Down-Syndrom:Die Entscheidung bleibt schwer

Down-Syndrom - Ein Test-Set zur Bestimmung einer Erkrankung an Trisomie 21

Experten befürchten mehr Abtreibungen, sollte ein pränataler Test auf Trisomien zur Kassenleistung werden.

(Foto: dpa)

Sollten die Krankenkassen Bluttests zur vorgeburtlichen Diagnose von Trisomien bezahlen? Wer vor einer Zunahme von Abtreibungen warnt, sollte an mehr als 100 000 Abbrüche denken, die auch ohne Test stattfinden.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Es gibt Debattenthemen, die kommen immer wieder. Die vorgeburtliche oder Pränatal-Diagnostik ist ein solcher Klassiker, der sich schon um verschiedene Methoden gedreht hat - und nun wieder aufflammt, da Schwangeren das Leben womöglich noch einmal leichter gemacht werden könnte.

Der gemeinsame Bundesausschuss G-BA wird an diesem Freitag ein Beschlussverfahren einleiten, das vermutlich im Spätsommer zur Kassenzulassung eines sogenannten "nicht invasiven" Tests führt. Konkret geht es um eine schon seit 2012 verfügbare Blutanalyse, die sieben Wochen nach der Empfängnis drei sogenannte Trisomien und, falls erwünscht, einige andere Anomalien diagnostizieren kann. Dazu gehört auch die Trisomie 21, die als Down-Syndrom bekannt ist. Bisher müssen Schwangere den zwischen 200 und 450 Euro teuren Test meist selbst bezahlen. Im Grunde wird schon seit drei Jahren beschworen, was solche kostenlosen Bluttests denn mit der Familienmoral in Deutschland anstellen.

Das Problem ist, dass die Debatte immer wieder um dieselben Dammbrüche kreist: Darum, ob einfachere Verfahren in der Pränataldiagnostik nicht der erste Schritt zur Kindesoptimierung wären. Noch häufiger darum, ob bereits geborene Behinderte diskriminiert würden, wenn man sie vermeintlich leichter aussortieren könnte und ob man Eltern die Entscheidung nicht zu einfach macht. Auch jetzt sprechen Vertreter von Behindertenverbänden wieder davon, dass die Zahl der Abtreibungen wachsen werde, dass es in Zukunft praktisch keine Behinderten mehr gäbe - und das, obwohl mehr als 90 Prozent aller Behinderungen nicht vor, sondern während oder nach der Geburt entstehen. Es geht vermeintlich ums Menschenbild. Wo bleibt die Reue, wenn so ein Test erst mal umsonst ist? Wo bleibt die Ethik?

Es geht auch um das Selbsbestimmungsrecht der Frauen

Vergessen wird dabei sehr schnell sehr viel. So ist es seit vielen Jahren Konsens, dass Eltern oder Mütter, die sich die Fürsorge für ein Kind nicht zutrauen, eine Schwangerschaft abbrechen können - ganz gleich, ob das Kind gesund ist oder nicht. Mehr als 100 000 Ungeborene werden in Deutschland pro Jahr aufgrund dieser Fristenlösung abgetrieben. Man kann nun darüber streiten, ob dieses Selbstbestimmungsrecht der Frau abgeschafft werden sollte, um den eklatanten Bruch in der Argumentation zu beseitigen - oder weil das Selbstbestimmungsrecht der Frau vielleicht doch nicht so wichtig ist. In Polen war es vor einiger Zeit fast so weit. Aber es geht eben nicht um die vielen gesunden Kinder, die abgetrieben werden. Es geht um jene, von denen man weiß, dass sie nicht gesund sind.

Weniger als vier Prozent aller Abbrüche sind mit einer medizinischen Indikation verbunden oder erfolgen nach einer Vergewaltigung. Wie viele Abtreibungen von diesen vier Prozent wegen einer Trisomie erfolgen, ist unbekannt. Unbekannt ist deshalb auch, wie viele Frauen nach der Diagnose Trisomie 21 tatsächlich abtreiben. Für die häufig genannte Quote von 90 Prozent gibt es keine empirische Grundlage, sie wird trotzdem konsequent zitiert, weil sie ins Bild passt. Es ist zudem längst Status quo, dass sich Schwangere einer Vielzahl von pränatalen Untersuchungen unterziehen, die das Risiko für eine Trisomie 21 einschätzen, ohne die Trisomie sicher bestimmen zu können - obwohl sie auf eine Diagnose doch abzielen. Gewissheit konnten auf diesem Weg verunsicherte Eltern bis 2012 nur erlangen, wenn sie einen invasiven Eingriff durchführen ließen, der mit einem Risiko für eine Fehlgeburt einhergeht.

Der umstrittene Bluttest ändert daran zweierlei: Er kann die Diagnose ohne das Risiko einer Fehlgeburt stellen und er verschiebt den Zeitpunkt der Diagnose in das erste Schwangerschaftsdrittel. Ein Abbruch ist dann nach der Fristenregelung möglich - statt durch eine Spätabtreibung, für die das Kind im Mutterleib euthanasiert und tot geboren werden muss. Solche Spätabtreibungen sind übrigens ein Grauen, das manch einem im aktuellen Diskurs womöglich noch als gerechte Strafe für die Mutter erscheint. Wer an diesem Grauen festhalten möchte, sollte allerdings ganz sicher nicht von Ethik reden.

Die Entscheidung für die Eltern bleibt auch in der elften Woche schwer

Denn vor allem anderen wird vergessen, dass die Entscheidung für die Eltern meist sehr schwer bleibt. Können wir die Verantwortung übernehmen? Leidet unser Kind nach der Geburt mehr als dass es gut leben kann? Machen wir uns schuldig? Es ist ein Kampf, der in der elften Woche genauso ausgefochten werden muss wie in der 16. Woche, und der kaum weniger hart ist als die Frage, ob man denn ein mutmaßlich gesundes Kind bekommen will - oder nicht.

Wer den Eltern hier helfen will, sollte sie vor allem nicht verurteilen. Und nein, Tests entscheiden nicht. Menschen entscheiden, ob sie sich ein Leben mit einem behinderten Kind vorstellen können oder nicht. Diese Vorstellung aber hängt zuallererst von der Gesellschaft ab, in der die Betreffenden leben. Es hängt davon ab, ob diese Gesellschaft wohltätig und tolerant genug ist, um schwer behinderte Kinder wirklich zu akzeptieren. Darüber würde sich eine Debatte wohl eher lohnen.

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