Medizin:Die Testosteron-Spritze für den Mann ist ein Hype - und meist Quatsch

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Wieviel Kraft braucht der Mann? (Foto: dpa)

Was können Männer gegen den Verlust von Kraft, Potenz und Gedächtnisleistung im Alter tun? Eine aktuelle Studie zeigt: Hormonbehandlung hilft selten.

Von Werner Bartens

Verlockend klingt es ja, wenn Vitalität, Leistung und Manneskraft nachlassen, Hilfe aus der Apotheke zu suchen. Testosteron gilt als das Protz- und Dominanzhormon schlechthin. Wieso soll es nicht müde Männer munter machen, sobald die Spannkraft und anderes zu wünschen übrig lassen?

Das scheint ein wichtiges Thema für die Forschung zu sein, schließlich greifen gleich fünf Artikel in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins JAMA die Frage auf, ob die Hormongabe etwas bringt.

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In den Studien wurden die Wirkungen des Männlichkeits-Hormons untersucht. Es zeigte sich, dass bei Männern jenseits der 65 die Knochendichte unter Testosteron leicht zunahm und sich eine Blutarmut etwas besserte. Allerdings bildeten sich auch mehr atherosklerotische Plaques in den Herzkranzgefäßen, was die Neigung zum Herzinfarkt verstärkt. Anders als von manchen Ärzten angenommen, verbesserte die Testosteron-Behandlung nicht Gedächtnis, Stimmung oder kognitive Leistung. "Wir haben zwar gesehen, dass die Behandlung nützen kann, aber die Herzkreislaufstudie weist eben auch auf mögliche Risiken hin", sagt Ronald Swerdloff, der an den Studien beteiligt war.

Dass im Alter Vitalität, Libido und Muskeln nachlassen, ist nicht krankhaft, sondern natürlich

Diese Einschätzung fällt aus Sicht des Münchner Hormonexperten Martin Reincke noch zu positiv aus. "Es gibt einen Hype um die Testosteron-Behandlung", sagt der Chef der Inneren Medizin am Uniklinikum Innenstadt. "Dabei ist die Indikation zur Therapie nur bei wenigen Männern wirklich gegeben." Dass mit zunehmendem Alter Vitalität, Potenz und Libido nachlassen, sich Muskeln zurückbilden und manche Männer depressive Neigungen entwickeln, sei nicht krankhaft, sondern natürlich.

"Viele ältere Männer kennen solche Symptome, doch mit Wischiwaschi-Diagnosen wird die unkontrollierte Testosteron-Therapie begründet", so Reincke. "In der Praxis werden die sorgfältig definierten Regeln, wie und wann das Hormon gemessen werden sollte und wann eine Behandlung angezeigt ist, oft drastisch vernachlässigt."

So ist bekannt, dass der Testosteron-Spiegel einem Biorhythmus folgt und nachmittags um bis zu ein Drittel niedriger liegen kann als vormittags. Trotzdem messen viele Ärzte und Labore das Hormon erst am Nachmittag. Zwar besteht unter den meisten Medizinern Einigkeit darüber, dass Männern die Testosterongabe überhaupt nur etwas nutzen kann, wenn sie deutlich erniedrigte Werte aufweisen.

Wenn sich 55-jährige Manager mit normalen Werten Testosteron spritzen lassen, um noch agiler zu sein, bringt ihnen das gar nichts - außer diversen zusätzlichen Risiken. Die Gefahr der Gefäßverkalkung ist schon länger bekannt, und die Zunahme roter Blutkörperchen kann sogar so überschießend ausfallen, dass das zähflüssige Blut Infarkt und Schlaganfall auslöst.

Auch die Grenzwerte werden aufgeweicht. "Nur 2,5 Prozent der Männer haben tatsächlich erniedrigte Spiegel, aber durch schlechte Tests und den falschen Zeitpunkt wird viel häufiger ein angeblicher Mangel diagnostiziert", beklagt der Hormonexperte Reincke. "Im Alter sinkt die Testosteron-Konzentration zwar bei Männern ab, aber Symptome, die behandlungsbedürftig sind, entwickeln trotzdem nur die wenigsten."

Die Sehnsucht der Männer nach ewiger Jugend und fehlende Qualitätskontrollen in Diagnostik und Therapie lassen den Umsatz wachsen: Von 2005 bis 2015 haben sich die Testosteron-Verordnungen in Deutschland mehr als verdoppelt. Bei Marktführer Nebido betrug der Anstieg sogar mehr als 300 Prozent und liegt mittlerweile bei etwa 130 000 Verordnungen pro Jahr.

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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