Prostata-Karzinome:Millionenschwere Krebsstudie scheitert

Operation in Klinik

Operieren oder abwarten? Das sind zwei der Optionen, die in der Studie evaluiert werden sollten.

(Foto: llhedgehogll - Fotolia)

Kompliziertes Konzept, zweifelnde Ärzte und fehlende Teilnehmer: Noch bevor sie richtig begonnen hat, wird eine Studie zur optimalen Behandlung von Prostata-Krebs abgebrochen.

Von Werner Bartens

Am Ende dieses Monats ist Schluss. Die Finanzierung wird eingestellt, der Abbruch der Studie ist besiegelt. Eine groß angelegte bundesweite Untersuchung zur optimalen Behandlung von Prostatakrebs in seiner Frühform gelangt damit zu einem Ende, bevor sie richtig begonnen hat. Befürworter und Kritiker der Studie geben sich gegenseitig die Schuld. War das Studien-Design zu kompliziert, verhielten sich die Urologen voreingenommen oder haben die Patienten nicht kapiert, worum es ging? Den Schaden haben nun vor allem die Männer, denn auch weiterhin bleibt unklar, welche Therapie die beste ist, wenn eine vergleichsweise harmlose Form eines Tumors der Vorsteherdrüse festgestellt wird.

Beim niedrig malignen Prostatakrebs gibt es vier Möglichkeiten: operieren, bestrahlen von außen, bestrahlen mit implantierten Strahlenkörnern oder aktiv überwachen, ohne invasive Therapie. Es könnte sein, dass die vier Optionen gleichwertig sind. Es könnte auch sein, dass eine Vorteile bietet. Die wichtige Frage, was am besten hilft, sollte in einer ambitionierten Studie mit 7600 Probanden beantwortet werden. Ein ehrgeiziges Projekt, zumal die Zunft der Urologen in Deutschland bisher nicht für gut durchdachte, klinische Studien bekannt ist.

Anfang 2013 wurde die "Prefere-Studie" begonnen. Der Name spielt darauf an, dass Patienten die Wahl haben sollten und zwei Therapieoptionen zunächst ausschließen durften, bevor sie per Zufallsprinzip mit einer der beiden verbliebenen Methoden behandelt wurden.

Man muss das Studiendesign als Möglichkeitsform beschreiben, denn bis Dezember 2016 wurden ganze 343 Patienten für die Studie gewonnen - in fast vier Jahren. Jährlich waren 1500 neue Teilnehmer vorgesehen. Bis zu 23 Millionen Euro stellten die Deutsche Krebshilfe, die gesetzlichen und privaten Krankenkassen zur Finanzierung bereit.

Weil "die Zahl der eingeschriebenen Patienten weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist", ziehen die Geldgeber nun die Reißleine. Ihnen "erscheint es nicht vertretbar, eine Studie fortzusetzen, die absehbar nicht abgeschlossen werden kann" und damit die eigentliche Fragestellung nicht beantwortet, teilten sie am gestrigen Montag mit. Ginge es mit der Rekrutierung von Patienten wie bisher weiter, würde die Studie noch 80 Jahre dauern.

Etliche Doktoren meinten besser zu wissen, was zu tun ist

Das Prostata-Karzinom lässt sich in der Mehrzahl der Fälle gut behandeln. Es hat die für einen Tumor angenehme Eigenschaft, meist sehr langsam zu wachsen. Viele Patienten merken nichts davon, bei anderen kommt die Diagnose oft zufällig, zum Beispiel nachdem ein erhöhtes Prostataspezifisches Antigen (PSA) gemessen wurde. Deshalb kann es einem Mann mit niedrig maligner Verlaufsform nach zehn Jahren noch genauso gut gehen wie seinem Kollegen, der sich mit der gleichen Diagnose hat bestrahlen oder operieren lassen. Vermutlich geht es ihm sogar besser, weil mit 15 bis 30 Prozent häufige Komplikationen der Operation wie der Strahlentherapie Inkontinenz oder Impotenz sind.

Von Anfang an "zum Scheitern verurteilt"

Die Prefere-Studie mit vier Optionen, von denen zwei ausgeschlossen werden, stellte Patienten vor Probleme. Wieso sich bestrahlen oder operieren lassen, wenn regelmäßige Kontrolle auch eine Wahlmöglichkeit ist, mögen sie gedacht haben. Für manche Männer war es hingegen schwer nachzuvollziehen, beginnenden Krebs in sich zu tragen und nicht operiert oder bestrahlt zu werden.

"Es war nicht zu antizipieren, dass der überwiegende Teil der Patienten die Standardtherapien - Operation und konventionelle Bestrahlung - abwählt", sagt Jürgen Fritze vom Verband der Privaten Krankenversicherungen. "Den Patienten konnte anscheinend nicht ausreichend vermittelt werden, dass die Frage der besten Therapie wissenschaftlich unbeantwortet ist, dass also die Empfehlung der einen gegenüber der anderen Therapie nicht fundiert ist."

Etlichen Urologen stieß die Untersuchung ebenfalls negativ auf und sie ermunterten keine Patienten. Ein Viertel der niedergelassenen Urologen und auch manche Uniklinikchefs waren grundsätzlich nicht bereit, an der Prefere-Studie mitzuwirken. Die Doktoren lehnten die Studie ab - oder sie meinten schon vorher zu wissen, was das Beste für den Mann ist und wie das Leiden behandelt werden soll: Schließlich werden von zehn Patienten mit niedrig malignem Prostata-Krebs in Deutschland fünf operiert, vier bestrahlt - und nur einer aktiv überwacht. Würden Urologen die Behandlungsarten als gleichwertig ansehen, wäre der Anteil der Therapien ähnlicher.

Zudem gab es bald nach Beginn der Studie Streit. "Prefere war von Anfang an zum Scheitern verurteilt", sagt Lothar Weissbach. "Eine vierarmige Studie kann man niemandem zumuten." Der 76-jährige Urologe, früher Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, gehört zu den schärfsten Kritikern der Untersuchung. Anfang November brachte Weissbach Ärzte und Forscher zusammen, die meisten im Ruhestand. Von einem "ethischen und methodischen Desaster" war da die Rede, von "weltfernen" Ideen, die mit Kenntnis der Fachliteratur zu verhindern gewesen wären.

Männer, die abwarten, hatten später mehr Metastasen

"Ich finde es sehr, sehr bedauerlich, dass Prefere nicht ins Rollen gekommen ist", sagt hingegen Jürgen Windeler, Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. "Viele Seiten haben zum Scheitern beigetragen. Dabei hätte man über eine Anpassung des Studiendesigns reden können." Die im Oktober erschienene Protect-Studie (New England Journal of Medicine, Bd. 375, S. 1415) gab Anlass dazu. Sie hat 1643 Männer mit niedrig-malignem Prostata-Krebs entweder Operation, äußerer Bestrahlung oder Überwachung zugeführt. Nach zehn Jahren waren nur 17 Männer gestorben, die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht signifikant. Allerdings hatten Männer in der Überwachungsgruppe doppelt so viele Metastasen und ihr Tumor war weiter fortgeschritten.

"Immerhin haben mehr als 80 Prozent der Männer über zehn Jahre keine medizinische Intervention gebraucht, das ist doch was", sagt Windeler. "Daraus kann man machen, dass aktive Überwachung vertretbar ist. Man kann daraus aber auch Vorteile von Operation und Bestrahlung ableiten, weil dann der Krebs nach 15, 20 Jahren nicht so weit fortgeschritten ist." Es bleibt bei einer individuellen Entscheidung der Patienten - klärende Antworten bleiben ihnen jedoch vorerst versagt.

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