoffen wie Disulfiram aus dem Tiefschlaf zu wecken und die Trägerzellen anschließend zu zerstören. Diese Strategie des "Shock & Kill" könnte aber Gefahren bergen, etwa wenn die Zerstörung der aufgeweckten Zellen misslingt. Die umgekehrte Taktik besteht darin, den Tiefschlaf des Virus in ein dauerhaftes Koma zu verwandeln, aus dem es überhaupt nicht mehr aufwacht.

"Die Menschen wollen eine Heilung"

In Nature Medicine formulieren die Forscher weitere Fragen: Wie kommt man an das Versteck des Erregers heran? Im Blut lässt sich die Virenlast relativ einfach bestimmen. Doch ein Großteil verbirgt sich vermutlich in Lymphknotengewebe, das medikamentös schwer erreichbar ist. Erneuert sich das Virus aus diesem Gewebe heraus? Wie verändert sich das Virus bei Personen, die seit Langem antiretrovirale Medikamente erhalten? Manches deutet darauf hin, dass die Aktivität des Virus mit der Zeit leicht sinkt. Könnten Patienten von neuartigen Gentherapien profitieren? In der biologischen Grundlagenforschung erzielt man derzeit außerordentliche Erfolge mit der sogenannten Crispr/Cas9-Technik, mit der sich das Erbgut einzelner Zellen wie mit einer Schere sehr gezielt manipulieren lässt. Könnte man damit die Erbinformation des Virus bis zur Funktionslosigkeit zerschneiden?

Unklar ist außerdem, wie viele "Post-Treatment-Controller" es überhaupt gibt. Französische Forscher vermuteten kürzlich, dass bis zu 15 Prozent der HIV-Patienten auf antiretrovirale Medikamente theoretisch verzichten könnten. Andere halten eher einen Wert um fünf Prozent für realistisch.

"Die bisher bekannten Post-Treatment-Controller sind sehr wichtig für die Forschung, aber es ist schwierig, anhand einer so kleinen Gruppe verlässliche Schlüsse zu ziehen", sagt Lewin. Um zu untersuchen, wovon der Erfolg abhängt, käme man wohl um größer angelegte Studien nicht herum.

Hans Jäger, HIV-Spezialist aus München, leitet eine bundesweite Studie mit HIV-Patienten. Sieben Jahre wurden deren 38 Probanden sehr intensiv behandelt, jetzt geht ein Drittel der Patienten "in die Pause", wie Jäger sagt. Ihr Immunsystem wird also auf sich allein gestellt sein. Die Risiken hält er für beherrschbar. "Die Patienten haben sehr gute Helferzellen", sagt Jäger, "wir kontrollieren alle vier Wochen ihren Zustand". Ein Befund der "New Era"-Studie ist, dass wohl sogenannte provirale DNA einen Hinweis darauf geben könnte, ob jemand reif dafür ist, auf die Medikamente zu verzichten. Mit diesem Laborwert "lässt sich sehr viel genauer sagen, ob Virusmaterial da ist", sagt Jäger.

Und was ist mit den ethischen Bedenken, die rettenden Medikamente bei HIV-Infizierten absetzen? Lohnt es sich wirklich, dieses Risiko einzugehen? "Die Menschen wollen eine Heilung", sagt Lewin. "Sie wollen nicht ihr Lebtag Pillen nehmen, alle sechs Monate einen Arzt aufsuchen müssen und sich ständig sorgen, andere anzustecken."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: