Virologie:Affenpocken könnten neues Reservoir im Tierreich erschließen

Virologie: Im Labor wurden Kaninchen bereits - wie viele andere Säugetiere auch - mit Affenpocken infiziert. Ob das auch in der Natur passiert, ist noch nicht geklärt.

Im Labor wurden Kaninchen bereits - wie viele andere Säugetiere auch - mit Affenpocken infiziert. Ob das auch in der Natur passiert, ist noch nicht geklärt.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Sorge wächst, dass der Erreger außerhalb Afrikas zwischen Spezies wechseln und dabei gefährlicher werden könnte.

Von Jon Cohen

Elf Tage nachdem sie von einem ihrer Präriehunde gebissen worden war, erkrankte ein dreijähriges Mädchen in Wisconsin im Mai 2003 als erster Mensch außerhalb Afrikas an den Affenpocken. Zwei Monate später gab es bei ihren Eltern und 69 weiteren Personen in den Vereinigten Staaten Verdachtsfälle oder bestätigte Fälle einer solchen Infektion. Das Affenpockenvirus ist in Teilen Afrikas endemisch, und aus Ghana eingeführte Nagetiere hatten offenbar in Gefangenschaft gehaltene Präriehunde aus Nordamerika infiziert, als ein Tierhändler in Texas sie gemeinsam unterbrachte.

Damals wurde der Erreger schnell gestoppt. Anders sieht es im aktuellen Ausbruch aus. Momentan sind mehr Menschen außerhalb Afrikas betroffen als je zuvor - mehr als 2600 Fälle auf mehreren Kontinenten, viele davon Männer, die Sex mit Männern haben. Auch durch seine Größe hat der Ausbruch eine Möglichkeit eröffnet, die Forscher erschaudern lässt: Das Affenpockenvirus könnte sich dauerhaft in Wildtieren außerhalb Afrikas ansiedeln und ein Reservoir bilden, das zu wiederholten Ausbrüchen unter Menschen führen könnte.

Außerhalb Afrikas gibt es derzeit kein bekanntes tierisches Reservoir. Doch der Ausbruch 2003 war wohl bereits eine knappe Angelegenheit - vor allem, weil fast 300 der Tiere aus Ghana und die ausgesetzten Präriehunde nie gefunden wurden. "Wir sind knapp daran vorbeigeschrammt, dass sich die Affenpocken in einer Wildtierpopulation in Nordamerika etabliert haben", sagt Anne Rimoin, Epidemiologin an der University of California, Los Angeles, die die Krankheit seit Langem in der Demokratischen Republik Kongo untersucht.

Bei Untersuchungen von Wildtieren in Wisconsin und Illinois wurde das Affenpockenvirus jedoch nie gefunden, keiner der infizierten Menschen steckte andere Menschen mit der Krankheit an, und die Sorgen über diesen exotischen Ausbruch sind längst verflogen. Wird die Welt diesmal ähnlich viel Glück haben?

Bei einem Ausbruch 1964 in einem Zoo in Rotterdam erkrankten Riesenameisenbären, Orang-Utans und Schimpansen

Viren springen häufig zwischen Menschen und anderen Spezies hin und her. Obwohl allgemein angenommen wird, dass Sars-CoV-2 von einer Fledermaus über einen anderen Wirt auf den Menschen übergesprungen ist, haben Menschen in "umgekehrten Zoonosen" auch Weißwedelhirsche, Nerze, Katzen und Hunde mit dem Coronavirus infiziert. In einer Studie in Ohio wurden bei mehr als einem Drittel von 360 untersuchten Wildtieren Antikörper gegen Sars-CoV-2 gefunden. Und in den vergangenen Jahrhunderten, als Menschen die Pest und das Gelbfieber auf neue Kontinente brachten, bildeten diese Erreger Reservoire in heimischen Nagetieren oder Affen, die später wieder Menschen infizierten.

Virologie: Mit Affenpocken-Viren hat sich ein Mann aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck angesteckt.

Mit Affenpocken-Viren hat sich ein Mann aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck angesteckt.

(Foto: Andrea Männel/dpa)

Da sich der Affenpocken-Ausbruch weltweit ausweitet, hat das Virus eine nie da gewesene Chance, sich in nichtafrikanischen Tierarten zu etablieren. Von dort könnte der Erreger wieder auf den Menschen wechseln und hätte immer mehr Möglichkeiten, neue, vielleicht gefährlichere Varianten zu entwickeln. "Affenpocken-Reservoire in Wildtieren außerhalb Afrikas sind ein beängstigendes Szenario", sagt Bertram Jacobs, Virologe an der Arizona State University in Tempe.

Gesundheitsbehörden in mehreren Ländern haben Menschen mit Affenpockenläsionen empfohlen, den Kontakt mit ihren Haustieren zu vermeiden. Etwa 80 Prozent der Fälle traten bislang in Europa auf, und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) teilte mit, dass bis zum 24. Mai keine Haustiere oder Wildtiere infiziert worden waren. Die Behörde fügte jedoch hinzu, dass "eine enge Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizinern erforderlich ist, um exponierte Haustiere zu behandeln und zu verhindern, dass die Krankheit auf Wildtiere übertragen wird".

Die Möglichkeit, dass Menschen, die mit dem Affenpockenvirus infiziert sind, es auf Wildtiere außerhalb Afrikas übertragen, "gibt Anlass zu ernster Besorgnis", sagt William Karesh, Tierarzt bei der EcoHealth Alliance. Im Moment, so Karesh, sei die Wahrscheinlichkeit aufgrund der begrenzten Anzahl von Fällen beim Menschen noch gering. Besondere Sorgen bereiteten jedoch die als Haustiere gehaltenen Nagetiere sowie die große Zahl der wild lebenden Nagetiere, die häufig Abfälle plündern und sich durch kontaminierte Abfälle infizieren könnten.

Das afrikanische Reservoir für das Affenpockenvirus muss erst noch genau ermittelt werden. Bislang wurde das Virus nur bei sechs in Afrika gefangenen Wildtieren nachgewiesen: bei zwei Rotschenkelhörnchen, einer Gambia-Ratte, einer Spitzmaus, einer Zielratte und einem Rußmangabe-Affen. Antikörper gegen das Affenpockenvirus sind am häufigsten bei afrikanischen Hörnchen zu finden. "Wir wissen immer noch nicht viel über das derzeitige Reservoir, außer dass es sich um Nagetiere handelt", sagt Grant McFadden, ein Pockenvirus-Forscher, der ebenfalls an der Arizona State University tätig ist.

"Pockenviren stehen im Großen und Ganzen auf und kämpfen"

Es ist jedoch klar, dass Affenpocken auch viele andere Tierarten in freier Wildbahn und in Gefangenschaft infizieren können. Bei einem Ausbruch 1964 in einem Zoo in Rotterdam erkrankten Riesenameisenbären, Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen, einen Gibbon und ein Seidenäffchen. Forscher haben Labortiere wie Kaninchen, Hamster, Meerschweinchen und Hühner absichtlich infiziert.

Bei vielen Viren bestimmen Oberflächenproteine, die an Rezeptoren auf den Wirtszellen koppeln können, welche Tiere der Erreger infizieren kann; das Spike-Protein von Sars-CoV-2 beispielsweise heftet sich an das ACE2-Protein, das auf einer Vielzahl von Zellen bei Menschen, Nerzen, Katzen und vielen anderen Arten sitzt. Pockenviren scheinen jedoch keine spezifischen Wirtsrezeptoren zu benötigen, sodass viele von ihnen ein breites Spektrum von Säugetierzellen infizieren können. David Evans, Pockenvirus-Forscher an der University of Alberta in Edmonton, stellt fest, dass Vaccinia, das Pockenimpfvirus, neben Kühen und Menschen auch Fruchtfliegen infizieren kann.

Ob ein Pockenvirus in einer infizierten Zelle gedeihen und schließlich in einer Spezies überleben kann, um ein Reservoir zu bilden, hängt jedoch davon ab, wie gut es die Immunangriffe des Wirts abwehren kann. Pockenviren haben im Vergleich zu anderen Erregern viele Gene - etwa 200 -, und etwa die Hälfte davon untergräbt die Immunantwort des Wirts. "Manche Viren verstecken sich und vermeiden den direkten Kontakt mit dem Immunsystem", sagt McFadden. "Pockenviren stehen im Großen und Ganzen auf und kämpfen."

Variola, das Pockenvirus, scheint viele dieser Gene, die das Immunsystem beeinflussen, verloren zu haben. Es überlebt nur beim Menschen und hat kein Reservoir in Tieren, weshalb es durch die weltweite Impfkampagne ausgerottet werden konnte. Die Affenpocken sind eindeutig promiskuitiver. Aber man weiß eben noch nicht, ob es in der Lage ist, Reservoirs in nichtafrikanischen Wildtieren zu schaffen. "Eins der Probleme ist das mangelnde Interesse", sagt Lisa Hensley, eine Mikrobiologin im US-Landwirtschaftsministerium, die 2001 in einem Labor der US-Armee mit der Affenpockenforschung begann.

Hensley, die fast ein Jahrzehnt lang am amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) an der Erforschung der Affenpocken gearbeitet und mit Anne Rimoin zusammengearbeitet hat, fordert die Menschen auf, wachsam zu bleiben und zu beobachten, wie sich das Virus verhält und was es als Nächstes tun könnte. "Wir merken, dass es sich um eine besorgniserregende Krankheit handelt und dass wir nicht so viel wissen, wie wir glauben zu wissen."

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: cvei

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