Süddeutsche Zeitung

60 Jahre Herzschrittmacher:Stromstöße aus der Schuhcremedose

  • Vor 60 Jahren setzten skandinavische Forscher erstmals einem Patienten einen Herzschrittmacher ein. Das Gerät versagte schon nach wenigen Stunden.
  • Heute werden weltweit eine Million Schrittmacher pro Jahr implantiert. Die Patienten bemerken sie in der Regel gar nicht.

Von Werner Bartens

War es vielleicht skandinavische Bescheidenheit? Oder schlicht Skepsis gegenüber den eigenen Fähigkeiten? Anders als das Team um Christiaan Barnard aus Südafrika, das ein knappes Jahrzehnt später das erste Herz verpflanzen sollte, waren die Wissenschaftler des Karolinska-Instituts nahe Stockholm von ihrer neuen Behandlungsmethode nicht besonders überzeugt und hielten sich öffentlich zurück. Der Arzt Åke Senning und der Siemens-Ingenieur Rune Elmqvist, die den Eingriff am 8. Oktober 1958 in Stockholm gemeinsam vornahmen, glaubten nicht so recht daran, dass der künstliche Rhythmusgeber, der von ihnen entwickelt worden war, lange halten würde.

Patient Nummer eins brauchte viele Ersatzgeräte, wurde damit aber steinalt

Ihr Patient Arne Larsson war erst Anfang vierzig, doch aufgrund eines zu langsamen Herzschlags wurde er mehrmals am Tag ohnmächtig. Larsson war der erste Mensch weltweit, der einen tragbaren Herzschrittmacher bekam, der vollständig in den Körper eingepflanzt wurde. Geräte, die von außen die notwendigen elektrischen Impulse abgaben, hatte es auch in den Jahren zuvor schon gegeben.

Larsson wurde der Brustkorb aufgesägt, und er wurde am offenen Herzen operiert, um den Schrittmacher an Ort und Stelle zu verankern. Das elektronische Bauteil war in eine Schuhcremedose eingegossen worden. Heute sind die Geräte nicht viel größer als eine Zwei-Euro-Münze, wiegen ungefähr 25 Gramm und werden meist unterhalb des Schlüsselbeins in das Unterhautfettgewebe gepflanzt. Die Elektroden gelangen unter Röntgenkontrolle über die Schlüsselbeinvene bis zum Herzen.

"Die Implantation eines Schrittmachersystems ist seit geraumer Zeit ein Routineeingriff, der in einer 30- bis 60-minütigen Operation erfolgt, fast immer in lokaler Betäubung", sagt Andreas Markewitz von der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. In Deutschland werden jedes Jahr fast 80 000 Herzschrittmacher implantiert, weltweit eine Million.

Ein Schrittmachersystem besteht aus einem Impulsgeber, dem Aggregat, und mindestens einer Elektrode, die den Impuls an das Herz weiterleitet oder herzeigene Signale zurückmeldet. Durch das Feedback springt der Herzschrittmacher nur an, wenn das Herz zu langsam schlägt. "Herzschrittmacher haben die Lebensqualität der Patienten erheblich verbessert und die Gefahr, aufgrund einer zu langsamen Herzschlagfolge zu sterben, ist gebannt", sagt Markewitz. "Patienten mit Herzschrittmachern führen zumeist ein normales Leben, können nahezu allen Berufen nachgehen, die meisten Sportarten betreiben und reisen. Einen gut eingestellten Herzschrittmacher wird der Patient im Alltag nicht bemerken." Etwa alle neun Jahre muss das Aggregat in einem Eingriff getauscht werden.

Das gesunde Herz schlägt in Ruhe etwa 60- bis 80-mal in der Minute. Der Sinusknoten im Vorhof gibt als natürlicher Taktgeber den Rhythmus vor. Von dort wird der Impuls zum AV-Knoten weitergegeben, der am Übergang der Vorhöfe zu den Herzkammern liegt. Der Impuls gelangt weiter zu den Herzmuskelzellen, die sich koordiniert zusammenziehen. Diese abgestufte Kontraktion ermöglicht überhaupt erst die Pumpfunktion des Herzens und damit eine ausreichende Sauerstoffversorgung über den Blutkreislauf.

Die Skepsis der schwedischen Ärzte vor 60 Jahren war übrigens berechtigt. Nach drei Stunden versagte das Gerät bereits, Ersatz musste her. Der zweite Herzschrittmacher hielt zwei Tage. Es war nicht das letzte Mal, dass Arne Larsson weiteren Ersatz benötigte. Insgesamt 26 verschiedene Geräte trug er im Laufe seines Lebens in seiner Brust. Geschadet hat dem robusten Patienten das offenbar wenig: Larsson starb erst 2001 mit für Herzpatienten bemerkenswerten 86 Jahren - und überlebte damit sogar seinen Chirurgen, der 84 Jahre alt geworden ist.

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SZ vom 08.10.2018
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