Ärzte:Versuchung und Einsicht

Warum es einen Kodex braucht, keine Pharmavertreter mehr in Praxen zu empfangen.

Von Werner Bartens

Der blinde Fleck der Ärzte ist erstaunlich groß. 575 Millionen Euro sind 2015 von der Pharmaindustrie an die Ärzteschaft geflossen, für Anwendungsbeobachtungen, Fortbildungen, Honorare und Spenden. Seit Jahren ist das Problem bekannt, seit Jahren ändert sich wenig - auch wenn kritische Mediziner ihre Kollegen schon mal als "Mietmäuler auf dem Pharmastrich" titulieren.

Man kann nicht oft genug betonen, dass Anwendungsbeobachtungen meist ohne jeden Erkenntniswert sind. Weiterhin muss aufgezeigt werden, wie leicht die Psyche zu beeinflussen ist, auch wenn man weder bösartig noch raffgierig ist: Jeder Mensch verhält sich entgegenkommender, auch wenn er nur zwei Kugelschreiber erhalten hat. Ärzte verschreiben häufiger jene Arzneien, deren Hersteller sie eingeladen hat, und sie beurteilen fragwürdige Mittel als hilfreicher, wenn es vorher Zuwendungen gab.

Diese Mechanismen wollen viele Ärzte nicht wahrhaben. Sie halten sich für immun gegenüber solchen Versuchungen. Sind sie aber nicht. Bis diese Einsicht gereift ist, helfen nur Kodizes für Praxen und Kliniken, keinen der 17 000 Pharmavertreter zu empfangen. Ärztevereinigungen sollten keine Honorare oder Einladungen von der Pharma- und Medizintechnikindustrie mehr annehmen. Und "Mezis" braucht Zulauf: Diese Initiative "Mein Essen zahl' ich selbst" von unabhängigen Ärzten hat gerade mal 800 Mitglieder.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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