Ärztetag:Das Wohl der Ärzte

Lesezeit: 3 min

Armut ist ein Gesundheitsrisiko (Foto: Jan Woitas/dpa )

Mediziner beklagen eine "Gerechtigkeitslücke" in Deutschland. Sie sehen allerdings nicht nur Patienten unfair behandelt - sondern auch sich selbst.

Von Kim Björn Becker, Freiburg

Der Krankenhausflur ist einer dieser Orte im Land, an dem beklemmend deutlich wird, wie ungerecht das Leben sein kann. Tür an Tür liegt dort der Sterbenskranke, der nach einem vorbildlichen Leben viel zu früh abberufen wird, neben dem Extrembergsteiger, der den Tod immerfort herausfordert und doch wieder nur ein gebrochenes Bein davonträgt. In der Medizin ist Gerechtigkeit oft weniger das Metier des Arztes als das des Pfarrers.

Die Kinder der wohlhabendsten Familien leben im Schnitt zehn Jahre länger als die der ärmsten

Und doch treibt es wohl jeden Kittelträger um, der sein Herz am rechten Fleck hat: Warum kann er oder sie dem einen Patienten helfen, dem anderen aber nicht? Als Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, am Dienstag beim Deutschen Ärztetag in Freiburg eine "Gerechtigkeitslücke" beklagte, da schwang diese große Frage deutlich mit. Konkret bezog sich Montgomery vor den 250 Delegierten des Ärzteparlaments auf jüngste Studienergebnisse. Demnach stirbt ein Kind, dessen Familie zum ärmsten Prozent der Gesellschaft gehört, im Schnitt zehn Jahre früher als ein zeitgleich Geborenes, das dem wohlhabendsten Prozent angehört. Das, donnerte Montgomery in den Freiburger Konzertsaal, sei eine "Schande für unseren Sozialstaat" und "kaum erträglich". Und doch habe das Problem mit der Krankenversicherung nichts zu tun, die medizinische Versorgung in Deutschland sei schließlich unabhängig vom Einkommen. Nein, es gehe hier vielmehr um Bildung und darum, dass Eltern ihren Kindern auch in Gesundheitsdingen gute Vorbilder sind.

OECD-Studie
:Trotz hoher Gesundheitskosten: Lebenserwartung der Deutschen nur Mittelfeld

Zwischen den EU-Staaten gibt es große Unterschiede bei Lebenserwartung und Gesundheit, belegt eine umfangreiche Studie. Vor allem Armut macht viele Menschen krank.

Von Werner Bartens

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe nannte es ganz diplomatisch eine "Herausforderung", die Gesundheitschancen zwischen Arm und Reich anzugleichen. Pflichtschuldig verwies der CDU-Politiker auf das von ihm initiierte Präventionsgesetz, mit dem die Kassen angehalten werden, mehr Geld für die Gesundheitsförderung von Kindern auszugeben - was die Eltern versäumen, sollen Kitas und Schulen übernehmen. Doch selbst wenn das Gesetz an dem Missstand etwas ändern sollte, seine Wirkung würde wohl erst in einigen Jahren offenbar.

Es passt zu diesem Ärztetag, dass die Gerechtigkeitsfrage so viel Raum einnimmt. Denn auf dem Treffen bilanzieren die Mediziner noch bis Freitag nicht nur die Gesundheitspolitik der amtierenden Koalition, mit der sie im Großen und Ganzen recht zufrieden sein können. Sie bringen sich auch schon für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf in Stellung, bei dem es nach dem Willen der Sozialdemokraten ja vor allem um die Frage gehen soll, wo es im Land gerecht zugeht und wo nicht. Und mehr Gerechtigkeit, das wünschen die Ärzte schließlich nicht nur ihren Patienten, sondern auch sich selbst.

An Beispielen, wo sie sich unfair behandelt sehen, fehlt es den Ärzten jedenfalls nicht. Als der Bundestag unlängst beschloss, dass Gewalt gegen Rettungskräfte härter bestraft werden soll, waren die Ärzte zunächst außen vor; als die Befugnisse des Bundeskriminalamts gesetzlich neu geregelt wurden, vermisste man einen besonderen Abhörschutz für Mediziner. Beide Fälle dienten jetzt als Belege für die These, dass die Wertschätzung für Ärzte zu oft hinter der von Polizisten zurückbleibe - es ist dies eine Deutung, der so mancher schlecht bezahlter Streifenpolizist wohl widersprechen würde.

Vor allem rügte Montgomery, dass es dem Arzt im Praxisalltag immer schwerergemacht werde, frei und nur nach medizinischen Kriterien zu entscheiden. In Kliniken seien Ärzte oft "auf Konzernziele verpflichtet", unrentable Abteilungen würden geschlossen. Vor einigen Wochen standen dann viele niedergelassene Ärzte am Pranger, weil man ihnen vorwarf, Patienten aus Profitgründen auf dem Papier kränker zu machen, als diese sind. Man konnte das damals so lesen, dass die beteiligten Mediziner ihre Finanzen über das Wohl ihrer Patienten stellten - schließlich können Betroffene schwere Nachteile haben, zum Beispiel wenn sie eine private Zusatzversicherung abschließen wollen und sich dann vorhalten lassen müssen, Gesundheitsfragen angeblich falsch beantwortet zu haben.

Doch Montgomery versuchte es mit einer anderen Interpretation: Das sei die Folge, sagte er, wenn "Ärzte als Co-Unternehmer in die Gesamtverantwortung des Konzerns genommen werden". Der Arzt nicht als Kollaborateur der Kassen, sondern als Opfer der Umstände? Ein Präsident der Bundesärztekammer muss das wohl so sagen.

Was am ersten Tag dieses Freiburger Ärztetags auch sehr deutlich wird: Kaum eine Diskussion über das Wohl der Patienten ist gänzlich abgekoppelt von der Frage, was jeweils das Wohl des behandelnden Arztes ist. Wenn es um überfüllte Notaufnahmen und Personalmangel auf den Krankenhausstationen geht, ist dieser Zusammenhang offenkundig.

Etwas anderes ist es, wenn unter diesem Rubrum über ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom März diskutiert wird. Die Richter verpflichteten das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Todkranken in besonders schweren Fällen zu erlauben, dass diese sich eine tödliche Dosis eines bestimmten Medikaments beschaffen können - und das, obwohl der Bundestag die Sterbehilfe erst im Herbst 2015 nach langen Diskussionen massiv eingeschränkt hatte. Montgomery forderte die anwesenden Mediziner auf, sich dagegen zu wehren, dass "ethische Grundüberzeugungen zu bloßen Verwaltungsakten degenerieren" und verlangte von Gesundheitsminister Gröhe, etwas dagegen zu unternehmen.

Der nahm den Punkt auch gleich auf. Viel Applaus erntete Gröhe für die Feststellung, dass die "Beihilfe zur Selbsttötung niemals eine ärztliche Aufgabe" sein dürfe. Und der Minister versprach den Ärzten, alles dafür zu tun, "dass keine staatliche Behörde jemals zum Handlanger einer Selbsttötung wird. Darauf können Sie sich verlassen". Er habe den früheren Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio in der Frage, wie man die missliche Lage gesetzlich regeln könnte, um Hilfe gebeten. In jedem Fall dürfe es niemals zum "Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe" kommen.

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bundesverwaltungsgericht
:Der Tod als letzte Therapie

Sterbenskranke können in Ausnahmefällen vom Staat Gift für die Selbsttötung erhalten, hat das Bundesverwaltungsgericht vor einigen Wochen entschieden. Nun liegt die schriftliche Begründung vor, aber Kritiker halten die Regeln der Richter immer noch für zu vage.

Wolfgang Janisch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: