Genome Editing:Copy und Paste im Erbgut

Embryo selection for IVF light micrograph

So sehen die überzähligen Embryos aus, an denen Genetiker forschen wollen. Sie sind nur wenige Tage alt.

(Foto: Zephyr/SPL/Agentur Focus)

Das Genome Editing ermöglicht den Umbau des menschlichen Erbguts nach Belieben. Kritiker warnen vor Designer-Babys und "Genokratie".

Von Kathrin Zinkant

Wenn sich drei Großmächte zu einem eilig einberufenen Gipfel in den Vereinigten Staaten treffen, kann es eigentlich nur um einen Krieg gehen. Und um die Wahrung von Grenzen. Und tatsächlich - als die USA, China und Großbritannien vergangene Woche zu einem Krisengespräch in Washington baten, ging es um eine neue, augenscheinlich hochgefährliche Waffe. Und um die Frage, wie man dieses Geschütz einsetzen soll.

Doch es waren keine Militärs, die in der US-Hauptstadt tagten, sondern Forscher, Ethiker und Vertreter aus der Politik. Und die Waffe, über die sie sprachen, tötet keine Menschen. Es handelt sich vielmehr um eine Methode, mit deren Hilfe man nach Belieben im Erbgut von Lebewesen herumschneiden kann - Gentechnik in einer nie erlebten Dimension. Absehbar könnte diese Waffe namens Gene oder Genome Editing sogar neue Menschen schaffen, die ihre bearbeiteten Gene an Nachkommen weitergeben - durch Eingriffe in die sogenannte Keimbahn, die sowohl Eizellen, Spermien als auch den frühen Embryo umfasst. Und weil praktisch jedes biomedizinische Labor der Welt die Methode heute nutzt, wollte man sich auf Grenzen einigen.

Wenn es nach den Forschern geht, sollen Experimente an Embryos erlaubt sein

Eine Gruppe von Forschern hatte das im März dieses Jahres gefordert , man verlangte ein Moratorium für diese Art der Forschung. Seither sind mehrere Keimbahnexperimente öffentlich bekannt geworden, sowohl an menschlichen Embryos als auch an Eizellen. Deshalb riefen die nationalen Wissenschaftsakademien der Briten, Amerikaner und Chinesen zum Dialog. Anstelle eines Moratoriums gab es immerhin eine Einigung. Man wolle zwar keine neuen Menschen erschaffen, hieß es, aber die Forschung an Embryos sehr wohl vorantreiben. Und spätestens mit diesem Statement sollte die Debatte ums Genome Editing in ihre heiße, öffentliche Phase eintreten. Denn was Forscher wollen, ist das eine. Auf der anderen Seite steht die Gesellschaft, die sich nun einmischen muss, wenn sie mit den Vorhaben der Wissenschaftler nicht einverstanden ist.

Worum also geht es genau? Das neue Werkzeug, um das die Debatte kreist, stammt aus Bakterien und wurde eigentlich schon vor 28 Jahren entdeckt. Es dient den Einzellern als Abwehrsystem gegen Eindringlinge: Es gibt zahlreiche Viren, die ein Bakterium entern und ihre DNA ins Erbgut des befallenen Mikroorganismus einbauen. Das bakterielle Gegenrezept heißt Crispr-Cas9 und besteht aus einem molekularen Scanner sowie einem Eiweiß, das die Substanz des Erbguts, die DNA, sauber schneiden kann. Mit dem Scanner fahndet das Tandem nach der Viren-DNA, mit der Schere schnippelt es diese zielsicher aus der eigenen DNA wieder heraus.

Dank Crispr lassen sich völlig neue Gene oder Buchstaben einfügen

Wie genau dieser Mechanismus funktioniert, fanden zwei Forscherinnen vor drei Jahren heraus. Jennifer Doudna von der University of California in Berkeley und Emmanuelle Charpentier, die heute das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin leitet. Die Wissenschaftlerinnen erkannten, wie man mit Crispr mehr als nur Viren-DNA eliminiert. Mit ein paar Handgriffen lässt sich das Reparatur-Werkzeug für genetische Veränderungen in jeder lebenden Zelle von Pflanze bis Mensch nutzen. Es kann beliebige Codes jeder Länge finden und ausschneiden, also ganze Gene oder einzelne Buchstaben.

Dank Crispr lassen sich völlig neue Gene oder Buchstaben einfügen oder unerwünschte Passagen der DNA schlicht löschen. Selbst die Regulation des Erbguts können Forscher mit Crispr steuern. Experten fassen diese vielfältigen Arten der genetischen Bearbeitung als Editing zusammen, als Redigatur. Alles, was sie dafür brauchen, ist der Zielcode in der DNA. Und das Crispr-System mit dem passenden Erkennungscode.

Es ist klar, dass solch ein Potenzial die Fantasien beflügelt. Vor allem hat es die düsteren Visionen der alten, oft unsachlich geführten Bioethikdebatten neu belebt. Wieder ist die Rede vom "Menschen nach Maß", vom "Schaffensrausch" der Forscher, von einer absehbaren "Genokratie", in der eine optimierte Oberschicht über ein genetisch verwahrlostes Proletariat regiert. Und auch das "Designer-Baby" ist zurück - obgleich keine noch so perfekte Genschere je fähig sein wird, Kinder nach Wunsch aus dem Genom zu schnitzen. Genetik hat nun mal nur einen begrenzten Einfluss auf die Entwicklung von Persönlichkeit, Intelligenz und Körper. Worum aber soll sich eine Debatte drehen, wenn nicht um die moderne Fortsetzung von Huxleys schöner neuer Welt? Was kann das Genome oder Gene Editing denn sonst, wovor man sich fürchten müsste?

In absehbarer Zeit könnte die Therapie von Eizellen möglich sein

Tatsächlich sind die wirklich heiklen Anwendungsbereiche des Verfahrens noch übersichtlich. An menschlichen Embryos und Keimzellen ließe sich Crispr sinnvollerweise nutzen, um bekannte, genau umrissene Schäden im Genom auszubügeln. Das betrifft die klassischen Erbkrankheiten wie Chorea Huntington und Muskeldystrophie, oder wenn die Mutter mit ihrer Eizelle fehlerhafte Gene in den Mitochondrien, den sogenannten Kraftwerken der Zelle, vererbt.

Auch diese Defekte führen zu schwersten Erkrankungen. In beiden Fällen lassen sich durch künstliche Befruchtungen und Techniken wie der Präimplantationsdiagnostik bereits gesunde Kinder zeugen. Allerdings müssen kranke Embryos dabei verworfen werden. Oder aber, wie in Großbritannien seit Kurzem erlaubt, es braucht die entkernte Eizelle einer zweiten Mutter. Das Kind stammt dann genetisch von drei statt zwei Elternteilen ab.

Andere Studien ziegen: Bislang erfolglose Gentherapie Erwachsener könnte von Crispr profitieren

Mit Crispr wäre eine Therapie von Eizellen und Embryos möglich. Embryos mit Gendefekten müssten dann nicht mehr aussortiert werden. Erste Studien haben untermauert, dass dieser Weg gangbar ist. Andere Studien haben außerdem belegt, dass auch die bislang erfolglose Gentherapie Erwachsener von Crispr profitieren könnte. Bis die Methode am Menschen einsetzbar ist, muss ihre Fehlerrate allerdings noch reduziert werden. Daran arbeiten derzeit zahlreiche Forschergruppen.

Und so gesehen ist der klinische Einsatz von Crispr ohnehin noch kein Thema. Die meisten Anwendungen von Crispr sind derzeit anderer Natur. Am häufigsten wird das molekulare Werkzeug für den Erkenntnisgewinn in der Grundlagenforschung genutzt. Meist geht es darum, die Funktion von Genen erst einmal zu verstehen. Welche von ihnen sind wichtig, was passiert, wenn man sie aktiviert, verändert, ausschaltet? Von Alzheimer bis Zuckerkrankheit lassen sich mit dem einfachen, schnellen Crispr heute Fragen untersuchen, die früher unergründbar waren. "Mein Forschungsfeld existierte gar nicht, bevor es Crispr gab", sagt der Biomediziner Dirk Heckl von der Medizinischen Hochschule in Hannover.

Ist Genome Editing also bloß hilfreich?

Heckl forscht an akuter myeloischer Leukämie. Die Form von Blutkrebs entsteht durch mehrere genetische Defekte in den blutbildenden Zellen. Wie diese Mutationen gemeinsam den Krebs entfesseln, blieb aber im Dunkeln, weil es sehr schwierig war, die entsprechenden Änderungen gezielt in ein und derselben Zelle zu erzeugen. Mit den neuen Genscheren kann Heckl jetzt alle erdenklichen Kombinationen von Defekten in die Blutstammzellen einbringen und testen. Auf ähnliche Weise lassen sich zahlreiche Krankheiten in Stammzellen und Miniorganen abbilden - oder aber in Tiermodellen, die bislang oft unzureichend blieben.

Ist Genome Editing also bloß hilfreich? Das Meeting in Washington zeigt, dass zumindest die Wissenschaft Gesprächsbedarf hat. Man will die Fehler von einst nicht wiederholen, indem mögliche ethische Fragen nicht ausgeblendet werden. Und man will Bewusstsein schaffen für eine sachliche Abwägung, anstatt das Bild des besessenen Wissenschaftlers zu befördern. Der Weg ist ohnehin noch weit. "Eine Goldgräberstimmung kann ich jedenfalls nicht nachvollziehen", sagt Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Der Stammzellforscher lehnt Eingriffe an menschlichen Embryos auch zu Forschungszwecken strikt ab. Er glaubt dennoch, dass über die ethisch heiklen Eingriffe ins menschliche Erbgut öffentlich diskutiert werden sollte. "Jetzt ist dafür der richtige Zeitpunkt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: