Gefälschte Studien:Ende der Billigforschung

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  • Als Folge des Skandals um in Indien gefälschte Medikamentenstudien fordert der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Karl Lauterbach, politische Konsequenzen.
  • Am Dienstag hatte die deutsche Zulassungsstelle, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 80 Zulassungen für Medikamente von 29 Herstellern gestoppt.
  • Auf europäischer Ebene gibt es Bewegung: Peter Liese, Sprecher der EVP-Fraktion im Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments, will das Thema dort auf die Tagesordnung setzen.

Von Christina Berndt und Katja Riedel, München

Als Folge des Skandals um gefälschte Medikamentenstudien fordert der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Karl Lauterbach, politische Konsequenzen. Pharmastudien in Schwellenländern seien grundsätzlich zu überdenken. "Für mich besteht nun die Frage, ob die hiesigen Behörden solche Studien überhaupt noch als Grundlage von Medikamentenzulassungen akzeptieren sollten", sagte Lauterbach dem Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR.

Dieser hatte in der vergangenen Woche berichtet, dass bei der indischen Auftragsforschungsfirma GVK Bio Studien massiv gefälscht worden waren. Nach Frankreich und Belgien hatte am Dienstag auch Deutschland 80 Arzneimittelzulassungen vorläufig ausgesetzt - ein bisher einmaliges Vorgehen. Insgesamt haben Zulassungsbehörden EU-weit nach bisherigem Stand 1250 Zulassungen überprüft. Das Verfahren, über das die EU-Kommission im Januar entscheidet, läuft noch. Die betroffenen Unternehmen dürfen ihre gestoppten Präparate nun solange nicht mehr verkaufen, bis die Firmen Wirksamkeit und Sicherheit dieser Nachahmerprodukte durch andere Studien nachweisen können. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn hatte 176 Zulassungen für Arzneien geprüft.

Lauterbach zufolge wurden in dem Fall Studienteilnehmer in den fraglichen medizinischen Tests schlicht erfunden. Datenmanipulationen und erfundene Ergebnisse seien bei diesen Studien leider an der Tagesordnung. Für die gesamte Pharmabranche gelte, dass diese besonders "manipulations- und fälschungsanfällig" sei, sagte Lauterbach. Aufgefallen waren im konkreten Fall fingierte Untersuchungen der Herzfrequenz. Für Gesundheitspolitiker Lauterbach muss der mutmaßliche Betrug Konsequenzen haben: "Wir müssen jetzt systematisch noch einmal alle Studien aus Billigforschungsländern überprüfen", so Lauterbach. Die beschuldigte Firma hat derzeit nach eigenen Angaben alle laufenden Studien gestoppt, bis die Ermittlungen beendet sind, sagte eine Sprecherin von GVK Bio am Dienstag.

In den vergangenen Jahren haben Hersteller diese Studien zunehmend in Länder wie Indien, China oder nach Osteuropa verlegt, weil diese dort billiger und schneller vonstatten gehen - auch, weil sich leichter Versuchspersonen finden lassen. Konsequenzen aus dem aktuellen Skandal fordert auch Kathrin Vogler, Sprecherin für Arzneimittelpolitik bei der Linksfraktion im Bundestag.

"Medikamente für die Reichen der Welt an den Armen zu testen, das ist eine Art von Medizinimperialismus, der abzulehnen ist", kritisiert Vogler. Unternehmen müssten verpflichtet werden, ihre Tests außerhalb der EU von europäischen Prüfstellen überwachen zu lassen. Darum müssten die Überwachungsbehörden der Länder und der EU, die EMA in London, personell aufgestockt werden, so Vogler.

"Eine Art von Medizinimperialismus"

Auf europäischer Ebene gibt es Bewegung: Peter Liese, Sprecher der EVP-Fraktion im Gesundheitsausschuss, will das Thema dort auf die Tagesordnung setzen. Die EMA soll eingeladen werden und über den Stand ihrer Untersuchung berichten. Bereits vor zwei Jahren hatte Liese in einem Positionspapier gefordert, Studien in EU-Staaten wieder attraktiver zu machen, um den Trend gen Schwellenland zu stoppen.

"Das schärfste Schwert ist es, die Zulassung zu entziehen. Dieses Schwert wurde jetzt mit dem verhängten Zulassungsstopp endlich einmal eingesetzt", sagte Liese der SZ. Endlich wisse jeder Hersteller, dass das passieren könne. "Die werden sich nun entsprechend anstrengen, valide Studien vorzulegen". Denn die dort erhobenen Daten seien "unzuverlässig" und stellten Risiken für die Patienten in der EU dar, beklagt Liese. Um etwa ein Viertel ist die Zahl medizinischer Tests innerhalb der EU von 2007 bis 2011 gesunken, während die Kosten und die Wartezeiten einzelner Studien gestiegen seien - Letztere um fast das Doppelte. Liese fordert deshalb schon länger, bürokratische Hürden für Studien hierzulande zu senken.

Eine Haltung, die man zumindest in der Ethikkommission der Ludwig-Maximilians-Universität nicht teilt. Jeder medizinischen Studie am Menschen muss ein solches Gremium zustimmen - auch in Indien oder China. Knapp 600 Anträge bearbeitet das Münchner Gremium jährlich.

Bei fast jedem der Anträge habe man Einwände, so Kommissionspräsident Wolfgang Eisenmenger. "Wir können die Redlichkeit der Ethikkommissionen in Schwellenländern einfach nicht einschätzen", sagt die Geschäftsführerin Beate Henricus. Immer wieder müsse man jedoch selbst hierzulande Wissenschaftler von Universitäten und renommierten Forschungseinrichtungen auf Maßnahmen zum Patientenschutz hinweisen. Und mancher Forscher gebe sogar selbst Tipps zu Mängeln oder bedanke sich später, weil die Hersteller Druck auf die Forscher ausgeübt hätten. Die Zahl der Studien an der LMU und anderen bayerischen Unis nehme ab, von früher 300 auf zuletzt 200, sagt Eisenmenger. "Wir glauben, das könnte der Indien-Effekt sein".

© SZ vom 11.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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