Mundhygiene:Streit um die Zahnseide - hilft sie oder hilft sie nicht?

Zahnseide

Wer putzt, siegt über den Karies. Oder doch nicht?

(Foto: fpic - Fotolia)

Wer Karies vermeiden will, muss die Zwischenräume sauber halten, heißt es beim Zahnarzt. Doch das ist umstritten, selbst das US-Gesundheitsministerium empfiehlt Zahnseide nicht mehr.

Von Felix Hütten

Die Zahnseide steht in der Kritik. Sie sei nutzlos, unnötig, lasse Zahnfleisch bluten, statt es zu beruhigen. Dabei lief lange alles so gut. Seit Jahrzehnten gehört sie zur Standardausstattung in den Badezimmern dieser Welt, wurde sogar behördlich beworben. Seit mehr als 30 Jahren empfahl das US-Gesundheitsministerium Zahnseide in seinen Ratgebern als ideale Waffe im Kampf gegen Karies. Nun beginnt das Debakel.

In den Dietary Guidelines for Americans, einem Ratgeber für ein gesundes Leben aller US-Bürger, müssen Empfehlungen stets auf aktuellen Studien basieren. Und hier hat die Zahnseide ein Problem: Der Nutzen der dünnen Fäden ist trotz zahlreicher Untersuchungen bislang wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.

Journalisten der Nachrichtenagentur AP sind der Sache nachgegangen und haben beim US-Gesundheitsministerium nachgefragt, warum Zahnseide noch immer in den Hygienetipps der Behörde empfohlen wird. Im jüngsten Report des Ministeriums taucht das Stichwort Zahnseide nun nicht mehr auf. Ist jetzt also Schluss mit der Zahnseide?

US-Zahnärzte veröffentlichen Statement zur Rettung der Zahnseide

Mittlerweile kommen zahlreiche Studien zum Ergebnis, dass Zahnseide für ein gesundes Gebiss nicht wirklich notwendig ist. Auch Menschen, die regelmäßig Zahnseide verwenden, können Karies bekommen. In einer Vergleichsstudie der unabhängigen Cochrane Collaboration konnten Wissenschaftler keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Zahnseide und der Reduktion von Karies und Zahnfleischproblemen feststellen. Die Auswertung zeigt, dass der Einsatz von Zahnseide in sehr geringem Maße Plaque und Zahnfleischentzündungen reduziert, bei Karies allerdings wirkungslos bleibt. Das klare Fazit der Forscher: Der wissenschaftlich eindeutige Beweis für den Nutzen von Zahnseide bleibt bisher aus.

Jetzt könnte man meinen, die Sache sei damit erledigt. Doch ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht: Die US-amerikanische Zahnarzt-Vereinigung ADA sieht eine gefährliche Fehlinterpretation in den jüngsten Nachrichten und hat ein Statement zur Rettung der Zahnseide veröffentlicht. Das Credo: Bloß nicht aufhören - Zahnseide muss weiterhin zum täglichen Hygienepaket gehören. Zähneputzen alleine reiche keinesfalls aus.

Eine Packung Zahnseide am Waschbeckenrand als Ermahnung

Tatsächlich gibt es weiterhin gute Argumente für den Einsatz von Zahnseide. Allen voran ein psychologisches, das sich nur schwer in Zahlen messen lässt: Zahnseide poliert das Gesundheitsgewissen. Viele Menschen sind Mundhygienemuffel - eine Packung Zahnseide am Waschbeckenrand ist da keine schlechte Ermahnung, sich regelmäßig um seine Zähne zu kümmern.

Zudem gibt es bislang keine Studie, die umgekehrt belegen würde, dass Zahnseide Schaden anrichtet - vorausgesetzt, sie wird korrekt verwendet. Hier aber liegt ein Problem, denn viele Zahnärzte beobachten, dass ihre Patienten mit dem dünnen Faden ihr Zahnfleisch malträtieren, anstatt die Zwischenräume zu reinigen. Um das zu vermeiden, raten Experten häufig zu sogenannten Interdentalsticks, kleinen Bürstchen, die sanfter mit dem Zahnfleisch umgehen.

Hinzukommt die Erfahrung aus der Praxis, mit der Zahnmediziner gerne der Cochrane-Studie widersprechen. Dietmar Oesterreich, Vorstandsmitglied der Bundeszahnärztekammer, sieht die gegenwärtige Studienlage vielmehr als Indiz, dass die Wirksamkeit der Zahnseide weiterhin getestet werden müsse - nicht aber als Beleg, dass sie nutzlos ist.

Nur etwa jeder Dritte verwendet regelmäßig Zahnseide

Oesterreich betont, dass Zahnärzte mit langjähriger Praxiserfahrung den positiven Effekt von Zahnseide unmittelbar vor Augen hätten. Denn eiweißhaltige Zahnbeläge und Essensreste beiheimaten oftmals schädliche Bakterien. Allein durch Spülen mit Wasser lassen sich diese in den Zahnzwischenräumen schlecht entfernen - und die Borsten einer Zahnbürste erreichen nur etwa 70 Prozent der Zahnoberfläche. Zusätzliche Pflege sei daher nötig.

Möglicherweise aber überschätzen Zahnärzte die Wirkung ihrer Appelle gehörig. Zwar schwören viele Patienten auf dem Behandlungsstuhl, gewissenhaft zu Zahnseide oder Interdentalbürsten zu greifen. Eine Umfrage von 2014 zeigte jedoch, dass lediglich etwa acht Prozent der Befragten mit Bürsten ihre Zahnzwischenräume pflegen. Nur etwa jeder Dritte gab an, regelmäßig Zahnseide zu verwenden.

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