Crystal Meth:"So etwas habe ich noch bei keiner anderen Droge erlebt"

Crystal Meth ist keine neue Droge; schon die Nazis nutzten den Stoff. Doch mittlerweile ist das hochgefährliche Suchtgift in Sachsen stärker verbreitet als Cannabis. Trotzdem lehnen sich Experten in weiten Teilen Deutschlands tatenlos zurück. Suchtmediziner Roland Härtel-Petri hat ein mutiges Buch über ein vernachlässigtes Problem geschrieben.

Von Berit Uhlmann

Als das junge Mädchen zum ersten Mal die Droge Crystal Meth durch die Nase zog, erfasste sie ein nie dagewesener Tatendrang. "An diesem Tag hatte ich plötzlich eine unbändige Lust, ein Bild zu malen. Ich war überzeugt, dass ich etwas Einzigartiges schaffen konnte." Voll Hingabe zeichnete das Mädchen, fügte immer noch eine Kontur, immer noch eine Schattierung hinzu. Nach acht Stunden fand ihr drogenüberschwemmtes Hirn das Werk perfekt. Es war ein Blatt, "von einem einheitlichen Grau überzogen".

Von Menschen wie diesem Mädchen, von grotesken Auswirkungen des Methamphetamins, von Sorgen und vom Wegschauen der Experten berichten der Bayreuther Suchtmediziner Roland Härtel-Petri und der Journalist Heiko Haupt in ihrem Sachbuch: "Crystal Meth".

Methamphetamin unterdrückt Müdigkeit, Hunger, Schmerz - und jeglichen Zweifel. Es gab in der deutschen Vergangenheit durchaus Zeiten, in denen solch kritikloses Funktionieren hochwillkommen war. Denn Crystal ist keine neue Modedroge, der Stoff hat eine lange, beschämende Geschichte. Die Wehrmacht verteilte den seit 1938 unter dem Namen Pervitin erhältlichen Stoff an ihre Soldaten. Heinrich Böll war einer von ihnen, immer wieder spricht er in seinen Briefen von der Droge, die damals als Medikament galt. In Konzentrationslagern, so berichten es die Autoren Härtel-Petri und Haupt, soll das Rauschmittel verabreicht worden sein. Gefangene des KZ Sachsenhausen liefen unter seinem Einfluss ganze Tage lang schwerbeladen im Kreis, man ließ sie auf diese grauenvolle Weise die Qualität von Schuhen testen. Die Bundeswehr soll Pervitin noch bis in die 70er Jahre, die Nationale Volksarmee der DDR sogar bis 1988 in ihren Schränken gehabt haben.

Droge des Mittelstandes

Seine zweite Karriere erlebte der Stoff als kristalline Lifestyle-Droge unter anderem in den USA, Australien und in Mitteleuropa. In Europa ebneten ihr wahrscheinlich junge Tschechen den Weg. Die Männer suchten Anfang der 70er Jahre nach einem Rauschmittel, dessen Grundstoffe leicht zu beschaffen waren. Sie stießen auf Anleitungen zur Pervitin-Herstellung. Von da an verbreitete sich die Droge im Land und wahrscheinlich von Mitte der 90er Jahre an auch über die Grenze nach Deutschland.

All diese Entwicklungen zeichnet das Buch detailliert nach. Doch je weiter die Autoren die unmittelbare Gegenwart oder gar Zukunft der Droge erkunden, umso stärker bewegen sie sich im Ungefähren. Wie verbreitet die Droge wirklich ist, bis wohin sie sich bereits ins Land gefressen hat, weiß momentan niemand.

So beharrte die Bundesregierung bislang darauf, dass das Problem regional begrenzt und die Aufmerksamkeit für den Stoff mithin übertrieben oder gar gefährlich sei. Schließlich könne man ein Problem auch herbeireden. Dieser Auffassung halten Experten aus den betroffenen Regionen die Besonderheiten von Crystal Meth entgegen. Der Stoff ist vergleichsweise billig und steigert in geringerer Dosierung zunächst die Leistungsfähigkeit, was ihn auch in Kreisen attraktiv macht, die bisher nichts mit harten Drogen zu tun hatten. In Sachsen ist Crystal mittlerweile verbreiteter als Cannabis, ist längst ein Dopingmittel für den Alltag, eine Droge für Mittelstand und Handwerk. Niemand kann einen Grund dafür nennen, warum die Verheißungen dieser Droge auf Dauer nur im tschechisch-deutschen Grenzgebiet verfangen sollten.

Der Schmuggel wird ausgefeilter

Und so zitiert Härtel-Petri Fachleute wie Harald Schwab vom Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, der sagt: "Ich arbeite seit 1982 im Rauschgiftbereich. In dieser Zeit habe ich noch nie erlebt, dass eine Droge oder eine Drogenproblematik ein solches Ausmaß wie jetzt das Crystal angenommen hat." Auch sein Kollege im LKA Bayern, Bernhard Kreuzer, konstatiert: "Hier wird über alle Fachbereiche hinweg gesagt: 'Da muss man etwas tun' - so etwas habe ich noch bei keiner anderen Droge erlebt."

Als Indizien dafür, dass das Crystal-Geschäft längst nicht mehr das Werk einiger tschechischer Meth-Heads ist, führen die Autoren die mittlerweile gleichbleibend hohe Qualität der Droge im Grenzgebiet auf. Die Produktion scheint professionell geworden zu sein. Der Handel ist offenbar fest in der Hand von Asiaten, die den Stoff auf den sogenannten Vietnamesenmärkten anbieten. Unmittelbar hinter der Grenze beginnen die Reihen von Ständen, an denen T-Shirts, DVDs, Zigaretten und eben auch Meth erhältlich sind. Auch der Schmuggel über die Grenze scheint ausgefeilter zu werden. Ermittler entdeckten wiederholt größere Pakete, die, mit GPS-Sendern ausgestattet, an den Autokarossen ahnungsloser Besitzer befestigt wurden.

Als besorgniserregend wertet der Mediziner zudem Funde westlich der Bundesrepublik. In den Niederlanden und auf dem Weg dorthin wurden in jüngerer Zeit große Mengen der Chemikalie Apaan sichergestellt. Sie ist ein Ausgangsstoff für Amphetamine. Ob die Substanz für die Herstellung von herkömmlichem Amphetamin, also Speed, oder aber für Crystal Meth gedacht war, ist unklar. Doch was passiert, sollten auch Niederländer im großen Stil in die Meth-Produktion einsteigen?

Härtel-Petri stellt viele solcher unangenehmen Fragen. Warum können die Händler ihre Drogen unbehelligt auf den Märkten gleich hinter der Grenze anbieten? Warum wirkt die Bundesregierung nicht auf die tschechische Regierung ein, ihre laxe Drogenpolitik zu überdenken? Denn die tschechische Liberalität in Drogenfragen geht weit über die der meisten anderen Staaten hinaus. Der Besitz von bis zu zwei Gramm Methamphetamin ist straffrei. Das ist keine Einmalportion; diese Menge ermöglicht 20 Einsteigern einen Tripp und reicht selbst bei einem Gewohnheitskonsumenten noch für mehrere Tage.

Und ist es Lässlichkeit oder verordnetes Wegschauen, die dazu führen, dass Sachsen, Thüringen und Nordbayern mit dem Problem Crystal alleingelassen werden, während die Zahl der Schwerabhängigen wächst?

Mittlerweile gibt es Langzeitabhängige wie jene Frau, die einst stundenlang ein Blatt vollkritzelte. Diese Episode ist 15 Jahre und unzählige Drogenkristalle her. Die junge Frau konnte selbst dann nicht von der Droge lassen, als ihr ungesunder Lebensstil zu einem Magengeschwür und schließlich zum Magendurchbruch führte. Nach der Notoperation, die Verbände noch auf dem Körper, kannte sie nur ein Ziel: ihren Dealer. Momentan absolviert die Abhängige ihre dritte Drogentherapie. Ob ihr die Abstinenz gelingt, ist offen. Nicht nur, weil ihr Erwachsenwerden niemals von Arbeit, Freundschaft, Liebe, sondern allein von Crystal geprägt war. Sondern auch, weil sich in Deutschland bisher kaum jemand die Mühe gemacht hat, über Wege aus dieser Sucht zu forschen. Den Finger in diese Wunde zu legen, ist das Verdienst dieses Buches.

Das Sachbuch "Crystal Meth" von Roland Härtel-Petri und Heiko Haupt ist im Münchner riva-Verlag erschienen. ISBN 978-3-86883-366-9

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