Medizin:Frauen werden von Wissenschaftlern systematisch missachtet

Röntgenaufnahme einer Frauen-Brust

Röntgenaufnahme einer weiblichen Brust

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Die Hälfte der Weltbevölkerung spielt für die Forschung nur eine kleine Rolle. Das muss sich ändern.

Kommentar von Werner Bartens

Frauen gelten als chronisch unberechenbar, zumindest in der Medizin. Ständig schwankt ihr Hormonspiegel, dauernd verändert sich ihr Stoffwechsel - und dann können sie auch noch schwanger werden. Ihre nach dieser Sichtweise seltsame Physiologie wurde in der Forschung lange als Begründung angeführt, warum Frauen über Jahrzehnte in Studien unterrepräsentiert waren - und es trotz einiger Verbesserungen immer noch sind.

Auf den ersten Blick klingen die Argumente für die wissenschaftliche Missachtung der Frauen vielleicht einleuchtend, bei näherer Betrachtung erweisen sie sich als äußerst schwach.

Es ist ja nicht so schwer, die Frau in der Wissenschaft Frau sein zu lassen

Schließlich leiden Frauen bis heute darunter, dass sie zu selten an präklinischen wie klinischen Studien teilnehmen. Frauen mit Herzinfarkt werden immer noch später und schlechter behandelt als Männer, manche Medikamente wirken bei Frauen stärker, schwächer oder schlicht anders. Spätestens als klar wurde, dass es vermeidbare Todesfälle, unnötige Komplikationen und Nebenwirkungen gibt, hätte die medizinische Forschung radikal umschwenken und sich eingestehen müssen: Okay, wir hatten die Hälfte der Menschheit bisher nicht ausreichend im Blick.

Und ja, da sie sich nun mal physiologisch und biochemisch vom männlichen Körper unterscheiden, ihr Leben mehr Zyklen und Phasen kennt, muss das Frausein im Studiendesign berücksichtigt werden. Ist ja nicht so schwer, die Frau in der Wissenschaft Frau sein zu lassen - in Studien werden schließlich auch die Eigenheiten bewegungsarmer, männlicher Schichtarbeiter oder die Risiken puertoricanischer Einwanderer mit Skelettanomalien erfasst. Völlig unverständlich wird es, wenn Frauen in Studien an älteren Probanden - etwa zu Themen wie Gicht oder Herzinfarkt - auch weiterhin unterrepräsentiert sind, obwohl sie die Wechseljahre hinter sich haben und daher das "Hormon-Argument" noch unpassender ist.

Wie eklatant die Benachteiligung von Frauen in wissenschaftlichen Studien ist, zeigt sich sogar in den Bereichen, in denen es nur um "Frauen-Themen" geht. Die schmale Studienlage zur Menstruationstasse ist dafür nur ein Beispiel. Mit Ausnahme der wenigen lukrativen und industrienahen Forschungsgebiete rund um die Mammografie, die Hormongabe in der Menopause, Brust- und Eierstockkrebs sowie die Antibabypille gibt es viele lebensnahe Themen, die nur ungenügend wissenschaftlich bearbeitet werden. Hat die Wassergeburt Vorteile, welche Handgriffe drohen aus der Geburtshilfe zu verschwinden, wie geht es Frauen im Alter? Die Themenliste könnte endlos erweitert werden. Der Bedarf ist riesig, der Wille zur Veränderung in Forschung wie Politik schwach.

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