Abgebrochene Aidsstudie:Pillen für die Tonne

Eine große Studie zur Prävention einer HIV-Infektion scheitert an unwilligen Probanden: Zwei Drittel der teilnehmenden afrikanischen Frauen verweigerten heimlich die Einnahme der Medikamente.

Von Werner Bartens

Die Möglichkeiten, HIV-Infizierte zu behandeln oder einer Ansteckung vorzubeugen, haben sich in den vergangenen 20 Jahren erheblich verbessert. Die Kombinationstherapie mit anti-retroviralen Medikamenten wurde so weit verfeinert, dass Infizierte 20 Jahre und länger überleben. Arzneimittel verhindern in vielen Fällen sogar, dass eine infizierte Schwangere ihr Baby ansteckt. Und Vaginal-Gels bieten Frauen einen gewissen Schutz davor, sich beim Geschlechtsverkehr zu infizieren.

Alle diese medizinischen Bemühungen sind ziemlich erfolgsversprechend - wenn sie denn angewendet werden. Auf diese simple Formel lassen sich die ernüchternden Ergebnisse einer großen Präventionsstudie im südlichen Afrika bringen, über die im New England Journal of Medicine berichtet wird (Bd. 372, S. 509, 2015). Der erschreckende Befund besteht darin, dass die Mehrzahl der 5000 Frauen, die an der Untersuchung teilnahmen, schon nach drei Monaten nicht mehr das Medikament nahmen, das ihnen zugeteilt worden war.

In der sogenannten Voice-Studie - das Akronym steht für Vaginal and Oral Interventions to Control the Epidemic - wurde Frauen in Uganda, Zimbabwe und Südafrika entweder die Tabletten Tenofovir, das Kombinationspräparat Truvada oder das Tenofovir-Gel zur lokalen Anwendung verordnet und mit Placebo verglichen. Die meisten Frauen blieben im Programm und kamen zur monatlichen Kontrolle in die Klinik. Gemäß ihren Berichten wäre zu erwarten gewesen, dass mehr als 90 Prozent die Arzneimittel nehmen, die sie bekommen haben. Auch die geringe Zahl der übrig gebliebenen Medikamente und Gel-Applikatoren sprach dafür, dass fast alle Frauen der Studie treu blieben.

Blutuntersuchungen ergaben hingegen ein anderes Bild. Egal, welchem Präparat die Frauen zugeteilt waren, nur bei 30 Prozent (Tenofovir), 29 Prozent (Truvada) und 25 Prozent (Tenofovir-Vaginalgel) ließen sich Medikamentenspuren im Körper finden. Die Tests belegen, dass die täglich anzuwendenden Arzneimittel schon länger nicht oder nie genommen wurden. Bei etlichen Frauen, besonders bei jenen unter 25 Jahren, ließen sich während der gesamten Studie keine Spuren der Substanzen finden. Sie befürchteten offenbar Nebenwirkungen oder wollten nicht als Infizierte stigmatisiert werden, weil sie Aids-Medikamente nahmen.

Die Medikamente schützen vor einer HIV-Infektion - wenn sie denn eingenommen werden

"Wir müssen uns fragen, warum so viele Frauen den Eindruck erwecken wollten, die Arznei zu nehmen, obwohl sie es nicht taten", sagt Michael Saag von der University of Alabama. Schließlich sei bekannt, dass die Präexpositions-Prophylaxe in wohlhabenden Ländern sehr wirksam sein kann. In einer früheren Studie wurden 44 Prozent der Ansteckungen verhindert. Bei jenen, die regelmäßig die Medikamente nahmen, wurden sogar 92 Prozent der Infektionen unterbunden.

"Die Ergebnisse haben uns die Augen geöffnet", sagt Jeanne Marrazzo von der University of Washington in Seattle, die Leiterin der Studie. "Wir müssen besser verstehen, welche Präparate Frauen anwenden würden." Im südlichen Afrika sind 60 Prozent der HIV-Infizierten Frauen. Kürzlich hatte der Aids-Experte Anthony Fauci eine neue Strategie im Kampf gegen HIV gefordert. Man müsse "anstelle der breit angelegten, bevölkerungsweiten Aktionen spezifischer und gezielter vorgehen", um die Risiken vor Ort gezielt eindämmen zu können. Dass Frauen davon profitieren, regelmäßig Tabletten oder Gel anzuwenden, deutet die Studie an. Die Zahl der Neuerkrankungen blieb um mehr als die Hälfte geringer als bei jenen, die zwar an der Studie teilnahmen, aber die Medikamente nicht anrührten.

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